Wo Engelsschwingen Alt und Neu verbinden

19.7.2018, 21:03 Uhr
Unter dem Schutz des Engels? Die schillernde Skulptur von Sebastian Hertrich beeindruckte nicht nur die Verlegerinnen Bärbel Schnell und Sabine Schnell-Pleyer zutiefst. Sie überstrahlte ihren Ausstellungsraum – und ging spannende Allianzen mit anderen Kunstwerken ein, unter anderem mit Sabrina d’Aglianos grenzenloser Wasserwelt „Nacht II“ (links).

© Stefan Hippel Unter dem Schutz des Engels? Die schillernde Skulptur von Sebastian Hertrich beeindruckte nicht nur die Verlegerinnen Bärbel Schnell und Sabine Schnell-Pleyer zutiefst. Sie überstrahlte ihren Ausstellungsraum – und ging spannende Allianzen mit anderen Kunstwerken ein, unter anderem mit Sabrina d’Aglianos grenzenloser Wasserwelt „Nacht II“ (links).

Ein Sommerabend wie gemalt für ein Kunstfest. Meeresbrisengleich kühlt der Wind die Hitze zwischen den alten Mauern, fächelt über die Stuhlreihen und die an Stehtischen versammelten Kunstfreunde. Auf der Bühne haben sich Vali Mayer (Bass) und Martin Weiss (Violine) bereits musikalisch vorgestellt, Moderator Rainer Kretschmann beginnt mit den Begrüßungen – ja, eigentlich ist alles wie immer. "Und doch ist alles anders: Erstmals kann ich Sie nicht in seinem Namen begrüßen; Verleger Bruno Schnell ist nicht mehr unter uns."

Die Freude am von ihm ins Leben gerufenen Kunstpreis und am Eröffnungsabend zur Ausstellung jedoch bleibt. Insgesamt acht Preisträger kürte die Jury, der auch Schnells Töchter Bärbel Schnell und Sabine Schnell-Pleyer angehörten, anhand der Originalwerke. Die Jury-Vorsitzende Julia Lehner erinnert an das eigene künstlerische Talent des verstorbenen Verlegers, der Kunst stets kaufte, "ohne wie andere damit Profit machen zu wollen".

"Teilhabe, Wertschätzung und Verlässlichkeit" seien drei entscheidende Parameter in der Gestaltung dieses weit über die nordbayerische Region hinaus wirkenden Kunstpreises, der sich an alle wende, die sich zu einem künstlerischen Weg berufen fühlen, auch an Autodidakten. Zudem sei es Schnell wichtig gewesen, allen Interessierten freien Zugang zur Ausstellung zu ermöglichen, um sich mit Kunst auseinandersetzen zu können. "Er war auch nicht immer einer Meinung mit den Juroren", weiß Lehner. Doch gab es von seiner Seite eben diese "Verlässlichkeit, den Preis weiterhin auszuloben und ihn zu entwickeln. Also: Alles bleibt anders – oder, wie Bruno vielleicht gesagt hätte: ,Ned nachlass’n!‘"

Unter viel Beifall nehmen Künstlerinnen und Künstler Urkunden und Blumen entgegen, besonders die Damen haben sich zu diesem Anlass in Schale geworfen. Bei den Herren sieht man auch Jeans und offene Schuhe – gleichermaßen breit ist die Gewandungspalette des Publikums, das nun wahlweise zum Bier, Wein und Buffet oder zur Kunst drängt.

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"Natürlich ist das erst mal schwierig", schildert Sabine Schnell-Pleyer ihr Erleben dieser Kunstpreiseröffnung. "Wir haben über meinen Vater zur Kunst gefunden, waren häufig in Ausstellungen und haben Kunst von klein auf miterlebt. Sie hing überall, zu Hause und im Büro. Es ist für mich eine Ehre, den Kunstpreis weiterzuführen." Fasziniert hat sie 2018 insbesondere die Engelsskulptur "Nike" von Sebastian Hertrich (zweiter Preis). "Engel sind für mich als Kraft- und Geborgenheitsgeber in dieser turbulenten Zeit, in der jeder nach Orientierung sucht, besonders wichtig."

