Polizeiaufgabengesetz: Herrmann stellt sich Kritik

20.9.2018, 19:47 Uhr
Polizeiaufgabengesetz: Herrmann stellt sich Kritik

© Foto: Stefan Hippel

Können Polizisten einen Bürger wochenlang als mutmaßlichen Bombenleger in Gewahrsam nehmen, nur weil er ein paar Mal Kunstdünger gekauft hat, den man auch zum Bombenbauen verwenden kann? Zugespitzt geht es im Streit um das neue Polizeiaufgabengesetz vor allem um Fragen wie diese – um die Angst vor staatlicher Willkür.

Wo früher eine "konkrete" Gefahr vorliegen musste, um einen Zugriff auszulösen, reicht jetzt die "drohende" Gefahr. Doch was versteht man in der Praxis unter der schärferen und doch von manchen Experten als schwammig empfundenen Formulierung? Ist ein Sprücheklopfer, der Politikern am Stammtisch Schläge androht, bereits als "drohende Gefahr" einzustufen? Darf er deshalb vorbeugend eingesperrt werden? Und das auch noch auf mehr oder weniger unbestimmte Zeit?

Ob eine solche Maßnahme rechtens ist, soll ein Gericht innerhalb eines Tages prüfen, allerdings erst mal nur auf Basis der Schilderung der Polizei. Möglicherweise, befürchtet beispielsweise der SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Schuster, sitzt jemand tage- oder wochenlang ein, bevor er sich überhaupt gegen Vorwürfe verteidigen kann. Befürworter des neuen Gesetzes wie der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft Rainer Nachtigall argumentieren, die Änderung sei dringend nötig geworden. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen für die Annahme einer konkreten Gefahr im Lauf der Zeit immer enger gefasst. Soll heißen: Nachtigalls Kollegen konnten zu oft erst eingreifen, wenn es schon zu spät war.

Einige weitere umstrittene Änderungen im PAG: Polizisten dürfen Body-Cams tragen, die ständig laufen (die Aufnahmen werden aber nicht automatisch gespeichert); bereits bei drohender Gefahr dürfen beim DNA-Test äußere Merkmale einer gesuchten Person bestimmt werden; nach richterlicher Genehmigung darf die Polizei früher präventiv Telefone anzapfen und bei Messenger-Diensten mitlesen.

Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München I, stellte gegenüber unserer Zeitung fest: "Freilich muss die Polizei mit Verbrechern mithalten können." Doch dieses Gesetz habe Innenminister Herrmann noch in der Zeit von Ministerpräsident Horst Seehofer ausarbeiten lassen, um sich mit "Law-and-Order-Politik" zu profilieren. Auch andere Juristen gehen mit den Paragrafen des PAG hart ins Gericht. Die Rede ist von 100 Seiten voller schwammiger Begriffe "an der Grenze zur Lesbarkeit".

Nach Ansicht der FDP, der Linken und den Grünen verletzt das neue Gesetz sogar Grundrechte. Sie beantragten unlängst in seltener Einigkeit eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Was im Streit darüber ab und zu untergeht: Die neue Datenschutzrichtlinie der EU ist auch ein Grund für die PAG-Novelle. Sie fällt freilich in eine Zeit, in der das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Bürger empfindlich gestört ist.

Viele Verlustängste

Statistisch betrachtet leben wir in Deutschland so sicher wie seit 25 Jahren nicht mehr. Doch der Sozialpsychologe Frank Asbrock, Spezialist für Gemütszustände großer Gruppen, meint: "Verstärkt hat sich das allgemeine Bedrohungsgefühl im Sommer 2015 mit der Flüchtlingszuwanderung. Viele glaubten damals: Die kommen hierher und nehmen uns was weg. Es geht häufig um die Furcht, etwas zu verlieren."

Beim NN-Forum im Museum Industriekultur werden deshalb auch die Asylpolitik und die innere Sicherheit große Themen sein. Innenminister Herrmann diskutiert dort mit der Landtagsabgeordneten der Grünen, Katharina Schulze, und dem Präsidenten der Diakonie Bayern, Michael Bammesel. Für die Veranstaltung gibt es noch Karten.

 

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