Aus Angst und Scham wird viel zu lange geschwiegen

17.11.2017, 17:45 Uhr
Aus Angst und Scham wird viel zu lange geschwiegen

Frau Gäbelein-Stadler, wie oft hat eine Rother Gleichstellungsbeauftragte mit sexueller Belästigung oder Gewalt zu tun?

Claudia Gäbelein-Stadler: Durch mein Amt bin ich eine Mittlerin, die das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit trägt, damit die Leute sensibilisiert werden – dafür, dass keine Frau irgendwelche Übergriffigkeiten oder gar die Steigerung dessen ertragen muss. In diesem Sinn setze ich Impulse, das ist meine Botschaft.

 

Diese Botschaft hat sich unter #MeToo über den ganzen Globus verbreitet. Aber reicht´s nicht allmählich?

Gäbelein-Stadler: Nein, denn die Kampagne bewirkt Entscheidendes: Frauen trauen sich, den Alltagssexismus zu entlarven. #MeToo ist die erneute Solidarisierung mit allen Frauen, die in ihrem Leben sexuell belästigt worden sind und/oder sexuelle Gewalt erfahren haben.

 

Trotzdem winken manche schon ab und sprechen despektierlich von einer "Massenhysterie"; andere fragen sich, warum die Betroffenen erst jetzt reden und wieder andere sind einfach nur entsetzt angesichts der Tatbestände und ihrer Ausmaße. Wohl eher rhetorisch gefragt: Wo positionieren Sie sich da?

Gäbelein-Stadler: Tja, den einen ist es zu viel, den anderen zu wenig. Es wird immer verschiedene Blickwinkel geben, das lässt sich nicht ändern. Aber das, was da von Amerika aus in Gang gesetzt wurde, ist wichtig, damit sichtbar gemacht wird: Wir brauchen einen respektvolleren Umgang unter den Geschlechtern!

 

Die Grenze zwischen Kompliment und Übergriff ist...

Gäbelein-Stadler: ...der gesicherte Abstand. Sowohl physisch als auch verbal.

 

Wo liegt der Kern des Problems aus Ihrer Sicht? Setzen Frauen zu sehr auf die "Everybody´s Darling"-Rolle und wollen sich nicht gerne als "unentspannte Zicken" abstempeln lassen – dann schon lieber blöde Sprüche oder einen Klaps auf den Po in Kauf nehmen?

Gäbelein-Stadler: Wir sehen uns in der Gesellschaft klaren Machtstrukturen gegenüber. Darin nimmt jede und jeder eine Rolle ein. Und weil diese Strukturen meistens männerdominiert sind, geben sich die Frauen devot. Damit wären wir direkt bei den Themen Angst, Schuld und Schamgefühl.

Ich denke, jede Person darf erwarten, dass sich ein Gegenüber auf adäquate Weise – also ohne Diskriminierungsabsichten – nähert und die Signale, die die Person aussendet, entsprechend zu deuten weiß.

 

Hat es denn seine Berechtigung, wenn Männer jetzt unter Generalverdacht gestellt werden?

Gäbelein-Stadler: Nein, so darf man das nicht sehen. Wir wissen, dass auch Männer Opfer sein können. Aber in der überwiegenden Mehrzahl sind Männer nun mal die Täter.

 

Was – außer einer öffentlichen Diskussion – kann die aktuelle Debatte Ihrer Meinung nach anstoßen?

Gäbelein-Stadler: Eine neue Entschiedenheit. So hat das die TV-Journalistin Anne Will formuliert. Eine neue Entschiedenheit, die von den Frauen auch gelebt werden muss.

 

Aber so, wie die Kampagne läuft, löst sie doch offenbar nichts: Es werden keine Handlungsoptionen genannt; keine gesetzlichen Novellen angeschoben, wie die bisherige Familienministerin Barley sie forderte. Sorgt das nicht eher für Verunsicherung auf Männer- wie auf Frauenseite?

Gäbelein-Stadler: Gut, das konkrete ’Wie’ bleibt offen – ist aber auch schwierig zu benennen, weil die Situationen und das Empfinden individuell unterschiedlich sind. Doch ich meine durchaus, dass da was passiert: Die Leute interessieren und informieren sich, machen sich beispielsweise die Änderung des Sexualstrafrechts einmal mehr bewusst. Stichwort: ,Nein heißt Nein!`

Das Schweigen zu brechen, ist immer der erste Schritt gegen sexuelle Belästigung und Gewalt. Aus Angst und Scham wird viel zu lange geschwiegen.

 

Wie geht das starke Geschlecht eigentlich mit der Debatte um? Irgendwelche Erfahrungswerte?

Gäbelein-Stadler: Meines Erachtens zeigt die Vielzahl der Debatten – #MeToo ist ja nicht die erste ihrer Art – den Kern der Sache:

Alltagssexismus ist ein Problem!

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