Wo Fabrikanten und Bankiers residierten

4.1.2012, 17:34 Uhr
Wo Fabrikanten und Bankiers residierten

© Roland Fengler

Um 1880 begann die Errichtung von Mietshäusern für gut situierte Familien mit Schaufassaden in historisierenden Baustilen. Gleichzeitig ließen sich Industriebtriebe im Viertel nieder. Nürnbergplus und Geschichte für Alle laden zu einem Bummel durch St.Johannis ein. Mit unserem Artikel können Sie eigenständig auf Erkundungstour gehen.

Der Streifzug beginnt an der Campestraße 10. Die 1899 im Rokokostil erbaute Villa gehörte der angesehenen jüdischen Unternehmerfamilie Kohn. Emil Kohn entstammte einer Hopfenhändlerfamilie aus Markt Erlbach. Er übernahm 1882 zusammen mit seinem Bruder Georg die väterliche Firma, die neben dem Hopfenhandel zudem ein Bank- und Wechselgeschäft umfasste. Sechs Jahre später konzentrierte sich Emil Kohn ausschließlich auf die Führung des Bankhauses an der Lorenzkirche. Der beachtliche berufliche Erfolg ermöglichte es ihm, die wohl imposanteste Villa von St. Johannis in einem riesigen Gartengrundstück bauen zu lassen. An dem Bauwerk beeindrucken insbesondere der Treppenturm mit Stuckdecke sowie das üppige Rokokodekor.

Während der Reichkristallnacht 1938 stürmte die SA das Gebäude und zerschlug die gesamte Wohnungseinrichtung. Die Villa wurde im Zuge der gewaltsamen Enteignung jüdischen Vermögens beschlagnahmt und 1940 dem Reichsarbeitsdienst zur Verfügung gestellt. Bis auf wenige Familienmitglieder der jüngsten Generation, die in die USA emigrieren konnten, fiel die Familie Kohn dem Holocaust zum Opfer. Nach einem mühsamen Rückgabeverfahren veräußerten die Enkeltöchter Charlotte und Helene Kann das Grundstück 1955 an die Gesellschaft Museum. Inzwischen mussten wegen der immensen Unterhaltskosten des Gebäudes Teile des Gartens an das Wohnbauprojekt „Campe-Park“ veräußert werden. Heute sind in der Villa, abgesehen von den Räumen der Gesellschaft Museum, ein Restaurant, eine Tanzschule sowie ein Architekturbüro zu finden.

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© Roland Fengler

Das gegenüberliegende Gebäude Campestraße 17 wirkt im Vergleich fast schon bescheiden. Die 1909 errichte Villa im Spätjugendstil gehörte dem Kommerzienrat und Fabrikanten Eduard Bach.

Nach nur wenigen Schritten erreichen wir die Wielandstraße. Das Eckgrundstück mit der Hausnummer 23 stellt beispielhaft den in den 1920er Jahren vollzogenen Übergang vom Villenbau zum Zweifamilienhaus mit einfachen Formen und wenig verspielten Details dar. Das Gebäude wurde 1923 als Wohnhaus für hohe Verwaltungsangestellte der M.A.N. errichtet. Architekt war Ludwig Ruff, der später den Entwurf für die Kongresshalle am Dutzendteich lieferte.

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Auf dem Grundstück Wielandstraße 27 befand sich ursprünglich die 1886 erbaute Villa der Kaufmannsfamilie Leuchs. Anselm Hirsch, Besitzer einer Leonischen Drahtwarenfabrik, erwarb das Grundstück, ließ das alte Gebäude abreißen und 1914 mit einer deutlich größeren Villa bebauen. Über dem Eingang befindet sich ein Relief mit einem Hirsch auf dem ein Kind sitzt, als Anspielung auf den Namen des Bauherren. Architekt war Hans Pylipp, der u.a. den Rathausneubau am Fünferplatz entworfen hatte. Das herrschaftliche Gebäude mit Turmanbau bewohnte die Familie aber nicht lange.

