Verfahren komplexer: Neue Strafkammern für Nürnberg

17.11.2017, 05:30 Uhr
Über 100 Jahre ist das Justizgebäude in Nürnberg alt - und immer wieder wachsen die Herausforderungen.

© Daniel Karmann Über 100 Jahre ist das Justizgebäude in Nürnberg alt - und immer wieder wachsen die Herausforderungen.

Wirft man einen Blick auf die Kriminalitätsstatistiken der letzten Jahre, lässt sich ein Trend ausmachen. Die Zahl der schweren Straftaten sinkt. Im Landgericht Nürnberg-Fürth macht sich diese Entwicklung jedoch nicht bemerkbar. Im Gegenteil: Die Richter klagen über enorm hohe Belastung.

Grund dafür sei, dass die Verfahren immer aufwändiger und komplexer werden, sagt Landgerichtspräsident Roland Glass in einem Pressegespräch. So pendelt etwa die Zahl der jährlich neu eingehenden Strafsachen in erster Instanz seit vielen Jahren um die 300er Marke. Die Anzahl der Hauptverhandlungstage hat sich in den vergangen zehn Jahren dagegen mehr als verdoppelt: 2008 waren es 386, 2016 schon 635 und heuer sollen es sogar 900 werden, erläutert Glass die Statistiken.

Wer sich den Umfang einiger Gerichtsprozesse in den vergangenen Monaten ansieht, wundert sich nicht über die Aussagen des Präsidenten: Hochkomplexe Fälle, bei denen auch Zeugen aus dem Ausland geholt oder völlig neue Methoden unter die Lupe genommen werden müssen, sind an der Tagesordnung. So beschäftigte sich die 13. Strafkammer wochenlang mit einem Fall von "Swatting", einer speziellen Art von Telefonstreich, bei dem jemand einen angeblichen Notfall meldet und die Polizei zu einer fremden Person schickt. Ein fränkischer Video-Akteur wurde so über Monate auf übelste Art und Weise von Internetnutzern gemobbt.

Weil die Fälle immer komplizierter werden, ziehen die Richter auch immer häufiger Sachverständige hinzu. Wurden 2005 in 42 Prozent aller Verfahren Gutachter eingesetzt, sind es jetzt schon 74 Prozent, bei denen die Expertise von Experten gefragt ist. "Das erhöht natürlich den Aufwand", erklärt Glass.

Besonders belastet sind das Schwurgericht und die sogenannten "Gift-Kammern", die sich mit Betäubungsmittelstraftaten beschäftigen. Das Schwurgericht, das sich mit vollendeten und versuchten Tötungsdelikten beschäftigt, hatte bis Ende September bereits 34 Fälle auf dem Tisch. 45 könnten es nach Hochrechnungen des Landgerichtspräsidenten noch werden. In der Vergangenheit waren es meist "nur" rund 25. Mit dabei sind auch sehr aufwändige Verfahren, etwa gegen den "Heckenschützen", der auf fahrende Autos auf der Südwesttangente schoss, oder ganz aktuell, der "Reichsbürger von Georgensgmünd".

Arbeit umverteilt

Hier hat das Präsidium des Landgerichts, dass aus zehn gewählten Vertretern aus der Richterschaft und dem Präsidenten besteht, bereits vor Monaten reagiert: Eine im April ins Leben gerufene "Hilfskammer" übernahm einige Fälle. Weil Mord und Totschlag nach Einschätzung der Justiz auch zukünftig viel Arbeit verursachen werden, gibt es seit einigen Wochen eine zweite offizielle Schwurgerichtskammer: "Die 19. Strafkammer des Landgerichts hat bereits die Arbeit aufgenommen und bereitet die ersten Verfahren vor", berichtet Glass.

Gebildet wurde die Kammer durch interne Umorganisation: Die Jugendkammer I unter Vorsitz von Richter Dieter Weidlich kann einige Fälle an Kollegen abgeben und dafür Schwurgerichtsverfahren übernehmen. Schon bisher waren Weidlich und seine Beisitzer mit Tötungsdelikten von Jugendlichen und Heranwachsenden betraut. Nun kommen erwachsene Beschuldigte hinzu.

Eine zusätzliche Kammer kann das Landgericht durch die Bewilligung von drei Planstellen zum Jahreswechsel einrichten. Die neue 20. Strafkammer soll sich schwerpunktmäßig um Rauschgiftdelikte kümmern. Denn im Bereich Drogenkriminalität wachsen die Herausforderungen: Hier stieg die Zahl der Eingänge um über 40 Prozent. Heuer wird mit 116 Fällen gerechnet. Zum Vergleich: 2016 waren es nur 64 neue Verfahren, in den Jahren zuvor 77 (2015) und 86 (2014). Unter anderem weil die Dealer oft international tätig sind und die Methoden der Ermittler immer ausgereifter, werden die Prozesse aufwändiger. So arbeitet sich zum Beispiel die 1. Strafkammer derzeit durch ein Mammutverfahren gegen einen litauischen Rauschgifthändlerring mit über zwei Dutzend Verhandlungstagen.

Eine Entlastung der Richter war auch notwendig, weil ihnen bei vielen Verfahren die Zeit im Nacken sitzt: Wenn ein Beschuldigter im Gefängnis sitzt, sollte es so schnell wie möglich zum Prozess kommen und die Hauptverhandlung dann zügig durchgezogen werden.

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