Aus dem Nichts ein neues Leben aufgebaut

15.12.2018, 06:00 Uhr
Aus dem Nichts ein neues Leben aufgebaut

© Foto: Graff

Als am zweiten Adventssonntag in der Rother Stadtkirche die neu gewählten Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher in ihr Amt eingeführt worden sind, stand in ihrer Mitte einer, der sein Glück kaum fassen konnte: Pooria Pooladvand stammt aus dem Iran, ist vor sechs Jahren gemeinsam mit Sanaz, seiner Frau, von einem Tag auf den anderen aus beider Heimatstadt Teheran geflohen. Buchstäblich aus dem Nichts haben sich beiden Mittdreißiger in Roth ein völlig neues Leben aufgebaut. 2015 haben wir in der Weihnachtsausgabe schon einmal von der besonderen Geschichte der beiden Iraner berichtet. Drei Jahre später haben wir sie noch einmal besucht.

Nicht nur die Adresse ist eine andere. Aus dem Ehepaar ist eine kleine Familie geworden. Das große kleine Glück der beiden, das "Geschenk vom lieben Gott", heißt Samuel und ist mittlerweile zwei Jahre alt. "Mit ihm hat sich alles noch einmal verändert", sagt Sanaz. "Seit Samuel hier geboren wurde, ist Deutschland wirklich unsere Heimat geworden."

Sanaz und Pooria sind intellektuelle Menschen, die den Dingen gerne auf den Grund gehen, die verstehen wollen. "Ich habe so viele Bücher gelesen und fand es trotzdem immer schwierig, mich in diese Kultur, mit der ich nicht aufgewachsen bin, hineinzudenken.", berichtet Sanaz. Jetzt wachsen Pooria und Sanaz gemeinsam mit ihrem Sohn noch einmal in das Leben hier von klein auf hinein.

Jetzt richtige Rother

"Samuel bringt Lieder und Geschichten aus der Krippe mit, wir haben viele junge Familien als Freunde und freuen uns, endlich ganz und gar angekommen zu sein." "Wir sind jetzt richtige Rother", sagt Pooria "und ich freue mich sehr, dass ich in unserer neuen Heimat Vertrauen geschenkt bekomme und Verantwortung übernehmen darf."

Bei der Erinnerung an die Zeit von vor sechs Jahren bekommt der Mann mit dem offenen Gesicht und dem freundlichen Lächeln sofort wieder eine Gänsehaut. Die Angst, die er damals hatte, ist bei seiner Erzählung deutlich zu spüren. "Eine Anspannung ist immer noch da, obwohl ich in den letzten Jahren viel gelassener geworden bin."

Der 5. Oktober 2012, dieses Datum ist wie eingebrannt in die Erinnerung von Pooria und Sanaz. An diesem Tag haben der hohe iranische Regierungsbeamte und die Chemikerin Hals über Kopf Teheran in Todesangst verlassen, um nie wieder zurück zu kommen. Keine Möglichkeit, sich zu verabschieden von Familie und Freunden. Dabei nur das, was sie am Leib trugen, eine Handtasche mit Papieren und einen Rucksack. Nur schnell über die Grenze. "Sanaz zuerst", erinnert sich Pooria. Er wollte, dass wenigstens sie in Sicherheit ist, sollte es ihm nicht gelingen.

Nur wenige, aber sehr schwere Wochen später sind sie zusammen über Düsseldorf und Zirndorf nach Roth gekommen. Haben den Ortsnamen lange auf einer Karte gesucht, um überhaupt eine Ahnung zu haben, wo sie gelandet sein könnten. Machten sich von der Unterkunft am Weinbergweg zu Fuß auf den Weg, um sich ein erstes Bild zu machen von dem Ort, an den man sie geschickt hatte.

Der weithin sichtbare Turm der evangelischen Stadtkirche wies ihnen damals die Richtung. Sie finden sie verschlossen an jenem Tag. Als sie am nächsten Tag wiederkommen ist die Kirche offen und beim Hineingehen spüren sie sofort: "Das ist ein ganz besonderer Ort." Das Weihnachtskonzert in der Stadtkirche, zu dem Pfarrer Klenk sie kurz darauf einlädt, wird zu einem bewegenden Erlebnis.

