Was Flüchtlinge in Deutschland wirklich bekommen
20.1.2017, 05:55 UhrÜber welche Mittel Asylbewerber wirklich verfügen, erklärte Günter Merkel, Richter am Nürnberger Sozialgericht, in einem Vortrag für die Straßenkreuzer-Uni.
Bildung für alle – das wollen der Verein Straßenkreuzer und die Macher der Obdachlosenzeitung mit der Straßenkreuzer-Uni. 2010 ging das Projekt an den Start und heute sind die Säle voll, wenn ein interessanter Vortrag lockt. So auch im Sozialgericht in der Weintraubengasse. "Was steht Asylbewerbern zu?", lautet die Frage, die Chefredakteurin Ilse Weiß sowie Gabriele Koenig und Barbara Kressmann von der Straßenkreuzer-Uni stellen.
Antwort von Richter Günter Merkel: Zwar entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) über Asyl oder Ablehnung, der Klageweg läuft über die Verwaltungsgerichte, doch das Sozialgericht ist mit den Leistungen für Asylbewerber befasst.
Streit um Sozialleistungen
Das Sozialgericht ist gefragt, wenn Bürger mit den Trägern der Sozialversicherung oder den Behörden der Sozialverwaltung streiten – etwa über die Renten-, Kranken-, Unfall- oder die Pflegeversicherung. Im Katalog ist auch die Arbeitslosenversicherung und die Kriegsopfer- und Soldatenversorgung und eben auch das Asylbewerberleistungsgesetz. Um das Gesetz zu verstehen, so Günter Merkel, müsse man wissen, wie das Asylverfahren läuft.
Übrigens klagten im Jahr 2016 nicht einmal 30 Asylbewerber wegen möglicherweise zu geringer Leistungen, so der Richter. Seine Erklärung: eine niedrige Fehlerquote des Bamf, die Bescheide sind in deutscher Sprache verfasst und vielleicht seien die Betroffenen auch einfach zufrieden mit den deutschen Sozialleistungen.
Welche Leistungen gibt es?
In den Ersteinrichtungen bekommen Asylbewerber vor allem Sachleistungen (Unterkunft, Strom, Nahrung) und als erwachsene Alleinstehende 143 Euro Taschengeld. Zusammenlebende Partner erhalten je 129 Euro. Für Kinder zwischen dem sechsten und dem 17. Lebensjahr kommen durchschnittlich 80 Euro hinzu.
Ist ein Flüchtling länger als 15 Monate hier, stehen ihm Leistungen auf Sozialhilfe-Niveau zu. Diese Leistungen sind gestaffelt und hängen etwa vom Familienstand ab oder davon, ob jemand in einer Wohnung lebt oder in einer Sammelunterkunft. Versorgt er sich selbst in einer Wohnung, ist der Satz höher, da die Verpflegung in der Sammelunterkunft wegfällt.
Bereits im Jahr 2015 schlug Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor, den Hartz-IV-Satz für Flüchtlinge zu kürzen. Schwierig, da laut Bundesverfassungsgericht für jeden in Deutschland lebenden Menschen, ob Deutscher oder nicht, "ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum" besteht.
Mit dem Asylpaket II wurden Anfang 2016 die Leistungen für Asylbewerber gesenkt, auch weil sie sich mit einem Eigenanteil an den Kosten für Integrationskurse beteiligen sollen.
Eigenes Vermögen einbringen
Wer als Deutscher ein ansehnliches Bankkonto hat, bekommt auch erst einmal kein Hartz IV. Und so fordert das Asylbewerberleistungsgesetz, dass Flüchtlinge ihr Vermögen einbringen müssen, bevor sie Leistungen beziehen. Nur wer bedürftig ist, bekommt Hilfe. Wer selber Geld hat, muss erst einmal davon leben – die Grundlage dafür findet sich in den Paragrafen 7 und 7a des Asylbewerberleistungsgesetzes des Bundes, beide stammen bereits aus den 1990er Jahren.
Das Gesetz erlaubt einen Freibetrag von 200 Euro, ähnliche Regelungen gelten auch für Hartz-IV-Empfänger, wenngleich das Schonvermögen weit höher ist. Vermögen der Asylbewerber kann als Sicherheitsleistung eingezogen werden, um zu verhindern, dass sie ihr Geld ausgeben, bevor die Abrechnung der Sozialleistungen gemacht ist. Im Klartext: Asylbewerber können direkt beim Aufgriff durch die Polizei oder in den Aufnahmeeinrichtungen auf Wertsachen und Geld durchsucht werden.
Wird der Deutschunterricht bezahlt?
In den Genuss eines finanzierten Deutschkurses kommen nur Ausländer mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit oder Menschen, deren Asylantrag bereits bewilligt wurde. Ein Asylbewerber mit ungeklärtem Status muss für den Unterricht bezahlen oder auf ehrenamtliche Angebote hoffen.
Schon das Wort "Flüchtling" wird falsch verwendet
Im Verständnis des Asylrechts umfasst der Begriff ausschließlich "anerkannte Flüchtlinge" nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – das heißt Menschen, die nach Abschluss des Asylverfahrens auch den Flüchtlingsschutz erhalten.
