Ambulante Palliativversorgung im Landkreis Roth

19.5.2018, 06:00 Uhr
Ambulante Palliativversorgung im Landkreis Roth

© Foto: Jens Kalaene/dpa

Er beginnt heute um 8 Uhr in der Station der SAPV am Nordring in Pleinfeld in einer unscheinbaren Doppelhaushälfte. Dort gibt es zwei Büros, eine Küche samt Aufenthaltsraum und ein Besprechungszimmer, in dem sich Pflegeleiterin Ulrike Haarmann, ihre Stellvertreterin Verena Böhm und Anja Gall zum Übergabegespräch treffen.

Alle drei sind Krankenpflegerinnen mit der Zusatzausbildung zur Palliative-Care-Fachkraft. Gall hat den Spätdienst von 12.30 bis 19.30 Uhr mit anschließender Rufbereitschaft gerade beendet. Sie informiert Böhm vom Frühdienst sowie Haarmann über ihre Einsätze.

Eine Patientin sei "stabil und guter Dinge" gewesen. Eine andere habe "großen Redebedarf gehabt". Und eine Familie, deren junger Vater schwerst erkrankt ist, habe "sehr intensive, umfangreiche Informationen" benötigt. Gall schildert den psychischen und physischen Zustand aller Patienten und mancher Angehöriger, gibt Informationen zu Medikamentengaben und weiteren Maßnahmen.

Während der nächtlichen Rufbereitschaft hat sie nicht ausrücken müssen. "Heute war’s ruhig", freut sie sich. Das ist nicht immer so, schließlich ist das SAPV-Team an 365 Tagen im Jahr, sieben Tage pro Woche, 24 Stunden am Tag verfügbar. "Es gibt auch Nächte, da muss man zwei- bis dreimal raus und bekommt nicht viel Schlaf", weiß Verena Böhm.

Ambulante Palliativversorgung im Landkreis Roth

© Foto: Robert Renner

Während des Gesprächs stößt Dr. Christian Maune hinzu. Der stellvertretende ärztliche Direktor des Klinikums Altmühlfranken in Weißenburg ist zugleich leitender Palliativmediziner der SAPV Südfranken. Er wird heute zusammen mit Böhm auf die Vormittagstour gehen. Rund 90 Kilometer werden sie dabei im schwarzen VW Polo der SAPV zurücklegen und drei Patienten besuchen.

Lob einer Angehörigen

Bei einer Frau geht es um die richtige Dosierung des Schmerzmittels, ein relativ kurzer Termin. Deutlich länger dauert es bei den beiden anderen Personen, doch die Palliativkräfte wollen ja da sein für ihre Patienten und deren Angehörige. Nicht umsonst zieren die Schlagworte "Zeit.Begleitung.Lebensqualität" die Broschüre und die Internetseite der SAPV Südfranken.

Und das sind keine leeren Worthülsen, befindet zumindest Petra Schenk-Bonn, deren schwerstkranken Vater die SAPV bis zu seinem Tod begleitet hat. "Das Team hat sich rührend um meinen Vater und um uns Angehörige gekümmert", lobt sie. Es habe ihren Vater medikamentös so eingestellt, "dass er wirklich keine Schmerzen" gehabt habe. "Für Kranke, die zu Hause sterben wollen, gibt es keine bessere Pflege", ist die Treuchtlingerin überzeugt.

Doch zurück in den Arbeitsalltag: Bei einem seit Langem bettlägerigen Patienten gilt es, ein einfühlsames Gespräch mit den Angehörigen zu führen. Viel Psychologie ist da im Spiel. Von der "Kunst der richtigen Worte, nicht der richtigen Medikamente", spricht Maune schon bei der Anfahrt. Er und Böhm verstehen sich darauf.

Gleich nach dem Öffnen der Haustüre hört man den Patienten stöhnen. Er liegt in einem großen, das Wohnzimmer dominierenden Pflegebett. Ein größerer und ein kleinerer Rollstuhl stehen bereit. Medikamente und Pflegebedarf finden sich auf verschiedenen Ablagen, auch in der benachbarten Essecke. Dass die jahrelange Pflege des schwerkranken Seniors das Leben der Familie weitgehend bestimmt, ist spür- und sichtbar.

