Tatort Nürnberg: Der Mörder versteckte sich vor Ladenschluss

3.11.2018, 05:54 Uhr
Tatort Nürnberg: Der Mörder versteckte sich vor Ladenschluss

© Michael Matejka

Die Tür zum Hof steht offen. Kalte Nachtluft strömt in die Backstube. Es ist frostig, die Quecksilbersäule steht weit im Minusbereich. Fünf Grad unter null zeigt es am 29. November 1985 nach Mitternacht an. Auf dem Boden liegt Ingrid Z. In ihrem Rücken steckt eine Kugel, aus einer Kopfwunde quillt Blut, bis ihr Herz aufhört zu schlagen.

Es ist still im Café Dampfnudelbäck an der Bergstraße. Ein paar Meter von der Leiche der 27-jährigen Kellnerin entfernt liegt eine Patronenhülse. Sie und das Projektil werden die Schlüssel für die Mordkommission der Kripo Nürnberg sein, um den Fall zu klären. Doch noch ist es nicht so weit.

Der Mörder war der letzte Gast

Die tote Frau trägt ihren Wintermantel. Sie war offensichtlich auf dem Sprung. In ihrer Handtasche, die auf dem Herd in der Backstube steht, fehlen die Tageseinnahmen in Höhe von 2023,60 Mark. Das Geld wird nach Lokalschluss gezählt und dann üblicherweise im angrenzenden Haus im ersten Stock abgeliefert. Doch dort kam es in dieser Nacht nie an.

Tage später legen die Ermittler den Tatzeitpunkt auf 0.30 Uhr fest. "Der Schuss in den Rücken war aber nicht die Ursache für den Tod der Frau", erklärt heute Polizeisprecher Bert Rauenbusch auf Anfrage. Die Rekonstruktion der Tat ergibt folgenden Ablauf: Der Täter muss der letzte Gast im Café gewesen sein, er hat sich zum Ladenschluss im Lokal versteckt. Die 27-Jährige sperrt ab, ahnt nicht, dass sie ihren Mörder mit einschließt. Sie zählt das Geld, packt es in einen Umschlag, legt diesen in ihre Handtasche, geht über den Hof zum Abstellraum, holt ihren Mantel und zieht ihn über. Eine fremde Gestalt löst sich in diesem Moment aus ihrem Versteck, will an das Geld. Beim Griff in die Tasche wird der Mann von Z. überrascht. Sie sieht die Waffe in seiner Hand, will durch die Tür zum Hof fliehen - dann fällt der Schuss. "Sie hat ihn gesehen und er war nicht maskiert", sagt Rauenbusch, der sich mit dem Fall auseinandergesetzt hat.

Doch die Waffe, eine Walther PPK, 7,65 Millimeter, versagt beim Versuch des Mörders, weitere Schüsse abzugeben. Ladehemmung. Z. lebt noch. Der Schütze geht auf das am Boden liegende Opfer zu, prügelt mit dem Griff der Pistole 15 Mal brutal auf den Kopf der Frau ein und flüchtet.

Ein Schuss war nicht zu hören

1985 war das Café Dampfnudelbäck noch in der Bergstraße, mitten in der dicht bebauten Altstadt (heute ist es unter gleichem Namen in St. Johannis). Einen Schuss hätte man hören müssen. Ermittlungen ergeben, dass die PPK mit einem Schalldämpfer ausgerüstet war. Es gab keinen Knall. Die Tote liegt daher noch mehrere Stunden auf dem eisigen Boden, bis eine Putzfrau sie gegen 6.20 Uhr entdeckt.

Die Aufregung in Nürnberg und besonders in der Altstadt danach ist groß. Vor allem bei den Servicekräften in den Kneipen des Burgviertels. Die Angst vor dem Täter geht um. Einige Kneipen organisieren deshalb für Kellnerinnen einen Begleitservice durch private Sicherheitskräfte.

Lange Zeit gibt es keine heiße Spur. Erst ein Jahr nach dem Mord bahnt sich mit Hilfe der Patronenhülse und dem Projektil ein Durchbruch an. Waffenexperten des Bundeskriminalamtes identifizieren die Waffe und finden heraus, dass im Dampfnudelbäck mit einer alten, ausgemusterten Pistole der Berliner Polizei auf Z. geschossen wurde.

Sie finden auch heraus, dass zuvor mit derselben Waffe in West-Berlin zwei Mal die Schaufensterscheiben von Juwelieren zerschossen wurden, um die Auslagen zu plündern. Die Täter erbeuteten Schmuck in Höhe von 14.000 Mark. Die Spur führt also in die damals noch in West und Ost geteilte Großstadt.