Das Bamf unterscheidet zwischen Asylsuchenden (Personen, deren Asylantrag noch nicht amtlich erfasst ist) Asylyantragstellenden (über deren Verfahren wurde noch nicht entschieden) und Schutzberechtigten – etwa Personen, die aufgrund eines Abschiebeverbotes hierbleiben dürfen.
Wer sind die Schutzsuchenden?
2015 kamen, so die Zahlen des Bamf, 890.000 Schutzsuchende zu uns, 2016 waren es 280.000. 2015 wurden 476.676 Asylanträge gestellt, 2016 waren es 723.027. Die Erklärung für die widersprüchlichen Zahlen ist einfach: Die Aufnahmeeinrichtungen schafften es nicht, alle Anträge im Jahr der Ankunft entgegenzunehmen.
Die meisten Asylanträge stellten mit etwa 36 Prozent bisher Syrer. Es folgen Afghanistan (etwa 17 Prozent) und der Irak (etwa 13 Prozent) als nächsthäufige Herkunftsländer.
Was sagt das Recht?
Artikel 16 a des Grundgesetzes stellt klar: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Was genau Verfolgung bedeutet und wie Flüchtlinge behandelt werden müssen, konkretisiert die GFK.
Seit 2002 begründet nach ihrer allgemeinen Auslegung auch die Verfolgung wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung ein Asylrecht. Außerdem verbietet es die Europäische Menschenrechtskonvention, erfolglose Asylantragsteller in Länder zurückzuweisen, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Wem kein Asyl gewährt wird
Schutz kommt, so das Asylgesetz, nicht in Betracht, wenn jemand ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Wenn er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt oder, vor seiner Aufnahme als Flüchtling, außerhalb der BRD eine schwere, nichtpolitische Straftat beging.
Anerkannt wird der Flüchtling auch nicht, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung haben muss und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann. Die Anerkennungsquote als Asylberechtigter (wie es das Grundgesetz formuliert) liegt bei unter einem Prozent.
Wer darf in Deutschland bleiben?
Asylbewerber erhalten ihren unterschiedlichen Status je nach der Situation im Heimatland und den persönlichen Umständen. Neben der Asylberechtigung als politisch Verfolgte gibt es andere Schutzansprüche, die Asylbewerbern erlauben, in Deutschland zu bleiben: Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz und Abschiebungsverbot. Anrecht auf Flüchtlingsschutz haben Menschen, die etwa aufgrund ihrer Rasse oder Religionszugehörigkeit in ihrem Heimatland verfolgt werden. Von besagten 695.733 Anträgen traf dies auf knapp 37 Prozent zu.
Subsidiärer Schutz (22 Prozent) wird Flüchtlingen zuerkannt, die beispielsweise Folter oder die Todesstrafe in ihrer Heimat fürchten müssen.
Das Abschiebeverbot (3,5 Prozent) greift, wenn dem Flüchtling kein anderer Status zugesagt wurde, ihm in seinem Herkunftsland aber eine erhebliche Gefahr droht. Nur wenn keine der vier Schutzformen - Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder ein Abschiebeverbot - besteht, gibt es einen ablehnenden Bescheid.
Nachzug von Familienangehörigen
Im Jahr 2015 haben syrische Schutzsuchende pauschal fast ausschließlich Schutz nach der GFK erhalten – dies erklärt die hohe Anerkennungsquote, schließlich müssen Rückkehrer mit individueller Verfolgung durch das Assad-Regime rechnen.
Als 2015 fast eine Million Menschen eingereist waren, die überwiegende Anzahl aus Syrien, folgte im März 2016 der politische Schwenk: Seither wird jeder syrische Asylantrag individuell mit Anhörung geprüft, verstärkt wird der subsidiäre Schutz zugesprochen. Durch das Asylpaket II gibt es einen sehr gravierenden Unterschied zu Flüchtlingen nach der GFK: Für subsidiär Schutzberechtigte ist der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Auf die Verwaltungsgerichte – dort kann gegen die Entscheidung des Bamf geklagt werden – könnte daher eine Klagewelle zurollen.
Missbrauch von Sozialleistungen
Registrierung geschafft: Im August 2016 meldete das Bamf, dass mittlerweile alle eingereisten Flüchtlinge mit Fingerabdrücken, Foto und Personendaten erfasst wurden. Dies sorgt für Sicherheit: So hatte der Attentäter von Berlin, Anis Amri, angeblich 14 Identitäten benutzt, um sich an verschiedenen Orten als Asylsuchender registrieren zu lassen.
Die unzureichende Registrierung nutzten angeblich auch einige Asylbewerber aus dem Sudan aus. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 ließen sie sich angeblich unter falschen Namen mehrfach registrieren, um mehrfach Sozialleistungen abzugreifen. In Braunschweig ermittelt derzeit eine Sonderkommission wegen Sozialbetrugs. Der Gesamtschaden in Niedersachsen soll drei bis fünf Millionen Euro betragen.
68 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich zuvor registrieren.
0/1000 Zeichen