Vorzeige-Grantler der deutschen Rocknation

4.12.2015, 16:00 Uhr
Vorzeige-Grantler der deutschen Rocknation

© Foto: Julia Hoppen/PR

Hübsch eingerichtet hat sich der Mensch in der Moderne. Viel futuristisch geformter Beton in der Höhe und Breite, kantig oder geschwungen. Der Himmel ist strahleblau, die Wolken schmutziggrau und die einzige Pfütze ist eine technoide Fata Morgana. Ein Affe gibt ein Denkmal ab, mit Antennen ausgestattete Enten bevölkern den Platz der himmlischen Ödnis, ein Piratenkopf formt sich aus dem Logo einer globalen Marke. Schön bunt hier, das Leben, aber auch schön rätselhaft, diese Welt.

Das neue Album der Band Fehlfarben trägt den Titel „Über . . . Menschen“, doch was auf dem eingangs beschriebenen Album-Cover auffällt, ist die Anwesenheit der Menschen als kleine stereotype Figuren im Hintergrund. Wirkt die schöne neue Welt so imposanter? Oder will sich da jemand aus der Verantwortung stehlen?

Das wird das resolute Musikerkollektiv, Ende der 1970er Jahre aus der legendären Düsseldorfer Punkszene erwachsen, nicht durchgehen lassen. Sein wütender Sänger Peter Hein ist noch immer der Vorzeige-Grantler der deutschen Rocknation, der nicht müde wird, die politischen, gesellschaftlichen, sozialen und sonstigen Verhältnisse ins Visier zu nehmen.

Das Leben und die Welt sind auf „Über . . . Menschen“ die in einem komplexen Zusammenhang stehenden Begriffe, die einer kritischen Analyse unterzogen werden. Der Mensch spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Der Rhythmus ist funky, wenn der Untergang der Welt gleich im ersten Song mit einer ironischen Volte noch einmal abgewendet werden kann. Selbst fortgeschrittener Kulturpessimismus im zweiten und dritten Stück führt nicht zur Katastrophe, denn „letztlich ist es unsere Welt“. Was Hein nicht davon abhält, danach gegen Berliner Verhältnisse allgemein und Berliner Hipster im Besonderen zu schimpfen – zum aufgeregten Disco-Beat von „Rein oder raus“ und zum schluffigen Reggae-Beat von „Urban Innozenz“.

Doch die Fehlfarben haben ihre Lektion in Dialektik gelernt. Rigorismus und Relativismus passen bei ihnen mittlerweile in ein kämpferisches Lied: Erst heißt es in „Schmerz Wut Genuss Mut“: „Oligarch, leck mich am Arsch!“, dann folgt wenig später die Aufforderung: „Genießen wir einfach gemeinsam das Leben, was Besseres als hier, wo soll es das geben!“ Zwischendrin verstörte Sounds und schräge Feedbacks, kein Wunder, wenn zwei Sichtweisen so unvermittelt aufeinanderprallen. Ein Chor leistet erste Hilfe mit kurzen Anweisungen wie „Jammere nicht!“ und „Gräme dich nicht!“. Im balladesken Akustikgitarrennebel von „Wir allein“ fordert Peter Hein sogar zu egoistischen Lebensplanungen auf.

Die Band untermalt den renitenten Gesang Heins mit bewährten Klängen der Verweigerung allzu offensichtlicher Bezüge und Verweise. Ein bisschen Punk, ein bisschen New Wave, einige testosteronfreie E-Gitarren-Riffs, einige dunkle Synthielicks, ein geloopter Bass Blumfeldscher Art, ein schrulliges Saxofon, ein bisschen davon, ein bisschen hiervon. Das Tempo ist öfter gedrosselt, die Stimmung nicht durchgehend aggressiv. Das ist der Kompromiss, den die Fehlfarben machen, denn die Erkenntnis ihres Albums ist zwiespältig und lässt sich mit dem Kollegen Andreas Dorau zusammenfassen: „Die Welt ist schlecht, das Leben ist schön, was ist daran nicht zu verstehen“.

Was die Fehlfarben mit Deutschland am Hut haben? Naja, sie wiedervereinten sich 1989, was Deutschland ein Jahr später tat. Als Agitatoren des Dagegens kommentieren sie im letzten Song mehr nebenbei, was alles so passieren kann, Tag und Nacht, im Leben und in der Welt. „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Friede und Freude und Eierkuchen“ oder „Kanzler und Volk und Vaterland“ klingen nach Mantren des geeinten Deutschlands. Die sechs Musiker geben zwar die Chronisten des politischen Wandels, doch ihre Identität braucht keinen nationalen Stolz. Da bleiben sie konsequent und kompromisslos.

Aktuelle CD: Fehlfarben, „Über . . . Menschen“ (Tapete Records/Indigo)

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