Wende beim Chinesen in der Stadt

2.2.2012, 18:01 Uhr
Wende beim Chinesen in der Stadt

© Roland Fengler

Wer einmal in China reiste und das Essen dort gekostet hat, dem dürfte es schwerfallen, je wieder in eines der Nürnberger China-Lokale zu gehen. Bis vor kurzem hat es dort überall ähnlich geschmeckt – und auch das Speise-Angebot war ähnlich, trotz unübersichtlich riesiger Speisekarten. Frühlingsrolle, Sauerscharf-Suppe, Chop Suey, Schweinefleisch süßsauer, Ente knusprig. Seit Yao Chingpan 1954 in der Himpfelshofstraße das erste China-Restaurant in der Stadt eröffnete, hat sich wenig an dieser Speisefolge geändert. Und das, obwohl Chinas Küche die vielfältigste der Welt ist.

„Die Deutschen essen beim Chinesen am liebsten Ente knusprig süßsauer“, sagt Frau Ying Ying Zhu, die es in ihrem Restaurant „Friend’s House“ ein wenig anders probiert. Und sie versucht zu erklären, warum das so ist: „Das liegt wohl vor allem daran, dass die einfache Geschmacksrichtung bei den Deutschen sehr gut angekommen ist. Gekocht wurde mit Zutaten – etwa beim Gemüse –, die es hier auch gibt, und Exotisches wie Sojasprossen oder Bambus bekam man früher nur in der Dose. Das haben die Deutschen als chinesische Küche akzeptiert. Außerdem haben sie eine Vorliebe für soßige Gerichte, um den Reis zu mischen. Und Schweinefleisch süßsauer oder Chop Suey, diese Standardgerichte sind von sich aus sehr soßig. Das hat ihnen geschmeckt. Deswegen sind die Köche dabeigeblieben.“

Die verbreitete chinesische Küche in Deutschland und damit auch in Nürnberg, ist also eine an einheimische Geschmacksgewohnheiten angepasste Küche. Und die hat wieder eigene Geschmacksgewohnheiten entwickelt, so dass manche Deutsche das wirkliche chinesische Essen mit Argwohn betrachten. Andererseits haben inzwischen viele Nürnberger China und seine kulinarischen Köstlichkeiten vor Ort kennengelernt. Und immer mehr Chinesen studieren oder arbeiten in der Metropolregion. Die sind mit den verbreiteten Speisekarten gar nicht zufrieden.

„Mir schmeckt das chinesische Essen hier nicht besonders“, sagt Yan Xu Lackner. Sie stammt aus China, leitet das Konfuzius Institut Nürnberg-Erlangen und ist mit dem Erlanger Sinologen Michael Lackner verheiratet. „Ich denke, es gibt verschiedene Gründe. Zum einen ist da der Zwang zur Integration. Man hat Angst, wenn wir wirklich chinesisch kochen würden, würden die Deutschen das gar nicht akzeptieren. Zum anderen können bestimmte Bedingungen hier nicht erfüllt werden. Viele Zutaten kriegt man nicht.“

Sie habe aber einen Vergleich gemacht zwischen dem Essen in chinesischen Restaurants hier und in Italien. Und da merke man die Anpassungsleistung der Chinesen. „Hier wird das chinesische Essen serviert in einem großen Teller mit Riesenportionen, mit viel Soße und sogenannten chinesischen Gemüsen dazu. Man kann satt werden“, sagt Yan Xu Lackner. „Geht man nach Italien, erlebt man was ganz anderes. Das chinesische Essen wird in verschiedenen Gängen serviert. Erster Gang: gebratene Nudeln, zweiter Gang: Eierstichsuppe, dritter Gang wieder etwas anderes. Da merkt man den Anpassungszwang. Die Menschen möchten gern Exotik haben. Aber zu viel Exotik verträgt man nicht. Da sucht man einen Zwischenweg.“

Anpassungsleistungen werden aber auch von Deutschen verlangt, die in China Geschäfte machen wollen. Wirtschaft läuft dort nicht ohne Essen. Der Nürnberger Tessloff Verlag hat die Lizenzen seiner berühmten „Was ist was“-Bücher in die Volksrepublik China verkauft. Dabei machte Tessloff-Geschäftsführerin Anja Saemann-Ischenko ihre eigenen kulinarischen Erfahrungen:

„Wann immer Chinesen mit ihren europäischen Geschäftspartnern an einem Tisch sitzen, werden sehr viele Speisen aufgefahren, die du alle essen musst, egal ob dich da ein Frosch mit großen Augen anschaut, ob du eine Echse am Spieß serviert kriegst, ob du ein Vogelnest entblätterst und ungebremst auf ein gekochtes Kücken schaust oder ob mit Gewürzen gearbeitet wurde, die dir den Magen umdrehen: Wichtig ist, immer zu lächeln und alles zu essen – selbstverständlich mit Stäbchen. Das ist schon eine Herausforderung.“

In Ying Ying Zhus Restaurant „Friend’s House“ gibt es weder Frosch noch Echse am Spieß. Aber auf ihrer „Insider-Karte“ bietet sie Gerichte an, die tatsächlich schmecken wie in China, etwa Eisberg-

Salat, gebraten in Austernsoße, oder Rindfleisch in Si-Chuan-Pfeffer mit Chiliöl, oder dünne Kartoffelstreifen, ganz kurz sautiert und scharf gewürzt. Typisch ist es, die ausgewählten Speisen auf einmal zu bestellen, sie in der Mitte des Tisches zu platzieren, sich mit einem Schälchen Reis zu versehen und dann mit den Stäbchen jeden Happen mit Reis zu vermengen.

Die Speisen von der Insider-Karte werden immer häufiger nachgefragt, nicht nur von Chinesen, sondern auch von Deutschen. „Es ändert sich gerade viel“, sagt Ying Ying Zhu. „Reisende, die in China waren und wieder zurückkommen, haben das Bedürfnis, richtige chinesische Küche auch in Deutschland zu bekommen.“ Und so wird sich wohl auch in Nürnberg der Geschmack allmählich abwenden vom eingedeutschten chinesischen Einheits-Stil. Damit man auch hier den Himmel im Essen erblicken kann.

Mehr Informationen über das Friend´s House in unserer Rubrik Essen und Trinken!

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