Vorwurf der Misshandlung: Lonnerstädter Guru vor Gericht

15.7.2014, 18:54 Uhr
Vorwurf der Misshandlung: Lonnerstädter Guru vor Gericht

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Lächelnd und sehr freundlich beantwortet der 55-jährige Angeklagte sämtliche Fragen. Der Mann im weißen Hemd, mit schulterlangen Haaren und Rauschebart sagt immer wieder, wie wichtig ihm die Kinder waren und dass er und ihre Mutter alles für sie getan hätten. Auch die 48-jährige Frau beteuert: "Wir haben uns immer um die Kinder gekümmert, wir haben sie nie zu irgendwas gezwungen." Sie trägt die grau-melierten Haare in Flechtfrisur mit Blume und helle gelbe Kleidung - denn „Gelb wirkt wohltuend aufs Gemüt“. Unter den Vorwürfen - schwere Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen - leiden die beiden Angeklagten nach eigener Aussage sehr.

Und die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Die Mutter und ihr Lebensgefährte sollen mit dem schwer kranken, zwölfjährigen Sohn der Frau von 1999 an drei Jahre lang nicht zum Arzt gegangen sein und ihm keine Medikamente gegeben haben - obwohl das Kind an der schweren und unheilbaren Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose litt, bei der zäher Schleim unter anderem die Atemwege verstopft. Auch die Verdauungsorgane werden geschädigt. Selbst als es dem Kind immer schlechter geht, es nur noch 28 Kilo wiegt, verweigern die beiden laut Anklage eine Behandlung aus weltanschaulichen Gründen. Seit Dienstag stehen sie vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth.

Handpuppen statt Antibiotika

Aus Sicht der Mutter hat sie sich wirklich alle Mühe gegeben: Sie hätten Farb- und Musiktherapie angewandt, Duftöle benutzt, versucht, Stress mit Handpuppen abzubauen und "autogene Drainage" gelernt, um den Schleim auszuatmen. "Auch die Schwingung von Mantren kann man positiv nutzen." Auch einen Ananas-Papaya-Mix habe ihr Sohn bekommen - als Ersatz für ein notwendiges Verdauungsenzym, das die geschädigte Bauchspeicheldrüse ihres Kindes nicht mehr produzierte. Auch ihr Lebenspartner sagt: "Es waren immer genug Medikamente da." Man habe den Jungen sogar immer wieder angehalten, sie auch zu nehmen. Sie hätten den Kindern keine Nahrungsmittel verboten, sondern sie lediglich angehalten, Bio-Produkte zu essen.

Der Angeklagte soll sich Lehrer der "Neuen Gruppe der Weltendiener" genannt haben. Er bestreitet das jedoch: "Ich habe mich allerhöchstens als Lehrer der zeitlosen Weisheit bezeichnet." Gegen die Bezeichnungen "Guru" und „Sekte“ wehren sich die Angeklagten entschieden. "Sie sind Gespött und Angriffen ausgesetzt, weil sie ganz einfach anders sind als wir", sagt der Verteidiger Axel Graemer. Auch ein Sekten-Experte sagt im Prozess, als Sekte würde er es nicht bezeichnen. Eher als "esoterische Glaubensrichtung". Die Anhänger glaubten an Karma und die "Heranbildung eines neuen Menschen auf einer höheren Evolutionsstufe" durch Meditation. Die spirituelle Erziehung der Kinder, die als "erwachsene Seelen im Kinderkörper" gesehen würden, sei wichtiger als das Körperliche.

"Wir sind einfach kritisch Ärzten gegenüber", sagt die Mutter. Sie habe aber niemals Medikamente weggeworfen - höchstens, wenn sie abgelaufen waren. Und ihr Sohn habe immer zum Arzt gehen können, wenn er gewollt hätte. "Die hatten sämtliche Freiheiten, zu entscheiden, was sie wirklich wollen." Die Mutter macht im Prozess den Vater der Kinder für die ganzen Probleme verantwortlich. Er habe sie gegen sie aufgestachelt.

Gefährliches Heilungsversprechen

Das alles bestreitet der Sohn. Der heute 27-Jährige erzählt: "Uns wurde gesagt, dass wir die Medikamente nicht mehr brauchen." Sie seien weggeworfen oder irgendwo verstaut worden. Er habe sie jedenfalls von einem Tag auf den anderen nicht mehr bekommen. Der Freund seiner Mutter habe ihm gesagt, "wenn ich alles mitmache, meditiere, bin ich mit 17, 18 geheilt". Er habe das damals geglaubt.

Meditiert worden sei jeden Tag - teils schon um drei Uhr morgens und bis zu neun Stunden lang. "Das war schon krass irgendwie." Ihnen sei eingeredet worden: "Wenn man nicht mitmacht, hat man nicht das Glück, was man halt braucht." Oft habe er sich vor den Fernseher oder seinen Computer geflüchtet - auch, weil er wegen seiner Krankheit "körperlich so kaputt war". Er habe es kaum noch eine Treppe hoch geschafft, geschweige denn Fußball spielen können. "Ich war sofort außer Atem und hatte ständig Kopfschmerzen."

Irgendwann habe er es nicht mehr ausgehalten. "Es war für mich die Hölle." Als er mit 15 Jahren zu seinem leiblichen Vater kam, sei es ihm schnell bessergegangen. "Das war eine Befreiung für mich", sagt der schlanke junge Mann und ringt sichtlich um Fassung. Er habe dann in einem halben Jahr 20 Kilo zugenommen und die Medikamente hätten ihm schnell geholfen. Im Vergleich zu damals fühle er sich heute recht gut. Alle paar Monate mache er jetzt eine ambulante Therapie.

Irgendwann geht der Vorsitzende Richter Ulrich Flechtner dazwischen: "Also ich würde sagen, irgendeiner belügt uns hier und zwar massiv." Was der Sohn und seine Mutter erzählten, sei genau das Gegenteil voneinander. "Irgendeiner erzählt hier absoluten Mist." Am ersten Prozesstag konnten diese Widersprüche noch nicht aufgelöst werden. Bis zum 25. Juli sind drei weitere Termine geplant.

Der Artikel wurde am 15. Juli um 18.54 Uhr aktualisiert.

 

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