Von der Kunst, mehrere Partner zur gleichen Zeit zu lieben

11.2.2012, 00:00 Uhr
Von der Kunst, mehrere Partner zur gleichen Zeit zu lieben

© pr_Beat Rubischon

Herr Gottwald, Sie sind kein Freund von Monogamie. Mit wie vielen Menschen haben Sie gerade ein Verhältnis?

Christopher Gottwald: Es gibt mehrere Menschen, mit denen ich immer wieder intensive Begegnungen habe. Ich wohne seit sieben Jahren mit Heike und ihren beiden Kindern zusammen. Sie und die anderen Menschen, die ich treffe — das sind alles Begegnungen, die ich nicht gegeneinander abwägen und bewerten möchte. Ich vermeide, Beziehungen zu kategorisieren, deshalb kann ich auch keine Zahl nennen.

Sie bezeichnen sich selbst als polyamor. Was bedeutet das?

Gottwald: Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Wort „poly“ (viele) und dem lateinischen „amor“ (Liebe) zusammen. Dahinter steckt die Idee, dass man — und auch frau — viele Menschen zur gleichen Zeit lieben kann. Es handelt sich nicht um heimliche Affären, alle Beteiligten wissen Bescheid und gehen offen und achtsam miteinander um. Im Mittelpunkt steht dabei, sowohl die eigenen als auch die Bedürfnisse und Freiräume der anderen anzuerkennen. Ich brauche weder emotionale noch körperliche Exklusivität, um jemanden zu lieben.

Manche bekommen noch nicht mal Familie, Beruf und Freizeit unter einen Hut. Wie machen Sie das mit so vielen Partnern?

Gottwald: Das Geheimnis liegt darin, im Hier und Jetzt zu leben. Es mag banal klingen, aber ein Problem unserer Zeit ist, dass man etwas macht, aber in Gedanken schon bei der nächsten Sache ist. Ich konzentriere mich stets auf das aktuelle Geschehen, so können Begegnungen stattfinden, die einen voll und ganz erfüllen. Es geht nicht darum: Das ist meine Partnerin, ich muss sie mindestens zweimal die Woche treffen. Sondern: Wenn ich das Gefühl habe, sie sehen zu wollen, dann rufe ich an.

Bleibt bei so viel Unverbindlichkeit nicht das Vertrauen auf der Strecke?

Gottwald: Was ist Verbindlichkeit? Wenn sich monogame Paare die ewige Liebe und Treue schwören? Die Realität sieht im Laufe der Zeit meist anders aus. Für mich entstehen Verbindlichkeit und Vertrauen dadurch, dass ich mich zeigen kann und sich andere mir öffnen, indem wir ehrlich sind — auch wenn es unangenehm sein könnte. Außerdem treffen wir Absprachen, damit sich alle gut aufgehoben fühlen.

Was glauben Sie, wie viele Menschen kann man gleichzeitig lieben?

Gottwald: Ich denke, Liebe verhält sich nicht mathematisch — sie ist weder zählbar noch berechenbar. Ich war vor nicht allzu langer Zeit in drei Menschen gleichzeitig verliebt. Früher hätte ich gedacht: Das funktioniert nicht, aber in dem Moment fühlte es sich sehr stimmig an.

Klappt das ohne verletzte Gefühle, Eifersucht und Besitzansprüche?

Gottwald: Nein, aber wir haben eine andere Einstellung dazu. Wenn ich eifersüchtig bin, hat das allein mit mir zu tun und ich frage mich, was dahintersteckt: Angst vor dem Alleinsein, Neid, Verlassenheitsängste? Es ist eine Entdeckungsreise zu mir selbst. Ich übernehme Verantwortung für meine Gefühle und mache nicht andere dafür verantwortlich. Trotzdem kann ich sie den anderen mitteilen.

Wenn Sie Lust auf Kino haben, wen fragen Sie zuerst?

Gottwald: Mal so, mal so. Ich entscheide mich für die Person, an die ich gerade denke — manchmal gehen wir auch zu dritt oder zu viert ins Kino.

Und solche Geschichten wie Urlaub oder Weihnachten. Wie organisieren Sie das?

Gottwald: Letzte Weihnacht wollten Heike und ich gemeinsam mit den Kindern feiern. Es kam ganz anders: Die Kinder wollten zum Vater, Heike besuchte einen geliebten Menschen und ich war bei meiner Mutter. Weihnachten ist schon ein Thema, aber kein Problem. Beim Urlaub ist viel Ehrlichkeit angesagt, damit man niemanden vor den Kopf stößt. Letzten Sommer waren wir zusammen zwei Wochen in den Bergen, danach verreisten wir eine Woche getrennt.

Würden Sie sich als chaotischen Menschen bezeichnen?

Gottwald: Eigentlich nicht, aber es gibt gerade mit Blick auf die Freiberuflichkeit immer wieder Momente, wo ein gedankliches Chaos entsteht. Das spiegelt sich dann in dem Zustand meines Zimmers wider.

Wieso? Wie schaut es denn gerade bei Ihnen aus?

Gottwald: Es herrscht Chaos, denn ich bin gerade am Ausmisten. Klamotten, CDs, Bücher — bei diesen Dingen ist viel Ballast dabei, den ich nicht brauche, der aber trotzdem meine Aufmerksamkeit beansprucht. Wie angelesene Bücher, die im Regal stehen und latent ein schlechtes Gewissen verbreiten. Auch der Fernseher fliegt raus.

Warum das?

Gottwald: Ich mag Klarheit, das gilt auch für Dinge, mit denen ich mich umgebe. Im Regal stehen jetzt ausschließlich Bücher, die ich auch lese. Der Fernseher muss weichen, weil ich das Gefühl habe, dass ich damit meine Zeit vergeude. Anstatt vor der Glotze zu sitzen, möchte ich diese Zeit lieber für mich alleine oder für Begegnungen mit Menschen nutzen.

Der „Simplify your life“-Trend besagt, dass man versucht, sein Leben überschaubarer zu gestalten. Ist Polyamorie nicht das Gegenteil davon?

Gottwald: Nein. Für mich entsteht Klarheit, wenn ich in jedem Moment selbstverantwortlich entscheiden kann, was ich tue. Das bedeutet für mich, mein Leben zu leben.



Infos und Termine zum Thema Polyamorie:  www.christopher-gottwald.de
 

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