Verführerisches und einzigartiges Fotoprojekt in Nürnberg

21.7.2014, 19:38 Uhr
Für ein Fotoprojekt hat Jan-Daniel Carpentier Menschen mit und ohne Handicap in erotischen Posen abgelichtet.

© Jan-Daniel Carpentier Für ein Fotoprojekt hat Jan-Daniel Carpentier Menschen mit und ohne Handicap in erotischen Posen abgelichtet.

Tina Jahns hat rein gar nicht vor, sich irgendwie beeinträchtigen zu lassen. Dabei könnten Außenstehende durchaus den Eindruck gewinnen, dass das der Fall sein müsse. Die 30-Jährige leidet an Spinaler Muskelatrophie, einer angeborenen Muskelschwäche. Nein, leiden, sagt sie, tut sie daran eigentlich nicht. Sie hat das halt. Sprich, dass Impulse aus dem Gehirn nicht an die Muskeln weitergeleitet werden, was Lähmungen und Muskelschwund zur Folge hat.

Klar, sagt die Sozialpädagogin, die im Qualitätsmanagement des ambulanten Pflegedienstes arbeitet, ist sie irgendwie anders. Aber „irgendwie anders“ sind ziemlich viele Menschen, und für genau die gründeten Jahns und Jan-Daniel Carpentier ihren Verein „Außergewöhnlich e.V.“. Der ist „für alle, die finden, dass mit ihnen irgendwas anders ist“. Ob mit oder ohne Behinderung - Inklusion eben.

19 aktive Mitglieder sind es derzeit, und das Interesse wird jeden Tag größer. „Irgendwas haben wir da erwischt, was die Menschen anspricht“, meint Tina Jahns und erzählt, dass ihr vor allem wichtig sei, mit jungen Menschen „etwas zu machen“, Projekte und Workshops an Schulen und in Kindergärten, um Berührungsängste und Hemmschwellen gar nicht erst aufkommen zu lassen: „Wo sieht man denn im Alltag schon Behinderte, die sind doch alle weggesperrt!“

Tina Jahns und Jan-Daniel Carpentier, der an Morbus Scheuermann, einer Wachstumsstörung der Wirbelsäule, leidet, gehen bewusst in die Öffentlichkeit, anstatt sich zu verstecken. Wozu auch? „Ich wünsche mir, dass die Menschen auf mich zukommen, mich fragen, was mit mir los ist“, so Jahns, deren Behinderung vom Hals abwärts unübersehbar ist. „Alle sind neugierig und gucken, ich doch auch“, erzählt sie, während ihr Vereinskollege auf ein unsichtbares Zeichen hin ihren linken Arm in eine andere Position bringt. Warum macht der das? Die Gegenfrage kommt sofort: „Warum änderst du deine Sitzposition?“. Ach so, ja klar.

Jeder kann betroffen sein

Ein Kunstprojekt, Porträtaufnahmen, die wie auch die Motive der aktuellen Ausstellung vom Fotografen Carpentier aufgenommen wurden, gab es bereits. Aber ach, zu fad, was neues muss her. Übers Herumblödeln kam dann die Idee, „Sexualität und Handicap“ zu thematisieren. Mitnichten sei es so, dass hier nur körperlich Behinderte beeinträchtigt seien.

Verführerische Einzigartigkeit.

Verführerische Einzigartigkeit. © Jan-Daniel Carpentier

„Sexualität ist ein Grundbedürfnis, ein Lebensgefühl weit über die oberflächliche Definition hinaus. Um überhaupt zum Akt zu kommen, muss man erst mal eine Identität haben“, erklärt Tina Jahns, und dass Menschen, die beispielsweise unter Depressionen oder dem Borderline-Syndrom leiden, durch Medikamente in ihrer Sexualität vollkommen abgestumpft sein können.

Schön und erotisch

Ein explizites Thema, um zu provozieren? O ja! Gesucht wurde über Facebook. Der Aufruf, x-mal geteilt, hatte weit über hundert Anfragen zur Folge. Deutschland, Österreich, die Schweiz, überall Menschen, die sich beteiligen wollten. Nicht allen war es möglich, die Reise anzutreten. Die, die es bewerkstelligen konnten, sind schön und erotisch, authentisch und verschieden. 27 Motive sind während der „unheimlich emotionsgeladenen Shootings“ entstanden. Viele, bei denen das Handicap eindeutig ist, aber auch solche, bei denen das Bild nichts verrät, wie bei der schizophrenen Nicola oder Deutschlands berühmtestem Rollstuhlmodel, Nina Wortmann.

Die hörte von dem Projekt und erklärte sich nicht nur sofort zur Teilnahme bereit sondern auch dazu, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Jetzt gilt es nur noch, passende Ausstellungsflächen zu finden.

Keine Nischen- und Begnungsstätten, bitte! „Wir brauchen Orte, an denen möglichst viele Menschen unsere Bilder sehen können“, sagt Tina Jahns, die sich selbst für das Projekt hat ablichten lassen. Frisöre, Einkaufszentren, Kneipen – „wir sind für jeden Blödsinn zu haben.“ Eben. Wie alle anderen halt auch. Nur irgendwie anders.

„Gegensätzlich?“ bis Ende Juli im Buni, Bertolt-Brecht-Straße 3, www.aussergewoehnlich-ev.de 

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