Zu spüren war zuvor für Palliativmediziner Maune auch, dass in diesem Fall etwas nicht passte. Die Wünsche der Angehörigen und das Selbstverständnis der Palliativpflegekräfte wollten nicht recht zusammenkommen. Maune war in den vergangenen Wochen mit der Situation nicht zufrieden, er hatte aber auch das Gefühl, dass es den Angehörigen ähnlich erging.

Ihr Familienoberhaupt ist zwar seit Jahren krank, bettlägerig und kann nicht mehr sprechen. Langsam, aber stetig hat sich sein Zustand in den vergangenen Monaten verschlechtert, trotz allem ist der Tod noch nicht in Sicht.

Es gilt, wie so oft bei der Arbeit der SAPV, Vertrauen zu gewinnen. Behutsam erläutert Maune der Familie nochmals die Aufgabe der Palliativpflege. "Wir sind die, die das Ende im Blick haben", sagt er. Die SAPV will auf diesem letzten Weg begleiten. Lebensverlängernde Maßnahmen stehen da nicht mehr auf dem Programm. Doch die Familie will die für ihren über 80-jährigen Vater noch nicht gänzlich ausschließen. "Er darf gehen, nur wollen wir nicht diejenigen sein, die entscheiden, wann er gehen muss," erklärt seine Frau.

Das freilich verlangen die Palliativfachkräfte auch nicht. Maune und Böhm zeigen für die Haltung der Familie Verständnis. Sie machen aber auch klar, dass sie in diesem Fall nicht die richtigen Pflegepartner sind. Nicht nur der Mediziner ist nach dem rund einstündigen Termin erleichtert, sondern auch die Angehörigen sind es. "Wir sind sehr dankbar. Das war ein sehr gutes Gespräch", lobt ein Familienmitglied den Arzt.

Dass die Atmosphäre entspannt war, lag viel am Auftreten der Palliativkräfte. Verena Böhm nahm die Frau des Patienten schon bei der Begrüßung in den Arm und fand auch für den Schwerkranken selbst passende Worte – große Herzlichkeit sprach daraus. Und die Pflegerin versichert, ebenso wie Maune, dass das SAPV-Team jederzeit wieder hinzugezogen werden kann, wenn der Tod des Familienvaters näher rückt. "Das ist für uns wichtig zu wissen", sagen die Angehörigen.

Hernach im Auto informiert Maune den Hausarzt telefonisch über die neue Situation. Der bedauert zwar, dass er in diesem Fall keine Unterstützung mehr hat, sieht aber die gleiche Diskrepanz zwischen den Wünschen der Familie und dem, was die SAPV leisten kann.

Nach einem kurzen Stopp bei jener Patientin, bei der es um die richtige Schmerzmitteldosierung geht, wechseln die Pflegerin und der Arzt im Auto die Plätze. Böhm fährt, Maune nimmt am Rücksitz Platz und greift sich seinen Laptop. Er fügt das Protokoll des Angehörigengesprächs der Patientenakte bei und liest den Arztbrief der nächsten Patientin. Alles muss dokumentiert, vieles organisiert und besprochen werden. Da sind der tragbare Computer, die mobile Internetverbindung und die Freisprechanlage für das Mobiltelefon im Auto eine große Hilfe. Schließlich soll von der Arbeitszeit möglichst viel für die Patienten übrig bleiben.

Deutlich über eine Stunde sind Maune und Böhm dann bei einer älteren Dame zum Aufnahmegespräch. Sie ist weit in den 80ern und hat eine Krebserkrankung. Eine permanente Sauerstoffversorgung erleichtert ihr das Atmen. Sie lebt in einer Einrichtung für betreutes Wohnen, ihre Tochter kümmert sich beständig und rührend um sie. Ein Sohn und ein Enkel kommen täglich zum Mittagessen bei der Oma vorbei. Der Pflegedienst sieht mehrfach nach dem Rechten.

