Wo Fremde zu Freunden werden

14.1.2018, 20:23 Uhr
Wo Fremde zu Freunden werden

© Horst Linke

Said Nura nutzt die Gelegenheit, seine erste Zeichenstunde zu nehmen. Und die Blume auf dem Papier vor ihm kann sich wirklich sehen lassen. Ein perfektes Abbild der Natur mit allen Details und Schattierungen. "Ein Bild aus Graphit", erklärt er. Erst bei genaueren Hinsehen bemerkt man, dass das Werkzeug in seiner Hand keine Linien hinterlässt, die Spitze des Stifts nicht aus Graphit sondern Holz besteht. Indem er damit die Linien der Blume nachfährt, drückt er das Bild auf eine darunter liegende Kupferfolie durch. "Eine Technik, um Anfängern das Zeichnen beizubringen", erklärt Ahmad Karno, der hier einen Workshop abhält, in dem er Interessierten das Zeichnen näherbringt.

Wie das Zeichnen nach jahrelanger Übung aussehen kann, zeigt Srwa Mahmood Abdalrahman. Sie unterrichtet dasselbe und lässt sich bei der Arbeit über die Schulter schauen. "Ich bringe auf Papier, was in meinem Herzen ist", sagt sie.

Gemeinsam haben die Künstler, dass sie vor zwei Jahren noch tausende Kilometer entfernt gelebt haben. Nura in Äthiopien, Karno in Syrien und Abdalrahman im nordirakischen Kurdistan. Alle drei sind nach Deutschland geflüchtet. Und obwohl ihr Deutsch noch nicht für eine Konversation ausreicht, verständigen sie sich: mit Dolmetschern, zur Not mit Händen und Füßen und vor allem mit Einheimischen. Hier, an einem Samstag in Vischers Kulturladen.

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Es ist Tag der offenen Tür des Internationalen Cafés, das sich alle zwei Wochen mittwochs in diesem Haus nahe des Nordklinikums trifft. "Dabei haben wir festgestellt, dass es viele Geflüchtete gibt, die zu Hause mit Kultur zu tun hatten", sagt Kulturladenleiter Gerhard Gassner. Das wollte man als Anlass für einen Nachmittag nehmen, Workshops sowohl von Geflüchten als auch von Einheimischen zu veranstalten.

Gesang, Malerei, Schauspiel

In einem Raum ertönt das monotone "Tack-tack-tack" von vier Nähmaschinen, an denen unter anderem Eulenstofftiere und Taschen mit Eulenmuster entstehen. Adriano Gambarto lässt sich hier von Cristina Piresulrich erst mal das Anfertigen einer einfachen Naht zeigen: "Dabei kommt es darauf an, die Richtung zu halten, also geradeaus zu nähen", kommentiert er, "das ist gar nicht so leicht." In weiteren Räumen geht es um Gesang, Tai Chi und Acryl-Malerei.

Oder um Schauspiel. Das will Irfan Taufik unterrichten, der bereits 1997 aus dem Nordirak geflüchtet und – nach einem Schauspielstudium in Deutschland – hauptberuflich als Schauspieler, Regisseur und Filmemacher tätig ist. Er will, doch sein Raum ist noch leer. "Die Leute trinken alle noch Kaffee und essen Kuchen", wird er von Ivonne Keitel-Köhler vertröstet, die das Internationale Café als Verantwortliche betreut.

Wo Fremde zu Freunden werden

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"Hier sollen Freundschaften über das Café hinaus entstehen", sagt sie. Zufrieden blickt Keitel-Köhler auf die Tische rund um die Kuchentheke, wo Menschen aus allen Nationen zusammensitzen und sich lebhaft unterhalten.

Endlich scharen sich auch um Taufik die Interessierten, zwölf an der Zahl. Nach einer Kennenlernrunde weist er sie an, sich pärchenweise gegenüberzustellen und gegenseitig imaginäre Geschenke zu überreichen. "Zeigt mit eurer Gestik, was ihr schenkt", fordert er. "Und das Gegenüber soll sich für die Sache bedanken, die es erkennt."

So geht ein Mann in die Knie, klappt eine unsichtbare Schachtel auf und hält sie einer Frau vor die Nase. "Danke für den Ring", sagt diese und gestikuliert, als würde sie ihn sich an den Finger stecken. Und eine Frau schleppt sich mit ausgestreckten Armen zu ihrem Gegenüber, der ihre Gestik übernimmt und erst mal überlegen muss, bis ihm einfällt: "Danke für die Leiter!" Unnötig zu erwähnen, dass das Gelächter von Geschenk zu Geschenk immer lauter wird, Fremde zu Freunden werden.

Zur Eröffnung noch etwas aufgeregt gewesen, ob auch genug Leute kommen, zählt Keitel-Köhler nach fast zwei Stunden mehr als 80 Teilnehmer. "Mehr als die Hälfte davon sind Erstbesucher", freut sie sich. Jeder sei eingeladen, diese Begegnungsstätte zwischen Einheimischen und Geflüchteten auch bei den regulären Treffen mit noch mehr Leben zu füllen, sich einzubringen. "Die Geflüchteten kommen zu uns, weil sie Kontakt zu Deutschen suchen."

Das Internationale Café findet alle zwei Wochen mittwochs von 16 bis 18 Uhr in Vischers Kulturladen in der Hufelandstraße 4 statt. Der Eintritt ist frei.
https://kuf-kultur.nuernberg.de/vischers

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