Verzweifelter Hilferuf

13.9.2018, 08:00 Uhr
Verzweifelter Hilferuf

© Roland Fengler

Es ist bedrückend: Etwa 600 Mädchen und Jungen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben. Eine nüchterne Zahl, hinter der sich entsetzliche Katastrophen für die Betroffenen und ihre Angehörigen verbergen. Wie kommt man an junge, instabile Menschen heran, die ihr Leben wegwerfen wollen, noch ehe es richtig begonnen hat? Diese Frage beschäftigt erfahrene psychologische Berater seit langem.

Eine mögliche Antwort: anonyme Online-Beratung "U 25", die Helfer sind selbst unter 25 Jahre. Die Nachfrage ist da: An das Nürnberger Team wandten sich im ersten Jahr 48 Ratsuchende per E-Mail. Es gab 227 Kontakte mit 584 Nachrichten. Bei den bundesweit zehn Gruppen meldeten sich im vergangenen Jahr 1205 Ratsuchende bei den 209 Berater(inne)n, sie wechselten 7726 E-Mails.

"Extremer Stress in der Familie"

In Nürnberg arbeiten derzeit 22 junge Erwachsene bei dem wichtigen Ehrenamt mit. Die ausgebildeten Frauen und Männer sind bereit, auf einen elektronischen Hilferuf von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu reagieren. Ihr Vorteil: Weil sie selbst unter 25 Jahre jung sind, sind sie in ihrem Denken und Fühlen viel näher an der Zielgruppe dran als erfahrene Therapeuten.

Ina Knauf und Katha Herzog sind zwei Aktive aus dem Nürnberger Team, das seit Juni 2017 arbeitet. "Ich wollte Gleichaltrigen in Krisensituationen helfen", sagt Ina Knauf, "ich wusste gar nicht, dass es so etwas wie ,U 25‘ gibt und habe davon über das Zentrum Aktiver Bürger erfahren." Mit welchen Problemen werden sie von Hilfesuchenden konfrontiert? "Manche haben extremen Stress in der Schule oder mit ihrer Familie", erzählt Ina Knauf, "aber am schwierigsten waren für mich Mitteilungen über Missbrauch." Manche Klienten leiden unter Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen und sind deswegen auch in Behandlung. Wie und was die "U 25-Mitglieder" auf die anonymen Hilferufe antworten, bleibt dem Gespür des Einzelnen überlassen. Bei ihrer Ausbildung - sie umfasst insgesamt 32 Stunden - haben sie Techniken gelernt, einen Hilferuf richtig ernst zu nehmen: So sollen die Berater die Verzweifelten nicht mit einem beschwichtigenden "Es wird schon wieder" abspeisen. "Es ist wichtig zuzulassen, dass es einem jetzt in diesem Moment richtig schlecht geht", sagt Katha Herzog.

Bei der Online-Beratung muss betroffenen Jugendlichen aber klar sein, dass sie auf ihre Mail nicht in den nächsten fünf Minuten Antwort bekommen. Es kann ein Tag vergehen, längstenfalls aber eine Woche. "U 25" versteht sich nicht als Akuthilfe, wie sie psychologische Notdienste leisten können. Es geht vielmehr darum, dass die Klienten den Eindruck bekommen, dass ihnen jemand in ihrer Sprache und mit ähnlichem Bewusstsein begegnet.

"Gleichaltrige wissen, wie schlimm es ist, wenn die erste Liebe scheitert", sagt Jenny Catsam, die als Erwachsene gemeinsam mit einer Kollegin das Nürnberger "U 25"-Team aufgebaut hat und coacht. Bei den beiden liegt die letztendliche Verantwortung.

Ehe die Mails der ehrenamtlichen Berater(innen) an verzweifelte Jugendliche abgeschickt werden, werfen die erfahrenen Leiterinnen einen Blick auf das Geschriebene. Dabei geht es nicht um Zensur oder stilistische Fragen, sondern nur darum, ob der richtige Ton getroffen wurde. Selten müssen die beiden Chefinnen etwas ändern, wenn doch, dann erfolgt dies in Rücksprache mit den Helfern. Alle 14 Tage erhält die Gruppe der Ehrenamtlichen Supervision, um über aktuelle Fragen zu sprechen.

Fragile Entwicklung

Jenny Catsam hält die Arbeit des bundesweiten Netzes von "U 25" für sehr wichtig. Denn in der fragilen Entwicklung vom Kind zum jungen Erwachsenen müssen mitunter sehr schwere Krisen bewältigt werden - und oft wissen Heranwachsende keinen Ausweg. "Sie wollen nicht grundsätzlich nicht mehr leben. Sondern sie wollen nicht mehr so leben, wie sie es tun", formuliert Catsam. In diesen sensiblen Phasen der persönlichen Sinnfindung müsse man darauf achten, dass Krisen nicht in Suizidgedanken enden.

Die Rückmeldungen der Ratsuchenden sind positiv: "Sie sind froh, dass sie uns schreiben können", erzählt Helferin Katha Herzog von dem Echo, das sie bekommen hat. Die 21-Jährige hat innerhalb des Jahres, seit sie bei "U 25" mitarbeitet, eine wichtige Veränderung bei sich selbst bemerkt: "Ich reagiere ganz anders auf Probleme als vorher. Ich habe gelernt, erst mal zuzuhören, statt gleich zig Fragen zu stellen."

Im Januar findet ein neuer Kurs für "U 25"-Ratgeber statt. Wer sich dafür interessiert, kann sich auf der Webseite www.u25-nuernberg.de informieren oder eine E-Mail schreiben: U25.beratung@caritas-nuernberg.de

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