Umnutzung ist besser als Abriss

6.6.2016, 20:37 Uhr
Umnutzung ist besser als Abriss

© Foto: Horst Linke

Neubauten würden sehr viel Energie verbrauchen und es wäre sinnvoller, Altbauten kreativ zu nutzen: "Abriss verhindern, Leerstand beseitigen und die Häuser weiter, neu, und besser nutzen", so die zweite These Fuhrhops. Dieser Ansatz könnte auch der Architekturdebatte in Nürnberg neuen Schwung verleihen.

NZ: Warum soll vor allem in den Städten nicht mehr gebaut werden?

Fuhrhop: Obwohl es immer heißt, Neubau sei das einzig Wahre, wird dadurch in Wahrheit viel Schaden verursacht. Ökologisch, weil Freiflächen zugebaut werden und ökonomisch ist es oft auch nicht das Beste, weil Neubau immer teuer ist. Auch aus diesem Grunde ist Neubau eben nicht sozial. Es spricht viel gegen neues Bauen und viel dafür, sich einmal zu überlegen, welche Möglichkeiten unsere vorhandenen Häuser und Städte haben. Wenn wir sie richtig ausschöpfen, dann müssten wir gar nicht so viel über Neubau sprechen.

Verkürzt sagen Sie, dass nicht nach den Bedürfnissen der Menschen gebaut wird, sondern um die Gewinne zu maximieren. Bei Neubauten ist viel Geld im Spiel.

Sehr viel von dem Geld, was zum Bauen führt, kommt von Pensionskassen oder Versicherungen, die international Geld einsammeln und nach einer sicheren Anlagemöglichkeit suchen. Und das ist dann oft Deutschland. Und es sind oft Immobilien. Im Ergebnis führt das dazu, dass das Pensionsgeld eines Feuerwehrmannes aus Vancouver in einem Gewerbepark von Nürnberg landet. Das heißt, der Bedarf ist gar nicht entscheidend, sondern der Anlagedruck von internationalen Investoren.

Ist Ihr Ansatz nicht zu radikal, angesichts der vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen und eine Wohnung brauchen? Es fehlt auch an günstigen Sozialwohnungen.

Zuerst zu der drängenden Frage der Flüchtlinge. Man muss da unterscheiden, was kurzfristig nottut, und selbstverständlich ist es oberste Priorität, jeden Flüchtling vernünftig und gut unterzubringen. Dabei kann man aber nicht auf Neubau setzen, denn kurzfristige Lösungen sind immer diejenigen, bei denen wir Flächen in vorhandenen Gebäuden bereitstellen. Wenn man aber mittel- und langfristig denkt, dann geht es eben wieder um die grundsätzliche Frage, wie viel Platz und Reserven haben wir in unseren Gebäuden und da hat sich meiner Ansicht nach durch den Zuzug von Flüchtlingen, und seien es ein oder zwei Millionen, nichts Entscheidendes verändert. Denn schon vorher haben wir in Deutschland in den letzten Jahren vier Millionen Wohnungen neu gebaut, bei stagnierender Einwohnerzahl. Die Frage, die wir uns stellen sollen, wäre also eher, wie wohnen wir und wo wohnen wir und lässt sich daran nicht etwas ändern? Das kann viel mehr bewirken, als immer wieder nur neu zu bauen und darin die einzige Lösung zu sehen.

Man mag mir vorwerfen, dass der Buchtitel "Verbietet das Bauen" sehr radikal klingt, aber meines Erachtens ist es noch viel radikaler, was wir tatsächlich derzeit machen. Wie radikal die Städte das Land zersiedeln, wie radikal andererseits aber in schrumpfenden Gegenden ganze Landstriche und Orte aussterben und veröden und wie wir Gebäude rücksichtslos abreißen – das ist eigentlich radikal.

Wir verbrauchen zu viel Quadratmeter pro Kopf für das Wohnen.

