Von der Pegnitz an die Copacabana

1.5.2016, 20:46 Uhr
Von der Pegnitz an die Copacabana

© Privat

Rabia ist unglaublich talentiert, wirklich unglaublich.“ Der Bundestrainer räusperte sich, er lächelte, dann fuhr er fort: „Aber das darf man ihr nicht sagen.“ Und offenbar hat man es ihr tatsächlich nicht verraten.

Aus Rabia Gülec, dem unglaublichen Taekwondo-Talent, ist Rabia Gülec, die unglaublich erfolgreiche Kämpferin, geworden. Wenn die deutsche Taekwondo-Union für sich wirbt, dann wirbt sie inzwischen mit einem Foto von Rabia Gülec – umrahmt von ihrem Bruder Tahir und Levent Tuncat, den beiden anderen deutschen Startern in Rio de Janeiro. Taekwondo, sagt sie, „ist meine Arbeit, meine Liebe“. Und die Olympischen Spiele waren immer ein Traum, der für ihre Schwester Sümeyye zweimal bereits in Erfüllung gegangen ist. Vielleicht hat Rabia Gülec auch deshalb so hart dafür gearbeitet, bei Weltmeisterschaften hat sie sich schon eine Bronzemedaille trotz eines Muskelbündelrisses erkämpft und im Januar das Qualifikationsticket für Rio. Der Bundestrainer hatte schon recht: Rabia Gülec ist unglaublich.

Von der Pegnitz an die Copacabana

© Stefan Hippel

Es gibt auf der Welt eigentlich nichts, vor dem sich Taekwondo-Kämpfer Servet Tazegül fürchten muss. Auch nicht vor Verkehrspolizisten in seiner Heimat, der Türkei. Dort war er kurz nach dem Olympiasieg in London wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten worden, aber als die Polizisten ihn erkannten, ließen sie ihn weiterfahren.

Von Staatschef Erdoðan bekam er 2000 Goldstücke, etwa 560 000 Euro, geschenkt, ab dem 30. Geburtstag erhält er umgerechnet 3000 Euro pro Monat Olympiasieger-Rente vom türkischen Staat, von einem reichen Unternehmer obendrauf eine 120-Quadratmeter-Wohnung in Istanbul. „Arbeiten muss ich eigentlich nicht mehr“, sagte Servet Tazegül damals.

Dann fiel der nun 28-Jährige in ein tiefes Loch, seine Mutter war kurz vor den Olympischen Spielen gestorben. Zwei Jahre lang quälte sich Tazegül zum Training, schied bei Wettkämpfen in den ersten Runden aus. Dann kämpfte er sich zurück, wurde 2015 Weltmeister — und möchte in Rio die nächsten Goldstücke klarmachen.

Seinen Trainer hat er bereits stolz gemacht. Zufrieden aber ist Özer Gülec trotz der vielen Erfolge, die ihren Ursprung in seiner Taekwondo-Schule in der Findelwiesenstraße haben, noch immer nicht. Zufrieden ist Özer Gülec erst, wenn einer seiner vielen Athleten Olympiasieger ist.

Dabei hat Tahir Gülec bereits etwas geschafft, was außerhalb von Taekwondo Özer nur wenige für möglich gehalten hatten. 18 Jahre lang hatte es in dieser Sportart keinen Weltmeister mehr gegeben, bis sich dieser große Deutsch-Türke aus Nürnberg in Mexiko im WM-Finale vor 7000 Mexikanern gegen einen Mexikaner durchgesetzt hat. Weltweit gibt es natürlich Kämpfer, die ebenfalls mit Tahir Gülec’ außergewöhnlichem Talent gesegnet sind, aber kaum welche, die auch mental so stark sind. „Alle haben buh in meine Richtung geschrien“, erzählte er nach dem Finale. „Da habe ich mit dem Kopf begonnen zu nicken, der Bundestrainer hat schon gemahnt, ich solle ruhig bleiben. Das war ich aber. Die wollten mich provozieren. Dabei habe ich sie provoziert.“

Von der Pegnitz an die Copacabana

© dpa

Nein, Anja Scherl ist keine Nürnbergerin. Sie startet auch nicht für einen Nürnberger Verein. Sie wohnt noch nicht einmal in Nürnberg. Trotzdem verbringt Anja Scherl in Nürnberg mehr Zeit als in Bayreuth, wo sie wohnt, in Amberg, wo sie geboren ist, oder in Regensburg, wo ihr Verein ansässig ist. Anja Scherl arbeitet als Software-Entwicklerin bei der Datev, wobei schon erstaunlich ist, dass eine Frau, die seit acht Tagen Rang acht in der ewigen deutschen Marathon-Bestenliste innehat, überhaupt arbeitet.

2:27:50 Stunden hat sie in Hamburg gebraucht, um 42,195 Kilometer zu Fuß zurückzulegen, womit sie nicht nur die Qualifikationsnorm für die Olympischen Spiele in Rio unterbot, sondern als „Feierabendläuferin“ (Fachmagazin Leichtathletik), die sie ja tatsächlich ist, nebenbei für die größte Sensation der renommierten Laufveranstaltung sorgte. Noch ist sie nicht offiziell nominiert. Mit ihrem Vorgesetzten sollte sich die Arbeits-Nürnbergerin trotzdem allmählich über einen kurzfristigen Urlaub im August austauschen.

Von der Pegnitz an die Copacabana

© Sportfoto Zink / DaMa

Lange Zeit führte Christopher Wesley ein Leben, das deutlich von all dem abwich, was einen Leistungssportler auszeichnet. Man begegnete ihm einmal im nächtlichen Disco-Straßenverkehr an einer Ampel, Wesley auf dem Beifahrersitz mit einer Flasche Bier und Zigarette. „Mir hat lange die Ernsthaftigkeit gefehlt“, sagte der heute 28-Jährige 2012. In dem Jahr also, in dem er später mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft olympisches Gold in London gewann. Mit dabei damals auch: sein Teamkamerad vom Nürnberger HTC, Max Müller.

Der hat sein Hockey-Leben mittlerweile gegen das eines Politikers, Büroarbeiters und bald auch Familienvaters eingetauscht. Auch Wesley wird bald sein Studentenleben beenden müssen. Zuvor aber, sagt er, möchte er noch einmal Olympische Spiele erleben, in 100 Tagen, in Rio. Wir würden uns freuen, wenn er uns in den Tagen danach beim Feiern abends an der Ampel begegnet — mit Bier und Zigarette in der Hand, und der nächsten Goldmedaille um den Hals.

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