Nach einem Wechsel der Hausärztin ist die Seniorin medikamentös schon relativ gut eingestellt. Maune und Böhm mit ihrer speziellen Palliativerfahrung schlagen noch zwei Änderungen vor. Sie wollen so die Schmerzen der Patientin besser in den Griff bekommen. Schmerzen werden von den Schwerkranken als häufigstes Problem genannt. Verena Böhm, die bereits fünf Jahre auf einer Palliativstation in München gearbeitet hat, weiß aus Erfahrung, dass andere Themen schnell hinzukommen. "Schmerzen sind gut zu behandeln", sagt Maune. Übelkeit und Müdigkeit seien aber eigentlich "die großen Themen".

Zu der alten Dame ihm gegenüber hat er schnell einen Draht gefunden. Er fragt, ob er seinen Laptop auf ihren Tisch stellen darf, es gehe heutzutage eben nicht mehr ohne Computer. "Nur zu", meint die Seniorin und fügt verschmitzt hinzu: "Der tut mir nichts." Immer wieder blitzt während des Gesprächs, bei dem mit ihr, ihrer Tochter und dem Pflegedienst die Maßnahmen der SAPV abgestimmt werden, ihr Humor auf. Trotz ihres langen Leidensweges hat sie sich den offenbar bewahrt.

Die Palliativkräfte wurden auf Vorschlag der Hausärztin hinzugezogen. Die Patientin hatte entschieden, künftig "keinen Notarzt und kein Krankenhaus" mehr zu wollen. Was der alten Dame guttue, fragt Verena Böhm. "Am meisten hilft’s, wenn jemand da ist", sagt die Tochter.

Kleine Gesten

Die SAPV-Mitarbeiter sind da wohl genau die richtige Adresse. In aller Regel sind sie binnen eines Tages nach der ersten Kontaktaufnahme beim Patienten vor Ort. Zum Team gehören derzeit fünf Palliativmediziner, sieben Palliative-Care-Pflegekräfte, eine Verwaltungsfachkraft und ein Geschäftsführer. Sie alle nehmen sich Zeit, die Wünsche und Bedürfnisse der Patienten und Angehörigen zu erfahren sowie umfassend zu beraten und zu betreuen. Mindestens einmal wöchentlich wird jeder Patient besucht, bei Medikamentenumstellungen, akuten Schmerzen oder anderen Notfällen kommen die Palliativkräfte aber auch täglich und schnellstmöglich vorbei.

Oft sind es dann kleine Gesten, die viel bewirken, so wie jetzt, als Verena Böhm vor der Seniorin in die Knie geht, ihre Hände nimmt und sie anlächelt. Ohne Worte, nur mit ihren Augen bringt sie zum Ausdruck: "Wir sind für Sie da." Mit ihrer Herzlichkeit gewinnt die 25-Jährige auch das Vertrauen dieser Patientin. Die alte Frau erwidert das Lächeln dankbar.

Zurück in der SAPV-Station in Pleinfeld macht Verena Böhm gegen 13 Uhr eine kurze Mittagspause. Hernach geht es zur Dokumentation des Aufnahmegesprächs an den Computer. Kurz nach 15.30 Uhr ist sie zurück bei der Seniorin, um den neuen Medikamentenplan vorbeizubringen und nochmals mit ihr zu plaudern. Kurz nach 16 Uhr ist für sie dann Feierabend.

Besondere Fälle würden sie über die Arbeitszeit hinaus schon beschäftigen, doch in aller Regel könne sie trotz ihrer anspruchsvollen Tätigkeit danach gut abschalten. Jeder mache das auf seine Art, der eine durch Sport, der andere durch Lesen, ein anderes Hobby oder das Treffen mit Freunden.

Tagtäglich mit dem Thema Sterben konfrontiert zu sein, sei für sie kein Problem. "Man muss sich aber vorher mit dem Tod beschäftigt haben", sagt die 25-Jährige. Zu akzeptieren, dass der Tod zum Leben gehöre, sei wichtig. Schwierig werde es allerdings, "wenn kleine Kinder dabei sind". Nichtsdestotrotz ist Verena Böhm überzeugt: "Es ist ein schöner Beruf. Man bekommt so viel zurück."

Dr. Christian Maune kann dies nur bestätigen. Als Notarzt rettet er Leben, als Palliativmediziner begleitet er Menschen bis zum Tod. Und dennoch sagt er: "In 15 Jahren Notarztdienst habe ich nicht so viele Dankesworte gehört wie in 15 Wochen SAPV."

1 Kommentar