Sind Insekten schlauer?

30.5.2007, 00:00 Uhr
Sind Insekten schlauer?

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Frau Scholl, alle Jahre wieder: Motten flattern, die Moskitos surren, Ameisenkarawanen ziehen durch die Küche. Was tun, um die Plagegeister dauerhaft fern zu halten?

Scholl: Das fängt nicht da an, wo die Schädlinge rausgucken, sondern wo ihr Lebenszyklus beginnt. Für Mücken, Motten und Ameisen gleichermaßen gilt: Sinn macht alles, was es den Schädlingen ungemütlich macht oder ihre Vermehrung behindert.

Zum Beispiel?

Scholl: Hitze, Kälte, Trockenheit, Durchzug, Klebefallen oder Köder, Sexuallockstoffe - das ist bei allen gleich. Insekten suchen ihren Platz immer da, wo der Mensch nicht ist: Die Fliege an der Zimmerdecke, die Kleider- und Speisemotten da, wo es dunkel ist und lecker riecht. Nach Müsli etwa oder nach anderer Motte.

Und wenn es soweit ist, hilft nur noch Gift?

Scholl: Nein: Staubsauger, Tiefkühltruhe, Backofen oder Wäschetrockner taugen genauso gut. Was ist je nach Insekt unterschiedlich und ortsspezifisch. Im Zweifel ist Hitze besser. Der wärmeliebende Khapra-Käfer überlebt minus 36 Grad, aber bei über 40 Grad fängt auch ihr Eiweiß an zu gerinnen. Manchmal braucht man aber auch Gift.

Viele schwören auf Zedernholz oder Lavendelkissen, um Motten abzuwehren.

Scholl: Das wirkt nur, wenn der Schrank geschlossen bleibt und wirklich dicht ist. Sobald aber die Motte drin ist, wird sie auch «Stinkiges» fressen. Ich warne vor dem Gedanken, dass diese Hausmittel völlig unschädlich sind. Zitrusöle etwa sind starke Allergene.

Nicht nur Motten machen Sorgen, Ameisen krabbeln wieder über Terrassen und Balkons. Ihr Rat?

Scholl: Die Lösung gibt es nicht. Man muss erstmal gucken, welche Ameise es ist. Unter den 60 Arten eine Hierarchie, mit der wehrhaften roten Waldameise Formica rufa ganz oben. Man muss schauen, was wollen die gerade? Eine Freundin hatte die Gartenameise Lasius Niger; die hat einen Honigtopf in den Garten gestellt - von dem sind alle satt geworden. Andere wie die lichtscheue Waldameise Laisus brunneus flüchten vielleicht gerade vor stärkeren Kolelgen oder suchen ein Kinderzimmer für die Königskinder.

Ameisen sind lästig, Zecken können dem Menschen gefährlich werden - wenn sie Erreger für Hirnhautentzündung und Borreliose übertragen.

Scholl: Es gibt mindestens 30 Krankheitserreger, die in Zecken gefunden wurden.

Was noch?

Scholl: Zecken haben ein eingebautes Thermometer. Sie werden bei zwölf Grad Celsius wach, bewegen sich bis 24 Grad aufwärts und ab 24 Grad abwärts, und dann waagrecht, bis 40 Grad immer schneller. Sie trinken «Luftfeuchtigkeit» und brauchen mindestens 84 Prozent relative Luftfeuchte. Sie haben einen Vibrationssinn, erkennen Wirbeltiere am Geruch und können aus mehreren Metern Entfernung auf ihr Opfer zukriechen.

Wie kann man solchen Alleskönnern aus dem Weg gehen?

Scholl: Es hilft, lange Hosen und Ärmel zu tragen. Gern in hellen Farben - man sieht die Zecken eher. Die Schuhe kann man einsprühen, sollte sie aber wegen des Giftes nicht im Schlafzimmer stehen lassen. Dann sollte man vor dem Ausflug auf Toilette gehen, nicht ins Gebüsch. Und wer seinen Abfall hinterm Haus über die Hecke wirft, füttert die Mäuse. Die wiederum sind die Hauptwirte von Zeckenlarven. Junge Zecken können auch dickere Haut durchbohren, wie die von Igel, Hund und Katze oder eben Mensch. Erwachsene Zecken saugen gerne an Rehen und können so weite Strecken überwinden. Mehr als 300 Tierarten kommen als Wirt in Frage. Meine erste Borreliose kam wohl mit einer Ente.

Auch Mücken können einen ganz verrückt machen. Hat der Mensch da eine Chance?

Scholl: Das kommt drauf an. Erste Frage: Wann kommen die Mücken? Waldschnaken schlüpfen im Frühling und bleiben in Gewässernähe. Überschwemmungsmücken schlüpfen nur in zwölf Grad warmen fließendem Wasser, bei den Hausmücken überwintern die befruchteten Weibchen. Denen reicht nach dem ersten Sommergewitter und einer Blutmahlzeit eine Coladose voll Wasser oder eine Regentonne. Dann hat man ungefähr zwei Wochen Zeit, sich zu überlegen, ob man eine Mückenzucht haben will - oder eine Falle.

Wie funktioniert die Falle?

Scholl: Einfach ausschütten. Das brauchte ich meinem Nachbarn nur ein einziges Mal zu erzählen.

Eigentlich ganz einfach. . .

Scholl: Vieles lerne ich aus alten Zeiten. Früher wurden Wände mit Kalk geweißelt, der wirkte unter anderem insektizid. Heute ist nur die weiße Farbe geblieben. Oder die Fliegenmaden, die aus dem warmen Kuhmist kriechen. Sie brauchen zum Verpuppen ein dunkles trockenes Eck. Wenn ich das bereitstelle, kann ich die Puppen leicht an die Hühner verfüttern.

Klingt lecker. . .

Scholl: Es gibt sogar Vitamin B-Mangelkrankeiten, die erst auftreten, seit die Schädlingsbekämpfung so gut geworden ist. Die Leute in Entwicklungsländern hatten gern ein bisschen tierisches Eiweiß im Essen. Das war auch hierzulande so: Unsere Urgroßeltern kannten noch die Maikäfer-Suppe. Sie sollen fast wie Krabben schmecken, wenn man Flügel und Beine entfernt.

Können Sie sich den Insekten ohne Grausen nähern?

Scholl: Manchmal ist es auch gruselig. Das hängt auch von meiner persönlichen Verfassung ab. Aber ich tröste mich: Es ist genetisch bedingt. Wie Zwillingsstudien gezeigt haben, ekelt man sich vor Insekten - oder nicht. Es gab schon Zeiten, in denen konnte ich fünf Kakerlakenarten allein am Geruch unterscheiden.

Was kommt auf uns zu, wenn sich das Klima wandelt?

Scholl: Neue Herausforderungen. Malaria zum Beispiel, war in früheren Zeiten in Europa bis in Skandinavien bekannt. Italienische Dörfer sind in die Berge gebaut, weil in den Tälern die Malaria wütete. Bis man die Sümpfe trocken gelegt hat. Sie kann durchaus wieder kommen. Alles ändert sich immer.

Mensch und Mücke - beziehungsweise Insekten - können nicht koexistieren?

Scholl: In vielen Fällen schon. Wenig kann viel bewirken. Meine Arbeit hilft, die Schäden und den Aufwand zu begrenzen. Nachhaltig. Und: Die meisten Mücken stechen sowieso lieber Vögel, die es weniger juckt. Interview: Gabi Pfeiffer

Kontakt zu Eva Scholl unter Tel. 4 33 13 74 oder www.schaedling-biologie.info