„Wir haben uns zu einem normalen Verein entwickelt“

7.6.2013, 13:00 Uhr
„Wir haben uns zu einem normalen Verein entwickelt“

© Weigert

Herr Nossen, TuS Bar Kochba wurde vor 100 Jahren als jüdischer Verein gegründet und trägt den Davidstern im Vereinswappen. Wie viele jüdische Mitglieder hat der Klub eigentlich heute noch?

Nossen: Ich bin das einzige aktive jüdische Mitglied. Die anderen sind ausgewandert. Nach Israel, nach Kanada, in die USA und auch in Zürich und London leben einige.

Warum sind so viele ausgewandert?


Nossen: Sie haben woanders bessere Perspektiven für sich und ihre Familien gesehen. Ich bin 1970 mit meiner Frau auch nach Israel gezogen, aber wir kamen schon nach einem Jahr zurück, weil uns das Leben dort zu teuer wurde. Ich kenne auch ehemalige TuS Bar Kochba-Mitglieder, die nach Israel gegangen sind, um dort eine jüdische Religionsschule zu besuchen. Hier gab es keine.

Unter den Nazis wurde TuS Bar Kochba, wie alle jüdischen Vereine, verboten. Wann und wie kam es zur Neugründung?

Nossen: 1966 haben wir TuS Bar Kochba neu gegründet. Ich war neben Arno Hamburger und Paul Baruch einer der Initiatoren. In der jüdischen Gemeinde hier in Nürnberg gab es damals viele begeisterte Fußballer. Ein- bis zweimal im Jahr haben wir gegen eine jüdische Mannschaft aus München gespielt. Irgendwann wollten wir dann einen Verein gründen. Wir wussten anfangs gar nicht, dass es von 1913 bis 1939 TuS Bar Kochba gab. Als wir es erfahren haben, wollten wir den Verein wiederbeleben. Der jüdische Landesverband und die israelitische Kultusgemeinde Nürnberg haben uns dabei finanziell sehr geholfen.

Stand der Verein auch für Nichtjuden offen?


Nossen: Ja. Zu unseren besten Zeiten hatten wir ungefähr 100 Mitglieder, davon waren noch über 70 Prozent Juden. Als dann immer mehr jüdische Vereinsmitglieder ausgewandert sind, wurden es weniger. Wir haben dann angefangen, Fußballer anzusprechen, die wir auf der Wöhrder Wiese beim Bolzen gesehen haben. Es waren dann alle möglichen Nationen bei TuS Bar Kochba vertreten, Inder, Südafrikaner, Spanier, Portugiesen. Unser erstes Punktspiel Anfang der 70er Jahre haben wir beim Meister des Vorjahres 3:0 gewonnen, und da hat ein Inder alle drei Tore geschossen.

Warum gibt es heute nur noch eine Fußball-Altherrentruppe?

Nossen: Früher wurde in unserem Verein auch Tischtennis und Schach gespielt. Unsere Fußballmannschaft hat in den 80er Jahren in der C-Klasse gespielt. Das war die höchste Liga, in der wir je gespielt haben. Unsere beste Platzierung war der 5. Platz. Und in den frühen 70er Jahren, als unser Verein noch ausreichend Geld hatte, haben wir sogar mal Stefan Reisch als Trainer zu uns geholt, der mit dem Club 1961 die Meisterschaft und 1962 den DFB-Pokal geholt hat. Er hat dann für 300 Mark im Monat unsere erste Mannschaft trainiert. Aber als dann immer mehr Juden auswanderten, gingen die Mitgliederzahlen zurück. Ich schätze, dass wir heute etwa 55 Mitglieder haben, und, wie gesagt, darunter nur ein jüdisches. Wir haben uns also zu einem ganz normalen Fußballverein entwickelt.

Das klingt, als hätte TuS Bar seine besten Zeiten schon hinter sich. Wie soll die Zukunft aussehen?

„Wir haben uns zu einem normalen Verein entwickelt“

© Stadtarchiv

Nossen: Wir wollen unsere Tischtennis- und Schachabteilung wiederbeleben. Ob es mit Tischtennis klappt, ist im Augenblick noch eher vage. Beim Schach habe ich größere Hoffnungen. Denn in der jüdischen Gemeinde gibt es immer mehr gute Schachspieler.

Kommen einige von ihnen aus der ehemaligen Sowjetunion? Die war ja eine große Schachnation, und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind von dort viele Juden ausgewandert.


Nossen: So ist es. Gehen Sie davon aus, dass alle unsere Schachspieler aus der ehemaligen Sowjetunion kommen.

Wie sieht es bei den Schachspielern dann mit Deutschkenntnissen aus?

Nossen: Es bessert sich. Vor ein paar Jahren wollte ich bei einer Generalversammlung unseres Dachverbandes Makkabi noch den Antrag stellen, dass bei unseren Versammlungen Deutsch gesprochen wird. Inzwischen ist das selbstverständlich.

Sie haben vorhin gesagt, dass sich TuS Bar inzwischen zu einem „ganz normalen“ Verein entwickelt hat. Gibt es dennoch etwas, das ihn auszeichnet und zu etwas Besonderem macht?

Nossen: Ich würde sagen, dass die Gemeinschaft bei uns ganz besonders ist. Seit ein paar Jahren machen wir jedes Jahr ein Freundschaftsspiel im Ausland. Ich habe zum Beispiel eine Fahrt nach Budapest in sehr guter Erinnerung. Unvergesslich war auch ein Spiel auf Mallorca. Da hat unser Gegner, gegen den wir eigentlich antreten wollten, kurzfristig abgesagt. Dann sind wir durch Zufall auf eine andere Mannschaft gestoßen, die gegen uns antreten wollte. Es war ein verrücktes Spiel. Wir lagen zwischenzeitlich 0:8 zurück. Dann war bei uns plötzlich jeder Schuss drin, und unser Torwart hat alles gehalten. Am Ende haben wir 9:8 gewonnen. 

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