WM-Training mit dem Cappuccino-Meister

28.4.2014, 11:35 Uhr
„Latte Art ist meine Bühne“: Christian Ullrich zaubert mit Kaffee und Milchschaum (fast) alles in die Tasse. Hier hat er einen Schwan und eine Tulpe gegossen.

© Michael Matejka „Latte Art ist meine Bühne“: Christian Ullrich zaubert mit Kaffee und Milchschaum (fast) alles in die Tasse. Hier hat er einen Schwan und eine Tulpe gegossen.

Der Espresso

Ein dünner Strahl läuft aus der Siebträgermaschine in zwei Tassen. Kaffeearoma steigt in die Nase, die letzten Tropfen fallen in die Crema. Perfekt. Zumindest für den Beobachter. Aber nicht für den Mann an der Maschine. Christian Ullrich wirft einen kurzen Blick in die Tassen, dann kippt er den Inhalt in die Spüle. „Gefällt mir noch nicht“, sagt der 25-Jährige. „Die Crema ist zu hell.“ Ullrich will mehr in der Tasse haben als Aroma und den Koffein-Kick für Zwischendurch. Aus diesem Espresso soll ein Kunstwerk werden — und am besten eines, das vor ihm noch keiner geschaffen hat.

Christian Ullrich ist gelernter Hotelfachmann und Barista, also ein professioneller Kaffeezubereiter – und seit letztem Jahr auch deutscher Latte-Art-Meister. Einen Großteil seiner Zeit verbringt er damit, mit Kaffee und Milchschaum hübsche Bildchen in Tassen zu gießen: Farnblätter, Tulpen, ein Pferd oder kuschelnde Teddybären beispielsweise. Oder Muster, bei denen sich Kleckse und Wellen zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Mit dem deutschen Titel hat er das Ticket zur WM in Melbourne gelöst. Im Mai geht es los, und bis dahin muss alles sitzen. Auch der Espresso.

„Das ist wie beim Kochen: Man muss erst die Grundsoßen beherrschen“, sagt Ullrich. „Es bringt ja nichts, wenn der Cappuccino schön aussieht, aber nicht gut schmeckt.“ Mahlgrad und Pulvermenge sind die Stellschrauben, an denen gedreht wird, bis der Espresso dickflüssig und ölig in die Tasse rinnt. Mit dunkler Crema. „Das ist wichtig für den Kontrast.“

Die Milch

Die Milch ist eine Diva. Sie will mit Gefühl behandelt werden, nur dann wird sie zur feinporigen Krönung auf dem Cappuccino. Nicht zu dünnflüssig soll der Schaum sein und nicht zu fest, ein schmaler Grat. Der Laie rackert sich dafür mit surrenden Elektrostäben oder kleckernden Stampfern ab – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Ullrich arbeitet anders, die zischende Dampf-Lanze an der Kaffeemaschine lässt die Milch im Kännchen anschwellen. „Erst kommt die Ziehphase, in der Luft untergehoben wird“, erklärt der Profi. Dabei bleibt der Metallstab knapp unter der weißen Oberfläche. Zehn Sekunden lang steigt die Milch so im Kännchen nach oben, dann taucht Ullrich die Lanze tiefer ein, die Rollphase beginnt. „Jetzt zirkuliert die Milch im Kännchen, die Luftbläschen zerplatzen und werden zu Mikroschaum.“

Nach nicht mal einer Minute ist das Spektakel vorbei und das Kännchen fast randvoll mit glänzendem Milchschaum. „Fett ist für das Aufschäumen nicht wichtig“, räumt Ullrich mit einem gängigen Irrtum auf. „Es kommt auf den Eiweißgehalt an.“ Ob H- oder Frischmilch, ist egal.

Der Künstler

Es sieht leicht aus. Ullrich gießt die Milch zügig auf den Espresso. „Das ist das Milchfundament“ sagt der Latte-Art-Künstler. „Dabei schlüpft der flüssige Milchschaum unter die Crema.“

Teddybären zum Trinken kommen immer gut an. Für ein putziges Gesichtchen malt Ullrich mit dem Latte-ArtBesteck in den Schaum.

Teddybären zum Trinken kommen immer gut an. Für ein putziges Gesichtchen malt Ullrich mit dem Latte-ArtBesteck in den Schaum. © Ullrich/oh

Erst wenn die Tasse bereits halbvoll ist, setzt er das Kännchen am Tassenrand ab. Mehrmals hintereinander lässt er Schaum herausschwappen. Weiße Punkte breiten sich im Braun aus, Wellen und Linien. Für manche Motive dreht Ullrich die Tasse mehrmals, gießt von verschiedenen Seiten ein halbes Dutzend Muster zu einem zusammen. Für Feinarbeiten greift er zum Latte-Art-Besteck: Mit Löffel und Lanze tupft er Schaumpunkte in die Tasse. Er arbeitet Konturen nach oder schreibt sogar Kurznachrichten ins Weiß.

Seit Ullrich sich 2007 bei einem Seminar mit dem Latte-Art-Virus infiziert hat, ist er Schritt für Schritt zu einem gefragten Entertainer und geprüften Experten für die perfekte Kaffeepause geworden. Nürnberg scheint dafür ein gutes Pflaster zu sein: Luzia Taschler, die in der Gostenhofer Rösterei Machhörndl arbeitet, hat 2012 den deutschen Titel geholt und saß 2013 in der Jury.

Die Meisterschaft

Wenn Ullrich im Mai in Melbourne vor die Jury tritt, muss er unter anderem ein Foto mit einem Meisterstück vorlegen. Das, was darauf zu sehen ist, muss er vor den Augen der Jury zweimal identisch gießen. Es zählt, ob die Anzahl der Milch-Schwünge gleich ist, ob unschöne Schlieren die Crema stören und die Schwierigkeit des Motivs. Aber auch Selbstbewusstsein, Freundlichkeit und der Auftritt hinter der Kaffeebar.

Dafür übt der Barista derzeit jeden Abend drei bis vier Stunden in seinem „Trainingsraum“, der „Rösttrommel“ Auf AEG. Zehn Liter Milch und ein Kilo Kaffee gehen pro Abend drauf, Deutschlands schönste Cappuccini fließen reihenweise in den Abfluss. Und was wird er nun bei der WM in die Tassen zaubern? Das, sagt Ullrich, könne er nun wirklich nicht verraten, auch nicht unter vier Augen, die Konkurrenz schläft schließlich nicht.

Am Ende lässt er sich doch überreden und gießt die preisverdächtige... Halt. Versprochen ist versprochen. Wer es unbedingt wissen will: Donnerstags ist Ullrich meist in der Rösttrommel, Äußere Laufer Gasse 34, zu finden. Gut möglich, dass er dort nach der WM den einen oder anderen Cappuccino mit Weltmeisterschafts-Kreation über den Tresen schiebt.

Hier finden Sie eine kleine Anleitung, wie Sie ihr eigenes erstes Herz in die Tasse zaubern.

Keine Kommentare