Das Nürnberger Adressbuch von 1924 gibt als Familienwohnsitz bereits New York an. Dieses Anwesen wurde ebenfalls in der Nazizeit enteignet und ab 1939 als Offiziersclub der Luftwaffe genutzt. 1945 beschlagnahmte die Besatzungsmacht das Gebäude. Später wurde der Bund Eigentümer der Villa, der hier eine „Hauptstelle für Befragungswesen“ einrichtete. Deren Aufgabe stellt das Sammeln von Informationen von Aus- und Übersiedlern über die Verhältnisse in deren Heimatländer dar. Weil die Fensterläden ständig geschlossen waren und das Gebäude einen unbewohnten, verlassenen Eindruck machte, kursierte in der Nachbarschaft das Gerücht, dass sich hier eine Zentrale des Geheimdienstes befinden würde.

Gleich nebenan können wir ein weiteres Herrschaftshaus bewundern. Die Villa Wielandstraße 29 steht zurückgesetzt in einem Gartengrundstück. Das um 1914 errichtete Gebäude bewohnte der Richter Hesselberger.

Bomben zerstörten Bleistiftfabrik

Wir biegen nun rechts in die Lange Zeile ab und erreichen, vorbei an der 1886 erbauten Neorenaissancevilla mit der Hausnummer 33, den Kirchenweg. Am Kirchenweg 5 gründete Heinrich Christian Kurz 1882 seine zweite Bleistiftfabrik. Seine erste Firma am Maxtor hatte er an Gustav Schwanhäußer, den Schwiegersohn seines damaligen Kompagnons, veräußert. Das Unternehmen H.C. Kurz expandierte schnell und bald konnten Filialen in Berlin und St. Petersburg errichtet werden. Nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und anschließendem Wiederaufbau kam 1963 nach einem Fabrikbrand das Ende der Bleistiftfabrikation. Das Grundstück wurde in der Folgezeit größtenteils mit schmucklosen Neubauten überbaut. Bis 2006 stellte die Firma in der Langen Zeile 42 noch Kosmetikartikel her.

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Gegenüber am Kirchenweg 10 befindet sich das ehemalige Verwaltungsgebäude der Bleistiftfabrik Staedtler in dem heute das Finanzamt Nürnberg-Nord untergebracht ist. Der Traditionsname Staedtler lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. 1883 wurde Ludwig Kreutzer Alleininhaber und verlegte 1898 den Firmensitz nach St. Johannis. Auf einem weitläufigen Gartengelände zwischen Kirchenweg und Rieterstraße ließ er neben den Fabrikgebäuden überdies ein repräsentatives Wohnhaus errichten. Die Firma expandierte kontinuierlich, Handelsvertretungen in Paris und London später auch in New York und Osaka entstanden. Nach dem Wiederaufbau setzte sich die Erfolgsgeschichte des Unternehmens fort. Die Beschäftigtenzahl stieg auf über 1000 Mitarbeiter an.1988 entschloss sich die Firmenleitung aus Platzgründen den Sitz in die Moosäckerstraße im Norden Nürnberg zu verlegen.

An die Spielzeugfabrik der Gebrüder Fleischmann erinnert gegenwärtig nur noch eine großflächige Werbung am Hausgiebel des Gebäudes Kirchenweg 13. Die von Jean Fleischmann vor 125 Jahren gegründete Firma zog 1889 an den Kirchenweg um und stellte Blechspielzeug, so genannte „maritime Spielwaren“ – Schiffe, Schwimmtiere und Springbrunnen – her. Erst nach Übernahme der jüdischen Unternehmens Doll & Co. 1938 kamen Modelleisenbahnen ins Sortiment. Seit 1957 produziert die Firma Lokomotiven und Waggons in der Spurweite HO.

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Das Besondere an den Fleischmann-Modelleisenbahnen war das Zweileiter-Gleichstromsystem sowie die lange Verfügbarkeit der Modellserien. Derzeit ist die Marke Fleischmann mit 350 Modellen Marktführer im Bereich der Spurweite N, letztere ergänzte seit 1969 die Produktpalette des Unternehmens. Im Jahre 2008 wurde die traditionsreiche Firma von der „Modelleisenbahn Holding“ übernommen und die Produktion nach Heilsbronn verlegt. Im Schwabacher Stadtmuseum kann neben der größten Fleischmann-Modellbahnanlage der Welt auch eine Dauerausstellung der Firmengeschichte bewundert werden. Das ehemalige Firmengelände wird zurzeit unter den Namen „Bieling-Carré“ und „Johannis-Etagen“ in eine große Wohnanlage umgewandelt.

Über die Sandrartstraße erreichen wir den Endpunkt unseres Spaziergangs, die Villa des Elektromotorenfabrikanten Volz in der Hallerstraße 26 aus dem Jahre 1924.

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