Die Kirche und die Menschen, die sie darin treffen, werden zu wichtigen Begleitern ihres weiteren Lebens. "Wir hatten so viel Angst, hatten keine Ahnung, wie unser Leben weitergehen könnte, verstanden kein Wort dieser Sprache, wussten kaum etwas über die Kultur dieses Landes. Wir hatten doch vorher ein gutes Leben geführt. Es war schrecklich." Sanaz hat viel geweint in dieser Zeit, wurde krank vor Verzweiflung und Heimweh.

Geholfen hat ein Arzt-Ehepaar aus Roth, das ehrenamtlich im Asylhelferkreis aktiv war. Bei ihnen fand das junge Paar Unterschlupf, konnte bald in die Einliegerwohnung ihres Wohnhauses umziehen. Hilfsbereite Menschen aus dem Helferkreis wurden enge persönliche Freunde. Pfarrer Joachim Klenk beantwortete ausdauernd unendlich viele Fragen in Bezug auf Bibel und Glauben.

Amerika war das Ziel

Von da an ging es bergauf. Da sie als Flüchtlinge nicht arbeiten durften, stürzten sich Sanaz und Pooria in das Erlernen der Sprache, versuchten möglichst viel über die Kultur Deutschlands zu erfahren, lasen, recherchierten, knüpften Kontakte. "Eigentlich wollte ich nie nach Deutschland", erinnert sich Sanaz. Das Land sollte nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Amerika sein. Dass es ganz anders gekommen ist, sehen beide heute als Fügung, als den Weg, der für sie vorbestimmt war, schließlich als großes Glück.

Heute, am Ende des Jahres 2018, fühlen sie sich wirklich angekommen in ihrem neuen Leben. Sanaz arbeitet als Laborantin. Pooria hat eine unbefristete Stelle im Hans-Roser-Haus als Altenpfleger. Vor zwei Jahren hat er die dreijährige Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Für den ehemals ambitionierten und einflussreichen Kommunikationsingenieur war die unvermeidliche Schulzeit als einziger Mann zwischen kichernden Teenagern eine harte Zeit. Die Aufgabe zunächst eine Zumutung. Die Prüfung in der gerade erst erlernten Sprache eine Herausforderung. "Es gab keine Alternative. Also habe ich durchgehalten." Auch, weil sich nur wenige Wochen nach Weihnachten 2015 der Familienzuwachs angekündigt hatte. Heute liebt Pooria seinen zweiten Beruf, mag den persönlichen Umgang mit den alten Menschen und ihren Angehörigen. "Wir haben ein sehr gutes Leben."

Sanaz und Pooria sind im christlichen Glauben fest verwurzelt. Sie fühlen sich in der evangelischen Gemeinde wohl und aufgehoben. Das freitägliche Friedensgebet spielt für beide eine besondere Rolle. "Wir haben unseren Frieden gefunden und wünschen uns so sehr, dass dieser Frieden für alle Menschen möglich wird." Dafür beten Pooria und Sanaz regelmäßig. Sie wundern sich manchmal, dass viele Menschen diesen Schatz so wenig wahrnehmen. "Ihr merkt ja gar nicht, wie schön, hell und sanft dieser Glaube ist."

Gerne etwas zurückgeben

Mit Freude übernimmt Pooria unterschiedlichste ehrenamtliche Aufgaben in der Gemeinde. "Es ist mir eine Ehre, meine Kraft dieser Kirche schenken zu dürfen", sagte er, als er vor einigen Monaten gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, für den Kirchenvorstand zu kandidieren. "Ich möchte so gerne etwas zurückgeben von dem, was ich hier an Gutem erfahren durfte."

Dass er tatsächlich gewählt worden ist, dafür sei er unendlich dankbar. "Es ist ein großes Signal." Über 500 Stimmen hat er bekommen. "Das heißt, dass mir nach nur sechs Jahren in Deutschland 500 Menschen hier ihr Vertrauen geschenkt haben, mir 500 Menschen die Chance geben, etwas in Jesus Sinne zu bewirken, dass ich 500 Mal für jede einzelne Stimme dankbar bin." Den Auftrag, über dessen Tragweite er sich vollkommen im Klaren ist, nimmt er mit Freude an. "Das ist sehr groß. Und ich fühle mich dabei ganz ganz wohl."

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