Umweltreferent: "Luftqualität in Nürnberg ist unzureichend"

30.6.2017, 05:58 Uhr
Umweltreferent:

© Michael Matejka

Herr Pluschke, wir haben in Nürnberg die beste Luft seit 50 Jahren. Haben wir also Grund zum Jubeln?

Peter Pluschke: Es ist paradox. Die Luftsituation hat sich tatsächlich gebessert. Aber wir müssen diese Nachricht mit einer weniger erfreulichen Botschaft konterkarieren: Stickstoffdioxid ist für den Organismus ein sehr belastender Stoff. Deshalb gibt es derzeit eine Debatte, auch auf europäischer Ebene, ob man den Jahresmittelwert nicht auf 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft absenken muss (derzeit liegt der Grenzwert bei 40 Mikrogramm, Anmerkung der Redaktion). Da heißt, wir bewegen uns trotz der Verbesserung in einem Bereich, der gesundheitlich kritisch ist. Die Luftqualität war nie so gut wie heute, aber aus gesundheitlicher Sicht ist sie unzureichend.

War Stickstoffdioxid früher nicht so ein großes Problem?

Pluschke: Es war schon ein Problem. Auch in der alten Smogverordnung war Stickstoffdioxid mit dabei. Aber der Hauptschadstoff war früher das Schwefeldioxid und das Hauptproblem war der Wintersmog. Er war geprägt von einer Kombination aus Schwefeldioxid und Staub. Beim Staub hatten wir damals einen Parameter, der sich Gesamtstaub nannte. Man konnte damals die Staubfraktionen noch nicht so differenziert messen. Das hat man dann im wesentlichen aus medizinischen Gründen differenziert und festgestellt, dass die kleinen, lungengängigen Feinstaubfraktionen die eigentlich kritischen sind. Was wir früher als Staub gemessen haben, konnten wir auch sehen, weil grobere Staubteile dabei waren. Der Feinstaub ist nicht sichtbar.

Feinstaub ist für Nürnberg nicht das große Thema, Stickstoffdioxid aber nach wie vor.

Pluschke: Ja. Wir haben die Ziellinie nicht erreicht, das ist klar. Wir sind nicht ohne Sorge, was die Luftqualität angeht, obwohl wir viel geschafft haben. Feinstaub spielt in Nürnberg allerdings keine große Rolle. Die hohen Werte im Januar und Februar waren einer großräumigen Wetterlage geschuldet.

An der Von-der-Tann-Straße werden regelmäßig zu hohe Stickstoffdioxid-Werte gemessen. Aber es sind auch andere Teile der Stadt betroffen, wo keine Messstationen stehen. Wie sieht es dort aus?

Pluschke: Dort, wo keine Messstationen stehen, werden die Werte rechnerisch ermittelt. Die Philosophie ist die: Es wird an Stellen gemessen, die ganz bestimmte städtische Situationen repräsentieren – also dort, wo eine hohe Verkehrsbelastung herrscht wie an der Von-der-Tann-Straße oder am Hauptbahnhof. Die städtische Hintergrundbelastung wird von der Muggenhofer Station und von der am Jakobsplatz gemessen, die Stadtrandsituation am Flughafen. Das sind die drei wesentlichen Punkte für uns. Basierend auf deren Ergebnissen kann man mit modernen Rechenverfahren Aussagen für das ganze Stadtgebiet treffen. Das Landesamt für Umwelt hat zusätzlich sehr umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Deshalb wissen wir sehr genau, wo in Nürnberg noch weitere kritische Stellen sind.

Wo befinden sich diese kritischen Stellen?

Pluschke: Im wesentlich am Mittleren Ring, betroffen sind aber beispielsweise auch die Dürrenhofstraße und die Ulmenstraße. Wichtig ist jedoch, dass es in den Wohngebieten nirgendwo eine kritische Belastung gibt, mit Ausnahme der Wohnungen entlang des Rings und an der Von-der-Tann-Straße. Solche Blöcke sind kritisch.

Wie sieht es mit der Luftbelastung durch Industrieanlagen aus?

Pluschke: Wir haben in Nürnberg keine ausgesprochen industriebezogene Messstation, weil wir im industriellen Bereich mit den klassischen Luftschadstoffen keine Problem mehr haben. Da geht es eher um Geruchsbelästigung. Die kann man mit solchen Messstationen nicht erfassen.

Es wird heftig über ein Dieselfahrverbot in den Städten diskutiert. Sie sind kein Freund von Fahrverboten.

Pluschke: Was mich stört: In der Umweltpolitik gilt das Verursacherprinzip. Und Verursacher des Stickstoffdioxid-Problems ist nicht der ahnungslose Autokäufer, sondern die Automobilindustrie, die sich mit Tricksereien um die Einhaltung von Normen gedrückt hat. Ich bin dafür, dass man die Automobilindustrie dazu zwingt, die rechtlich festgesetzten Normen einzuhalten und nicht denjenigen bestraft, der sich im besten Glauben einen Diesel gekauft hat.

Die Automobilindustrie ist in der Pflicht und bewegt sich nicht.

Pluschke: Ich verstehe im Augenblick nicht, was die deutsche Automobilindustrie tut. Sie behauptet immer, sie kann alle Vorgaben einhalten, aber sie tut es nicht. Ich glaube, dass sie sich mit dieser Politik momentan gewaltig schadet. Sie führt nämlich dazu, dass sich Ausweichmechanismen etablieren. Das kann zum Beispiel heißen, dass der Diesel verschwindet. Das will die Autoindustrie nicht, aber dann muss sie sauberen Diesel liefern. Derweil drücken andere Unternehmen in den Markt und werden möglicherweise die Wende hin zur Elektromobilität schaffen. Die Politik der deutschen Automobilindustrie ist unklug und ihr Verhalten geradezu arrogant.

Eine aktuelle Studie belegt, dass die größte Stickstoffdioxid-Belastung in der Stadt der Individualverkehr erzeugt und nicht der Transportverkehr. Was kann die Kommune dagegen unternehmen?

Pluschke: Wir können den Verkehr reduzieren, indem wir beispielsweise die öffentlichen Verkehrsmittel weiter stärken. Und die Kfz-Industrie muss eben auch emissionsärmere Fahrzeuge herstellen. Letztlich brauchen wir aber grundlegende Veränderungen. Das Umweltbundesamt hat eine Vision für den Verkehr der Zukunft vorgelegt: In urbanen Ballungsräumen werden wir eine Zahl von 150 Pkw pro 1000 Einwohner anstreben – und das ist eine auf Ebene der Bundesregierung formulierte Zielvorstellung.

In Nürnberg haben wir derzeit mehr als 500 Autos pro tausend Einwohner, Berlin hat etwa 350. Man sieht, da gibt es schon heute Differenzierungen. Ich empfinde das als eine sehr gute politische Zielgröße. Würde sie erreicht, wäre das sehr schön für das Leben in der Stadt.

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