Sportwetten: Immer mehr Nürnberger stürzen in Schuldenfalle

25.9.2018, 05:54 Uhr
Sportwetten: Immer mehr Nürnberger stürzen in Schuldenfalle

© Franz-Peter Tschauner/dpa

Es fing alles ganz harmlos an. Ein Sportkamerad berichtete Marco Wendler (Name geändert) vor knapp vier Jahren von Sportwetten, mit denen man Geld machen könne. Der junge Familienvater und begeisterter Fußballer wagte darauf im Internet selbst sein Glück. "Ein, zwei Euro Einsatz, das war ganz unschuldig." Weil Wendler sich in der Welt des runden Leders bestens auskennt, wettete er auf die Zahl der im jeweiligen Spiel geschossenen Tore - und freute sich über die ersten Gewinne.

Der heute 40-Jährige musste nicht einmal Geld dafür in die Hand nehmen: "Man macht nur Klick, Klick, Klick und bezahlt online per Paypal." Irgendwann verlor Marco Wendler den Überblick. Er nahm Kredite auf, um das Minus auf dem Konto ausgleichen zu können. Der zweifache Vater setzte sich erst abends, als seine Frau schon lange ins Bett gegangen, an den Computer und schloss immer neue Wetten ab. Irgendwann bekam er kein Geld mehr von der Bank. Er pumpte seine Freunde an, nahm sich Geld aus der Haushaltskasse. Der städtische Angestellte hätte sich niemals vorstellen können, derart die Kontrolle über sein Leben zu verlieren.

"Sucht wird oft lange nicht bemerkt"

Doch er ist kein Einzelfall, wie Thomas Bauer vom Suchthilfezentrum der Stadtmission sagt. "Bei Sportwetten haben wir es vor allem mit jungen Männern zu tun, die integriert und selbst sportlich engagiert sind. Ihre Sucht wird oft lange nicht bemerkt." Der Sozialpädagoge kritisiert, dass bei Sportwetten sehr hohe Einsätze möglich sind. Für die Anbieter ist es ein höchst lukratives Geschäft.

Laut Stadtmission belief sich der Gesamtumsatz auf dem regulierten deutschen Glücksspielmarkt 2014 auf knapp 35 Milliarden Euro: Der Deutsche Lotto- und Totoblock, die Gemeinschaft der 16 selbständigen Lotteriegesellschaften in den Bundesländern, hat bundesweit 22.000 Annahmestellen sowie zusätzlich auch Online-Vertriebsstellen. Dazu kommen die Anbieter im unregulierten deutschen Markt für Sportwetten - rund 4500 Wettbüros oder Wetterminals von Spielhallen sowie Online-Anbieter. Bayernweit zeigen laut Stadtmission 34.000 Menschen pathologisches Spielverhalten. Der Anteil der Menschen mit Sportwettsucht, die in der Stadtmission Nürnberg Hilfe suchen, ist von in der Zeit von 2015 bis 2017 von zwölf auf 23 Prozent gestiegen.

Schuldenberg von 50.000 Euro angehäuft

An die 190 abhängige Sportwetter haben 2017 in der Stadtmission Hilfe gesucht - doch nach Angaben von Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums der Stadtmission, sei der Andrang viel größer. Oft müssen man Betroffene abweisen. Die Experten betonen: Lang und mühevoll sei der Weg aus der Sucht. Das kann Marco Wendler nur bestätigen. "Ich höre auf!", das versprach er seiner Frau immer wieder - und machte doch weiter. Eines Tages setzte sie ihm "die Pistole auf die Brust", wie er sagt. Und er realisierte: Er könnte wirklich seine Frau, seine Kinder, sein bisheriges Familienleben verlieren. Marco Wendler kämpfte sich raus aus dem Teufelskreis.

Seine Familie muss noch lange mit den Folgen leben: Wendler hatte einen Schuldenberg von 50.000 Euro angehäuft. In den kommenden Jahren müssen monatlich 600 Euro abbezahlt werden. Seit einem Jahr hat Wendler nicht mehr gezockt - auch wenn die Versuchung immer noch da ist. Regelmäßig erhält er aggressive Werbung von den Online-Anbietern, die ihm Gratis-Wetten im Wert von 200 Euro anbieten. Solche Mails löscht er sogleich und denkt dann an seine zwei Kinder und an seine Frau, die in der schweren Zeit zu ihm gehalten hat: "Ich bin ihr so dankbar, dass sie noch da ist."

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