Zu viele Studenten, zu wenige Lehrlinge?

5.5.2015, 20:30 Uhr
Zu viele Studenten, zu wenige Lehrlinge?

© Foto: IAB/Jutta Palm-Nowak

Problematisch sei die hohe gesellschaftliche Wertschätzung, die dem Studium per se entgegengebracht werde, sagt Nida-Rümelin. Dadurch würden Menschen, die einen nicht-akademischen Beruf wählten, abgewertet. „Ich sehe nicht ein, warum ein Hochschuldozent das dreifache Gehalt einer Erzieherin bekommt.“ Ihre Arbeit verdiene den gleichen gesellschaftlichen Respekt, meint der Professor.

Bei den „Nürnberger Gesprächen“ diskutieren Experten aus Wissenschaft und Praxis aktuelle Probleme des Arbeitsmarktes. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die Bundesagentur für Arbeit und die Stadt Nürnberg laden dafür zwei Mal im Jahr interessierte Bürger in den Historischen Rathaussaal der Stadt ein. Irene Seling, stellvertretende Leiterin der Abteilung Bildung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), glaubt, dass die Diskussion über den Akademisierungswahn an der Realität vorbeizielt. Pro Jahr würden sich 400 000 junge Erwachsene für das Studium und 710 000 für eine berufliche Ausbildung entscheiden.

Heino von Meyer, Leiter des „OECD Berlin Centre“ verweist darauf, dass Deutschland von allen OECD-Staaten den geringsten Anstieg der Akademikerquote aufweist. „Man darf die berufliche nicht gegen die akademische Ausbildung ausspielen.“ Beide Bereiche müssten qualitativ verbessert werden, vor allem im unteren Bereich. Die wirklichen Probleme lägen ganz wo anders, sagt Seling. Von den 20- bis 29-Jährigen seien 1,9 Millionen ohne Berufsabschluss, 28 Prozent würden ihr Studium und zwölf Prozent ihre berufliche Ausbildung abbrechen. Und 20 Prozent der Schulabgänger seien nicht ausbildungsfähig. Felix Rauner, Leiter der Berufsbildungsforschung an der Universität Bremen, lenkt den Blick ebenfalls auf die Qualität der beiden Ausbildungsstränge. Im beruflichen Sektor sei heute das „Prinzip der Meisterschaft“ gefragt.

Eine Uni kann keine Führungskräfte ausbilden

So unterschiedliche Kriterien wie die Funktionalität und der Gebrauchswert, aber auch der Umwelt- und Arbeitsschutz müssten verstanden und abgewogen werden, wenn ein Unternehmen am Markt erfolgreich sein wolle. Berufsanfänger müssten in der Lage sein, ihre Arbeitswelt aktiv zu gestalten. Dem werde die universitäre Ausbildung aber nicht mehr gerecht. „Die klassischen Akademiker lernen heute nur, wie man immer kleinere Löcher immer tiefer bohrt“, spottet Rauner.

„Die Vorstellung, man könne an einer deutschen Universität Führungskräfte ausbilden, ist unglaublich“, sagt Rauner. Als Gegenentwurf zur Praxisferne nennt er das Schweizer Modell. Dort habe die duale Berufsausbildung den gleichen Wert wie ein Hochschulstudium. Die vielen kleineren und mittleren Unternehmen der Alpenrepublik stützten ihre Innovativität auf FH-Absolventen, Meister und Facharbeiter. Das Beispiel der Schweiz zeige, dass man die duale Berufsausbildung auf keinen Fall schwächen dürfe. Deutschland, Österreich und die Schweiz hätten eine sehr geringe Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie Spanien und Italien.

Ein Studium allein sei kein Garant für ein hohes Einkommen, erklärt Nida-Rümelin am Beispiel einer Goldschmiedemeisterin, die dreimal so viel verdient, wie ihr Vater, der sich als promovierter Germanist durchs Leben schlägt. Geistes- Kultur- und Sozialwissenschaftler, aber auch manche Naturwissenschaftler, wie etwa Biologen, täten sich auf dem aktuellen Arbeitsmarkt sehr schwer. Der Akademisierungswahn verführe deshalb zu einer falschen Sicht auf die Realität.

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