"Alphatier" Westernhagen spielte neues Album im Löwensaal

18.4.2014, 21:17 Uhr
"Alphatier" in seinem Element: Westernhagen auf der Bühne im Löwensaal.

© Günter Distler "Alphatier" in seinem Element: Westernhagen auf der Bühne im Löwensaal.

Antrittsbesuche können eine heikle Sache sein. Nicht nur mit der frischen Flamme bei den Eltern. Auch mit einem Haufen völlig neuer Songs vor einem Haufen angestammter und hymnenverwöhnter Fans. Da sei der Ort der Begegnung mit Bedacht gewählt. Dass nun der – rasch ausverkaufte – Löwensaal mit seiner steten Anmutung eines vergessenen, realsozialistischen Mausoleums Schauplatz des Erstschlags mit dem neuen Album „Alphatier“ sein würde – okay, womöglich machte das sogar Sinn!

Denn hatte uns der frühe Marius nicht schon auf seinem 78er Klassiker „Mit 18“ sehr, sehr schmutzig entgegengerotzt, er wolle zurück auf die Straße? „Denn Geld liegt bekanntlich im Dreck und Straßen sind aus Dreck gebaut“?

Woraus der Löwensaal gebaut ist, soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Dass die Akustik darin schon mal klingt wie aus dem Kalten Krieg, ist ebenfalls nichts Neues. Trotzdem war die Stimmung erwartungsfroh und auf bodenständige Art sogar feierlich. Dem Stadion – wo Westernhagen im Zuge seines Mainstream-Hochs mit dem Album „Affentheater“ im Jahr 1994 ebenfalls schon gerockt hatte – war der Abend dennoch näher als dem Opernhaus. Es roch auch entsprechend.

Mit „Hereinspaziert“ eröffnete er den Abend, zupackend, Neugierde weckend. Marius, der Schlaks im grauen Hemd, als erprobter Schauspieler auch pantomimisch ein interessanter Typ: mit 65 ist er noch immer gut vorzeigbar. Prächtig ätzte die Stimme. Sieben präzise losgehende amerikanische Musiker stärkten dem nölenden Frontmann den Rücken.
Mit dem Typen im weißen Unterhemd oder dem Lustmolch in der Damentoilette – den er auf früheren LP-Covern gab – hat er heute nichts mehr gemein. Mit dem Wechsel in die Oberliga der Charts – allein vier Millionen-Seller in den 90ern – fand Westernhagen den Weg zum guten Kleiderschrank. Das Model Romney, das bis vergangenen Herbst 25 Jahre seine Frau war, hatte Anteil daran. Auch ein Verdienst.

Alphatiere sind im animalischen Reich der Wildnis die Rudelchefs. Marius – ein Alphatier? Die Wucht des Begriffs habe ihn auf einer Safari getroffen, als ein Elefant fast den Jeep gerammt hätte, plauderte der Künstler vor dem Konzert bei einem kleinen Pressegespräch aus dem Nähkästchen. Wie markant der Begriff „Alphatier“ rüberkomme, sei ihm bewusst. Doch: „Die Platte ist drastisch, ziemlich dark.“ In jedem Alphatier stecke auch physisch was Beeindruckendes, so Westernhagen. Um schmunzelnd tiefzustapeln: „Das bin ich nicht.“

Eher sehe er sich auf der Rockbühne als ein Schauspieler, der die Lieder wie Theaterstücke interpretiere, fügt der 1948 geborene Düsseldorfer hinzu. Dass er noch vor den Künsten das Drama des Lebens interpretieren musste, prägte ihn: Ein schwieriges Verhältnis zur Mutter, der Angestellten Liselotte, und dem früh verstorbenen Vater, dem Gründgens-Schauspieler Hans Müller-Westernhagen, hallte in mancher Rebellenpose seiner Rockpoesie noch nach.

Ein Rollenspieler ist er geblieben. „Clown“ heißt eines von den neuen Liedern, die sich insgesamt gut ohne Vorkenntnisse erschlossen. Es sind knackige Riffs darunter. Viel Mühe gibt Westernhagen sich seit einiger Zeit mit den Texten. Weniger Gosse, mehr Poesie.

Da mochte die Wirklichkeit nachgeholfen haben, ein roter Faden durchs Programm führte direkt in des Sängers Herz: Aus seiner frischen Beziehung mit der Background-Sängerin Lindiwe Suttle machte der Mann auf der Bühne nicht nur keinen Hehl, sondern manchen Turteltanz. Bleibt diesem Glück nur zu wünschen, dass ihm eine Zukunft bevorstehe, die ähnlich geartet ist, wie Suttles Gesang: zweifellos großartig.

Er fühle sich geehrt, Sänger dieser Band zu sein, sagte Westernhagen (was für Worte, wo er doch ihr Brötchengeber ist). Beseelt wirkte sein Gesang: Texte hochdeutsch, Stimmlage tiefschwarz, Blues, Rock, Soul.

Die Taschenspielertricks eines Profis waren da nah zu erleben, der nach den Massenrock-Jahren die Direktheit von Club-Gigs freudig meisterte. Freilich, es galt, mit der Tour ein Album zu bewerben, das nach dem letzten Konzerttag am 25. April erscheint.

Mit den Zugaben wurde der Rockschuppen zum Volksfestzelt. Mit der Weiberhelden-Hymne „Willenlos“, bei deren Schunkelpotenzial selbst die unbestechlich gut arrangierte Band die Segel strich, was Erneuerung betraf. Oder mit dem steinalten Nachtstück vom „Taximann“, mit „Sexy“ und so fort. Das war zwar Ohrwurmspaß fürs Rudel – doch bewegte sich auf vorhersehbarem Terrain.

Dann lieber das „Alphatier“ und seine Abenteuer.

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