Total verrückte Märchenwelt

31.10.2012, 00:00 Uhr
Total verrückte  Märchenwelt

© HvD

Es ist alles anders. Ganz anders. Und es kommt auf keinen Fall so, wie es der Leser von „Grimms Märchen“ kennt. Denn der amerikanische Autor und Komponist Stephen Sondheim, der einst auch das Libretto zu Leonard Bernsteins „West Side Story“ verfasste, füllte altbekannte Märchen-Charaktere und -Topoi mit neuen Inhalten, ging mit pechschwarzem, angelsächsischen Humor auf die Suche nach den Personen hinter Klischee und Schablone, und fand für manche alte Geschichte eine verblüffende neue Lösung.

„Into the Woods“ vereint nicht nur ein wahres Panoptikum bekannter Märchenfiguren von Rotkäppchen bis Rapunzel, vom Hans mit der weißen Kuh bis zu den Bäckersleuten, die kein Kind bekommen können — das Musical führt sie zusammen, kombiniert ihre Schicksale und biegt sie zum gesellschaftskritischen Wechselspiel zurecht. Die „Musicalcompany“ bringt das Stück nun unter Regie und musikalischer Leitung von Claudia Dörr als wundervoll schräge und

streckenweise gewollt makabre Parabel in der deutschen Textfassung von Michael Kunze auf die Bühne.

Der ziemlich komplexen Handlung muss man nicht bis in die letzten Verästelungen folgen, um an diesem völlig durchgeknallten Stoff viel Spaß zu haben. Zumal Claudia Dörr und ihr Ensemble dem Satire-Affen ordentlich Zucker geben und kräftig Tempo machen, um nicht einen Wimpernschlag lang Langeweile aufkommen zu lassen.

Lissi Hüsgen und Michael Dörr beharken sich als Bäckerehepaar in bestem Virginia-Woolf-Stil, küssen und schlagen sich. Irgendwann geht sie mit Aschenputtels Prinz (schön und doof: Matthias Hübner) fremd, der auch kein Kind von Traurigkeit ist. Das hat er mit seinem Bruder (Vollpfosten Nr. zwei: Philip Engelmann) gemein, der nur so lange in Rapunzel (herrlich hysterisch: Anja Panzer) verschossen ist, bis ihm das nächste verwunschene Mädel begegnet. Was er mit den neurotischen Ausfällen seiner Angebeteten entschuldigt.

Frauen wie Aschenputtel (sehr stark: Judith Probst) können sich da nur durch Lebensklugheit und eine Spur Zynismus vor dem Untergang retten. Oder sie machen es wie Hans (vorgeblich naiv: Jonas Arndt), der Riesen erschlägt, sich eine anschmiegsame Zauberharfe in Mädchengestalt (putzig: Anna Auer) mitbringt und ansonsten sehr elegant auch durch mittelschwere Katastrophen navigiert.

Die Hexe (witzig: Jana Albrecht) verliert ihre Zauberkräfte, Rotkäppchen (Disco-Luder: Nathalie Meyer) überlebt nicht nur den geilen Wolf, sondern auch die Avancen ihrer Mithelden, und der Erzähler (omnipräsent: Rüdiger Freund) muss dran glauben, weil er das wehrloseste Opfer ist.

Der Märchenzug wird zur Geisterbahn, im zweiten Akt darf exzessiv gestorben werden, ehe alle wieder auferstehen, um ein durchaus moralisch zu verstehendes Finale zu servieren. Die Moral von der Geschicht’: Man darf in den Wald gehen und dort auch über die Stränge schlagen. Aber man sollte niemals den Weg vergessen, auf dem man aus dem Wald wieder herauskommt.

2., 4., 16. und 17. November, Gemeinschaftshaus Langwasser; 23. und 24. November, Wilhelm-Löhe-Schule; www.musicalcompany-nuernberg.de — Karten im NN-Ticketcorner, Telefon 0911/216-2298

 

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