Hinweis aus der Unterwelt

Doch wie kam die Waffe nach Nürnberg? Mit der Walther PPK und Fotos des gestohlenen Schmucks aus Berlin geht die Polizei an die Öffentlichkeit, auch in der Fahndungssendung "Aktenzeichen XY . . . ungelöst" wird über diesen Fall berichtet. Wenig später kommt ein entscheidender Hinweis aus der Berliner Unterwelt. Der Tipp bringt die Fahnder voran, die Spur führt zu einem Berliner, der die Einbrüche in den Juweliergeschäften gestand. Die Kripo fragt den 36-Jährigen nach dem Verbleib der Walther PPK. Er packt aus, er verspricht sich Hafterleichterung.

Ein Freund hatte ihm einen Abnehmer für die alte Dienstwaffe der Berliner Polizei vermittelt. Dieser Freund saß mit Klaus-Dieter L. in der Zelle eines Berliner Gefängnisses. L. kam im Oktober 1985 frei und kaufte dem 36-Jährigen die Waffe ab. Kurz darauf zog L. nach Nürnberg, lebte kurz in Wendelstein und fand am 1. November eine Unterkunft am Albrecht-Dürer-Platz - einen Steinwurf vom Café Dampfnudelbäck entfernt.

Die Schlinge zieht sich enger. Die Kripo Nürnberg sucht den Tatverdächtigen, lässt bei seiner Freundin ausrichten, dass er sich melden solle. Tatsächlich schreibt L. einen Brief und wirft diesen beim Polizeipräsidium in den Briefkasten. Er wundere sich, wie man auf ihn komme, heißt es darin. Der gelernte Schreiner erscheint dann zum ersten Vernehmungstermin. "Der Mann hat immer nur so viel zugegeben, wie man ihm nachweisen konnte", erzählt Rauenbusch. In seinen Aussagen vor der Mordkommission räumt L. ein, dass er die Altstadtkneipen öfter besucht habe, darunter auch das Café Dampfnudelbäck. Er geht sogar so weit, dass er nicht ausschließt, in der Mordnacht dort gewesen zu sein.

Wer war dieser Mann?

Wer war dieser Mann? L. kam am 27. August 1945 in Berlin auf die Welt, wenige Monate nach Kriegsende. Nach Aktenlage hatte er eine schwere Kindheit und Jugend, er geriet schon bald auf die schiefe Bahn: Körperverletzungen, Eigentumsdelikte. Er saß in Berlin mehrfach in Haft.

Tatort Nürnberg: Der Mörder versteckte sich vor Ladenschluss

© Alexander Brock

Bei der Nürnberger Kripo war man sich sicher, dass L. den Raubmord im Dampfnudelbäck verübt hat. Doch für einen Haftantrag reichte es nicht. Noch auf freiem Fuß, zieht L. 1986 von Nürnberg weg. Als Hausmeister heuert der damals 42-Jährige im Hotel Bachmaier in Rottach-Egern am Tegernsee an. Dort setzt er seine kriminelle Karriere fort. Seine neue Stelle nutzt er aus und stiehlt. Im Lauf der Zeit kommt ihm die Polizei auf die Schliche und nimmt ihn fest. Bei seiner Festnahme finden die Beamten eine Pistole. Die gesuchte Tatwaffe Walther PPK ist es aber nicht.

L. erklärt der Polizei, die Schusswaffe vom Typ Luger 08 gefunden zu haben. Er wandert erneut ins Gefängnis. Dort erhält er am 21. September 1987 den Haftbefehl des Nürnberger Ermittlungsrichters, Indizien und Zeugenaussagen im Fall Dampfnudelbäck belasten ihn mittlerweile schwer, er ist dringend tatverdächtig.

Langwieriger Indizienprozess

Im November 1989 wird die Hauptverhandlung gegen L. vor dem Nürnberger Schwurgericht unter dem Vorsitz von Adolf Kölbl eröffnet. Es wird ein langwieriger Indizienprozess mit 24 Verhandlungstagen. L. bestreitet den Mord heftig. Doch nach Überzeugung des Gerichts passt diese Tat zum Charakterbild des Angeklagten. Seit 1960 hat er eine Vielzahl von Straftaten begangen, besonders Diebstähle. "Seine Vorstrafen weisen aus, dass L. zu Gewalt bereit ist", erläuterte Kölbl damals. Am 8. Mai 1990 fällt dann das Urteil: lebenslange Haft.

Noch einmal bringt sich Klaus-Dieter L. in Erinnerung, als er im Juni 1992 aus dem Gefängnis Berlin-Tegel ausbricht. Erst ein knappes halbes Jahr danach fängt ihn die Polizei wieder ein. Es bringt ihm weitere zwei Jahre Haft. Am 15. August 2011 stirbt L. im Alter von 65 Jahren in Berlin.

In der nächsten Folge geht es um den "Vampir von Nürnberg".

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