Offen für alle: Multifunktions-Kirche in der Oberpfalz erbaut

10.4.2017, 06:00 Uhr
Offen für alle: Multifunktions-Kirche in der Oberpfalz erbaut

© Michael Kasperowitsch

Chaplain Kevin Pies fällt die Leichtholz-Christusfigur am Altar fast in die Arme. Er hat eben die Flügeltüren des schmalen Schrankes geöffnet, in dem das Kruzifix hängt. Die magnetischen Kräfte, die den Korpus am Kreuz halten sollen, könnten etwas stärker sein. Aber es ist eben auch enorm wichtig, die Figur des Gekreuzigten abnehmen zu können. "Manche wollen die Figur nicht", sagt der uniformierte Geistliche, ein US-Colonel. So viel Wahlmöglichkeit muss hier sein, denn das Gotteshaus ist offen für Menschen aller Glaubensrichtungen.

Die Chapel, wie der majestätische und trotzdem leicht wirkende Komplex etwas verniedlichend heißt, ist ein wahres Wunder an Verwandlungsfähigkeit. Netzaberg Chapel ist ihr korrekter Name, benannt nach dem Ortsteil von Eschenbach (Kreis Neustadt/Waldnaab). Einst gehörten ein paar Bauernhöfe und eine Wirtschaft zum Ort. Seinen alten Namen haben die Amerikaner aber erhalten. Und die haben hier das Sagen. Die Chapel steht nämlich am Rand des US-Truppenübungsplatzes Grafenwöhr. Die hell strahlende Unberührbare ist weithin sichtbar, doch wirklich nahe kommt man ihr als militärisch geschützte Schönheit nicht so ohne weiteres.

Flutbar auf Knopfdruck

Das Gelände des Netzaberg Village Centers ist weitläufig umzäunt und streng gesichert. Zutritt haben für gewöhnlich nur Army-Angehörige und deren Familienmitglieder nach einer Ausweiskontrolle durch bewaffnete Sicherheitsleute. Drum herum leben etliche Tausend Menschen in der heiteren Vorstadtatmosphäre, die Hunderte bunter Doppelhäuschen ausstrahlen. Die frei zugängliche Siedlung ist in den vergangenen 15 Jahren entstanden. In der Mitte des gesicherten Village Centers thront divenhaft distanziert die kürzlich eröffnete Chapel. Der Militärgeistliche Colonel Pies demonstriert dort am Altar die einzigartige kulturreligiöse Vielfalt, die der Bau ermöglicht.

Ein katholischer Kreuzweg mit seinen 14 Stationen? Bitte schön, der hat hier seinen Platz in den beiden geräumigen Schränken links und rechts vom Altar. Auch sie können zugeklappt werden, um sie vor den Augen derer zu verbergen, die es nicht so mit dieser Tradition haben. Und wer beim Beten gerne kniet, zieht einfach breite Schubläden unter den Bänken hervor. Hinter dem Altar, von vorne nicht sichtbar, ist ein geräumiges Bassin eingebaut, das auf Knopfdruck geflutet werden kann. Die in den USA starke evangelische Konfession der Baptisten hält es mit der Ganzkörpertaufe. Die Täuflinge werden komplett unter Wasser getaucht. Das soll auch hier möglich sein.

Mit einem Handgriff

Und vor eines der unteren Fenster, die in einem schmalen Band hinauf fast in die Spitze des gut 33 Meter hohen Turms laufen, lässt sich eine Tafel schieben, die nur noch Außenlicht in Kreuzform durchlässt. Wen das stört, kann das mit einem Handgriff ändern. Natürlich nutzen auch Muslime und Juden die Räumlichkeiten mit den Symbolen für ihre jeweils eigenen Riten.

Einen hohen Turm hätte es gar nicht unbedingt gebraucht für diese Multi-Simultankirche. Aber Architekt Christian Brückner, Inhaber zweier Büros in Tirschenreuth und Würzburg, war die Anlehnung an regionale Sichtgewohnheiten wichtig. Und ein Gotteshaus in der gläubigen Oberpfalz ohne Turm? Sehr fremd.

Ein Kreuz oder einen sogenannten Wetterhahn, der eigentlich Christen an den Verrat des ängstlich gewordenen biblischen Petrus erinnert, sucht man vergebens.

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