Dann stößt sie mit ihrem Mann Theo Pleyer erst mal an. Ein kühles Bier gibt’s – auch für Johannes Felder, der den ersten Preis für sein Gemälde "Preußische Glut" erhielt. Wie erlebt er diese Schau, wovor bleibt er stehen, was zieht ihn an? Er überlegt. Lange. Dann lässt er das Bier stehen. Erste Station: "Mickey Mouse" von Jochen Lebert. "Das erfreut mich. Irgendwie ist es sehr lieb, obwohl ,lieb‘ kein gutes Wort ist. Mickey lacht, doch sie wandelt auf einem Trottoir in der Nacht; und vermutlich ist es ein Darsteller mit Maske, unter der sich der weinende Clown verbirgt."

Nächster Raum? Nein. Nächster. Da zieht es ihn zu Sabine Neubauers "Reclam Filetiert". Neun aufgefädelte Bahnen mit Reclam-Seiten. "Ein Objekt aus Papier, das für mich als Maler fast wie Malerei wirkt. Ein Zwischenwesen. Die Arbeit ist auch farblich ein sehr schönes Pendant zu "Nike"; sehr gut gestellt und gehängt! Hier der kupfrige Glanz, dort der Kontrast zur vergilbten Modernität." Und dann natürlich Fatma Güdüs "Genugtuung" (siehe Foto unten): "Geheimnisvoll! Und der Boden mit dieser krassen Dimension! Was wirft da diesen Schatten?"

Er steht, blickt unverwandt. Dann weckt ihn eine Frage. Was macht er mit den 8500 Euro, seinem Preisgeld? Schräges Grinsen. "Meine Tochter kommt in die Schule und braucht einen Schulranzen. Ich denke, ich lasse ihr einen entwerfen. Mit vergoldeten Verschlüssen!"

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Gold muss es für Gerlind Zerweck nicht sein. Dafür Energiefarben satt: Gebannt steht die langjährige, ehemalige SPD-Stadträtin vor Regine von Chossys Arbeit "Slowfox". "So viele Farbspitzen, die gegeneinander spielen und sich dennoch zu einer schönen, geschlossenen Form zusammenfügen; sehr räumlich – und die Bewegung ist wichtig!" Neben Zerweck juchzt die Künstlerin beglückt – genau das wolle sie vermitteln. Man versteht sich. Spricht über Stifte, Material und Wirkung. Und von Chossy erzählt, wie viel sie Bruno Schnell künstlerisch zu verdanken hat.

Im Garten genießen die Kunstfreunde indes die laue Sommernacht, an Stehtischen im Gespräch oder still auf Holz- und Steinstufen sitzend; ein Glas Bier oder Wein in der Hand und vielfach ganz dem mitreißenden Zigeunerjazz hingegeben, während blaue, grüne, gelbe und rote Scheinwerfer auf Laub und Mauern eigene, flirrende Gemälde malen. 23 Uhr. Eigentlich ist Schluss, so die Musiker. Eine Zugabe aber geht noch.

Besucher klatschen und wippen vor der Bühne zu den fesselnden Klängen – wenige Meter dahinter trennen sich andere von der romantischen Kulisse und verabschieden sich von Bärbel Schnell und ihrem Mann Bernd Vestner. "Parallel zur Kunst habe ich diesen wunderschönen Sommerabend, die aufgeschlossenen Menschen und schönen Gespräche genossen", sagt Bärbel Schnell strahlend.

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Welches Werk hat sie am meisten gepackt? "Wie bei meiner Schwester ist es der Engel. Dieser Übergang von Alt zu Neu, der Engel, der uns Orientierung gibt ." Die Jury-Entscheidung, Johannes Felder den ersten Preis zu geben, halte sie jedoch für absolut richtig: "Sein Werk ist so vielseitig interpretierbar!"

Oft habe sie heute natürlich an ihren Vater gedacht: "Ich habe mich immer gefragt, ob er sich über das gefreut hätte, was wir in diesem Jahr gemacht und ausgewählt haben." Kurz scheint sie in Gedanken nur der Musik zu lauschen. Dann: "Ich glaube, wir haben es gut gemacht. Ich denke, er wäre zufrieden."

77 Werke von 66 Künstlerinnen und Künstlern sind bis 2. September im Kunsthaus Nürnberg, Königstraße 93, zu sehen (Di.–So. 10–18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr). Der Eintritt ist frei. Führungen (3 Euro) jeden Sonntag um 16 Uhr. Der Katalog kostet 15 Euro.

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