Über sechs Jahre Haft für den Messerstecher aus der "Rakete"

16.8.2018, 18:26 Uhr
In der Nacht des 31. Dezember 2017 kam es zur Messerstecherei im Nürnberger Club "Rakete".

© pr In der Nacht des 31. Dezember 2017 kam es zur Messerstecherei im Nürnberger Club "Rakete".

Anfang 2016 reiste Selim B. (Namen der Betroffenen geändert) mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland ein, zweieinhalb Jahre später steht der nun 20-Jährige bereits zum zweiten Mal vor Gericht – der Zuwanderer ist genau der Typ junger Mann, den Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor Augen gehabt haben dürften, als sie im Frühjahr die Bayerische Kriminalstatistik vorstellten. 

Demnach ist 2017 die Zahl der im Freistaat registrierten Straftaten zwar auf den niedrigsten Wert sei beinahe drei Jahrzehnten gesunken, doch Schmidbauer und Herrmann erklärten auch, dass die Anzahl der Gewalttätigkeiten mit Messern steige. Doch dies ist höchstens "gefühlte Wahrnehmung", denn die Bayerische Kriminalstatistik erfasst Messer-Delikte nicht, und auch an bundesweiten Zahlen fehlt es. Mittlerweile fordern unter anderem Vertreter von Polizeigewerkschaften, dass die Statistik künftig genauer geführt wird. 

Zurück in den Gerichtssaal des Jugendgerichts I am Landgericht Nürnberg-Fürth: Selim B. ist offenbar ein Mensch, der häufig ein Messer dabei hat und es auch zückt: Im Juli 2017 wurde er vom Amtsgericht Kronach zu einer Jugendstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt, weil er zwei Schüler bedroht hatte und die Reifen ihrer Fahrräder zerstach. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Sein Messer ließ Selim B. noch immer nicht zu Hause: In der Nacht des 31. Dezember 2017 besuchte er in der Nürnberger Südstadt den Club "Rakete" , wieder hatte er ein Messer einstecken, das zum gefährlichen Tatwerkzeug werden sollte.

Rückblickend wirkt es, als sei er von Anfang an auf Krawall gebürstet gewesen: Vor der Jugendkammer I beschrieben Zeugen, wie Selim B. sein späteres Opfer Mehrzad R. (24) erst anrempelte, schließlich schubste und mehrfach als "Scheiß-Iraner" titulierte. Einen Grund für diesen Streit gab es offenbar nicht, und mehrere Gäste, die versuchten, die streitenden Männer zu trennen, konnten B.s Angriff nicht verhindern.

Täter kiffte regelmäßig

Er schnitt Mehrzad R. zweimal ins Gesicht – dieser fühlt sich heute von einer Narbe vom Ohr bis zur Nase verunstaltet. Selim B. stieß ihm das Messer in die Brust, schnitt einem weiteren Zeugen in den Daumen. Versuchter Totschlag und Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen wertet die Jugendkammer und verhängt sechseinhalb Jahre Einheitsjugendstrafe, die frühere Strafe ist einberechnet.

Disco-Schlägereien, die aufgrund der üblen Mixtur Aggression und Alkohol eskalieren, beschäftigen die Jugendkammern häufig – die Beteiligten sind immer jung, immer männlich und stammen aus allen Nationen. Auffällig ist hier nur, dass der Blutalkoholtest des Selim B. eine Stunde nach dem Angriff null Promille ergab. Allerdings belegt ein Haartest, dass er regelmäßig kiffte. Selim B. sei voll schuldfähig, so Richter Dieter Weidlich in der Urteilsbegründung der Kammer, die lange Haftzeit biete Selim B. nun die Chance, einen Beruf zu erlernen. Er sehe Reiferückstände, stellt Weidlich fest, und erheblichen Erziehungsbedarf.

Selim B. landete unmittelbar nach der Tat in U-Haft – und fiel auch dort vor allem negativ auf: Einen Mitgefangenen schlug er, nach einem anderen warf er seinen Teller mit Mittagessen und verdreckte den Gefängnisflur. Putzen wollte er nicht, dafür seien die Hausarbeiter zuständig.

Keinen Anstand

Weidlich nennt B. intelligent, doch trotzig, unbeherrscht und aggressiv – wenn es nicht nach seinem Willen gehe. Sein Verhalten nach der Tat passe ins Bild, so der Richter. Selim B. verletzte sich bei seinem Angriff selbst und kam ins Klinikum Fürth. Als ihm dort der Haftbefehl eröffnet wurde, trat er vom Krankenbett aus auf den Rücken eines Polizisten ein. 

Auch beherrsche der Angeklagte Selim B. nicht einmal die einfachsten Regeln des Anstands, wie er im Gerichtssaal gezeigt habe: Die Ärzte retteten auch sein Leben – doch der 20-Jährige habe sich, als der Chirurg vor Gericht aussagte, nicht mit einem Wort bedankt.