Das ist eine der Hauptursachen dafür, dass so viel neu gebaut wird. Es gibt auch andere Ursachen wie die veränderten Familienstrukturen. Wir leben nicht mehr in Großfamilien und man kann die Uhr auch nicht zurückdrehen. Das heißt aber nicht automatisch, dass jeder unbedingt allein wohnen möchte. Es gibt viele Wohnformen, wo einige Flächen geteilt werden und man dadurch einerseits Nähe erreicht aber andererseits auch Fläche spart. Und wenn wir diese Wohnformen mehr fördern würden, dann würden wir auch erreichen, dass der Verbrauch an Wohnfläche nicht ständig weiter steigt.

Altbauten werden unterschätzt und Neubauten werden überschätzt, was die Energieersparnis anbelangt. Woran liegt das? Sie haben auch den prägnanten Satz geprägt, "ein Öko-Haus ist nicht ökologisch". Warum?

Leider wird bei allem Reden über Passivhäuser, Niedrigenergiehäuser, Ökohäuser immer wieder vergessen, dass es nicht allein um die Heizkosten geht. Die sind zweifellos in einem Neubau modernster Technik extrem niedrig und es ist sogar denkbar, dass man mit einem Haus Energie gewinnt. Aber nur bezogen auf den Betrieb, eben das Heizen. Um aber überhaupt ein neues Haus zu erstellen, ist schon mal ein großer Energieaufwand notwendig und den muss man in einer ganzheitlichen Bilanz mit berücksichtigen. Und als Drittes kommt nach dem Bau und dem Betrieb noch der Verkehr dazu, denn wenn ein angebliches Ökohaus am Stadtrand an der grünen Wiese entsteht, dann kaufen sich die Bewohner vielleicht das zweite oder sogar das dritte Auto. Auch das verschlechtert die Ökobilanz vom Neubau.

Sie beklagen eine Art Wegwerf-Mentalität, was das Bauen anbelangt. Sie fordern mehr Respekt vor Altbauten, denn sie haben einen finanziellen Wert und durch Umnutzung könnte auch ihr Wert für die Gesellschaft steigen.

Meiner Ansicht nach wird zwar bei denkmalgeschützten Bauten durchaus wieder aufmerksam hingeschaut und gerade auch bei bestimmten historischen Epochen wird das Herz warm, aber Respekt vor Altbauten und Respekt vor unserer Baugeschichte bedeutet auch, ganz unterschiedliche Epochen wertzuschätzen und zu sagen, dass sie alle ein Teil unserer Städte und damit ein Teil unserer Geschichte sind. Deshalb sollten sie nicht anstandslos durch Neubauten ersetzt werden.

Sie schlagen vor, dass Bauen mehr gesteuert werden muss, sonst kommt es zu Fehlentwicklungen. Wer soll steuern und wie? Sie fordern Eingriffe ins Eigentumsrecht, Residenzpflicht für Reiche, damit nicht noch mehr teure Wohnungen gebaut werden, die leerstehen, und eine organisierte Zwischennutzung von leerstehenden Häusern.

Ich habe lange in Berlin gelebt und bin deshalb skeptisch gegenüber Zwangsmaßnahmen. Es ist trotzdem so, dass ich an einigen Stellen des Buches zumindest die Frage aufwerfe, ob die Gewichtung, die wir in Deutschland in unserem Rechtssystem haben, zwischen dem Recht des Eigentums und des Eigentümers und dem Interesse der Allgemeinheit, immer sinnvoll ist. Zum Beispiel hat jeder in Deutschland das Recht, sein Eigentum, sprich sein Gebäude leerstehen zu lassen, selbst wenn viele Menschen Wohnungen suchen. Und da drängt sich schon die Frage auf, ob das angemessen sein kann. Insgesamt plädiere ich eher für Mechanismen, die auf Freiwilligkeit und Anreiz beruhen und allein da wurde sehr viel versäumt und es ist noch sehr viel zu tun. Zum Beispiel bei den von Ihnen angesprochenen Zwischen- oder Umnutzungen, da würde es oft schon helfen, wenn es von Kommunen, vom Land oder vom Bund Berater gäbe, die über die Möglichkeiten informieren, was man auf welche Weisen mit unseren Altbauten machen kann.

Sie haben eine Stiftung mit unabhängigen Fachleuten vorgeschlagen, die Kommunalpolitiker berät. Auch da stellt sich für mich die Frage, wie kann man das umsetzen? Es sind viele Interessen beim Bauen zu berücksichtigen, so dass Unabhängigkeit kaum gewährleistet sein kann.

