Wöhrl will private Unterbringung von Flüchtlingen fördern

8.10.2014, 06:00 Uhr
Dagma Wöhrl bei einem Besuch in einem Nürnberger Flüchtlingszelt.

© Privat Dagma Wöhrl bei einem Besuch in einem Nürnberger Flüchtlingszelt.

NZ: Sie sagen, dass sich immer mehr Bürger an Sie wenden, die gern Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen möchten. Welche Motivation nennen Ihnen die Betroffenen?

Dagmar Wöhrl: Die Motivationen sind ganz unterschiedlich. Einige möchten etwas zurückgeben, nachdem ihre Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg auch als Vertriebene ein neues Zuhause bei Fremden gefunden hatten. Andere verstehen es aus ihrer christlichen Pflicht zur Nächstenliebe heraus, Flüchtlingen zu helfen.

NZ: Was steht der Unterbringung in Privathaushalten entgegen?

Wöhrl: Hier sind wir beim größten Problem in der Flüchtlings- und Asylpolitik: Jedes Bundesland hat unterschiedliche Regelungen und Verwaltungsvorschriften. Ich habe den Eindruck, dass das föderale System des Grundgesetzes dazu genutzt wird, die Verantwortung in der Flüchtlingspolitik hin- und herzuschieben. Die Zeit des Unterlassens, des Abwartens und des Verweisens von Aufgaben auf andere muss aber definitiv vorbei sein. Wir können uns Denkpausen und ideologische Schranken in der deutschen Flüchtlingspolitik nicht länger leisten.

NZ: Welche rechtlichen Vorschriften müssten geändert werden?

Wöhrl: Es sind verstärkt die Möglichkeiten einer dezentralen Unterbringung zu prüfen. Die privaten Räume müssten auf jeden Fall kostenlos zur Verfügung gestellt werden, damit unseriöse Anbieter nicht auf die Idee kommen, mit dem Leid der Flüchtlinge wirtschaftliche Gewinne zu erzielen. Hierfür müssen entsprechende Verwaltungsvorschriften geändert und bundesweite Standards entwickelt werden, so dass rechtliche Vereinbarungen zwischen Ausländerbehörden und Gastfamilien möglich sind. Die finanzielle Absicherung des Lebensunterhaltes sowie die Kosten für die Krankenversicherung der Flüchtlinge müssen natürlich weiterhin von staatlicher Seite her erfolgen.

NZ: Haben Sie bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Gastfamilien an bestimmte Gruppen gedacht?

Wöhrl: Vor allem allein reisende Mütter und ihre Kinder und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die meisten mussten viel Leid und Elend vor und während der Flucht erdulden, seien es Beschneidungen, Vergewaltigungen oder das Leben als Kindersoldat. Diese Menschen könnten in privaten Unterkünften zur Ruhe kommen und ein kindgerechtes Umfeld erleben.

NZ: Wie wollen Sie das ändern?

Wöhrl: Bisher ist dies Aufgabe der Länder. Ich plädiere aber für einen nationalen Flüchtlingsgipfel, um in einer konzertierten Aktion eine gemeinsame Flüchtlingspolitik koordinieren zu können. Auch im Hinblick auf fairere Bestimmungen auf europäischer Ebene wären einheitliche Standards in Deutschland hilfreich.

NZ: Kritiker sagen, es wäre naiv, das Flüchtlingsproblem durch Aufnahme in Privathaushalten lösen zu wollen.

Wöhrl: Es sollen ja nicht alle Flüchtlinge in privaten Haushalten untergebracht werden, sondern es ist als sinnvolle Ergänzung gedacht. Wenn hilfsbereite Menschen freiwillig ihre Türen für Flüchtlinge öffnen wollen, sollten wir diese nicht durch staatliche Schranken verschließen.

NZ: Wie lassen sich Vorfälle wie der Misshandlungsskandal von Flüchtlingen in Burbach in Zukunft verhindern?

Wöhrl: Die Sicherheit in Asylbewerberheimen ist originär hoheitliche Aufgabe, gerade wenn in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen wird. Diese Aufgabe obliegt den Sicherheitsbehörden und nicht privaten Wachdiensten. Wenn diese Verantwortung an private Dritte übertragen wird, müssen die Behörden für eine strenge und effektive Kontrolle der Unternehmen sorgen. Der Staat darf die Sicherheit von Schutzbefohlenen nicht privatisieren. Wir benötigen ein Zertifizierungssystem, wie wir es von Pflegeheimen kennen. Man darf aber nicht alle Sicherheitsmitarbeiter über einen Kamm scheren. Bei meinen Besuchen in Nürnberger Flüchtlingsunterkünften sind mir die Securities positiv aufgefallen, die mehr leisteten als verlangt. Sie waren Seelsorger, Spielkamerad, Psychologe und Krankenpfleger.

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