Wir haben auch jetzt schon unheimlich viele Interessen und manchmal fehlt mir einfach ein Gegengewicht zu den Lobbyisten des Neubaus. Da sind sich die Vertreter von Mieterverbänden und der Bauwirtschaft und Architekten oft alle einig darin, dass auf jeden Fall mehr und viel mehr neu gebaut werden muss. Hier müssen wir ein Gegengewicht haben, das den Fokus darauf legt, was wir in unseren Städten an baulichem Erbe haben. Nach meiner Ansicht können wir erst dann ein vernünftiges Gleichgewicht der Interessen erzeugen.

Sie schlagen eine Suffizienzberatung vor. Was verstehen Sie darunter?

Bisher gibt es, etwa durch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine Effizienzberatung. Das heißt, Eigentümer oder Mieter werden beraten, wie sie sparsamer mit Energie umgehen können, wie sie sinnvoller heizen können. Um unsere Klimaziele zu erreichen, wird es aber nicht ausreichen, nur auf Effizienz zu setzen, sondern es wird auch notwendig sein, über Suffizienz zu reden. Das ist die Frage, wie man mit weniger auskommt. Anders gesagt, würde ein Suffizienzberater mit Bauherren oder potenziellen Bauherren darüber sprechen, welche Flächen sie für welchen Zweck überhaupt benötigen und ob sich nicht manche Dinge anders organisieren lassen. Er würde mit ihnen auch darüber sprechen, ob nicht manche Besitztümer, die sie haben, sich nur im Laufe der Jahre angesammelt haben und ob sie diese nicht eigentlich schon lange loswerden wollten.

Da werden sich aber einige Verbände, wie der Bund Deutscher Architekten, beim Umdenken sehr schwertun!

Es gibt bei den Architekten durchaus offene und interessierte Personen, auch Verbände. Eigentlich sind Architekten die geborenen Raumberater. Ihr Spezialgebiet ist es, sich darüber Gedanken zu machen, wie man Fläche sinnvoll nutzen kann. Sie können die Gedanken dahin steuern, wie man mit weniger Fläche auskommen kann. Das würden viele sicherlich gerne tun. Sie scheuen aber davor zurück, weil die Honorarordnung der Architekten solche sparsamen Ideen bestraft. Das Honorar der Architekten bemisst sich am Bauvolumen.

Muss rechtlich etwas geändert werden, damit die Kommunen im Baubereich besser steuern können?

Bezüglich der Architekten wird über eine Leistungsphase Null diskutiert. Es würde dann honoriert werden, erst einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was jemand benötigt. Ansonsten brauchen wir auf allen Ebenen von den Kommunen über die Länder bis zum Bund ein Umdenken, was die Werkzeuge betrifft, die Neubau überflüssig machen. Es gibt sehr viele Beispiele, die zeigen, wie wir weniger Fläche verbrauchen und die nur darauf warten, dass sie auch an anderen Orten eingesetzt werden.

Hat Bauen auch eine moralische Perspektive? Ein Bauherr sollte sich doch genau überlegen, ob er zulasten der Allgemeinheit Raummaximierung betreibt.

Mir persönlich behagt das nicht ganz, wenn das Wort Moral benutzt wird, weil es so schwer klingt. Ich bevorzuge es eher, dass jeder sich nach seinen Wünschen und Bedürfnissen befragt und dann vielleicht dazu kommt, dass ein immer größeres Haus mit immer mehr Zimmern, die auch zu pflegen und in Schuss zu halten sind, einen vielleicht manchmal eher belastet, während ein Mehr an Nähe und Nachbarschaft und Gemeinschaft ein Gewinn sein kann.

Am Dienstag, 7. Juni, kommt Daniel Fuhrhop zu einem Vortrag mit Diskussion nach Nürnberg. "Erhalt von Gebäuden oder Abriss und Neubau" heißt die Veranstaltung im Künstlerhaus, 1. Stock, Königstraße 93, Beginn: 19 Uhr. Eintritt frei.

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