Ausstellung im Schloss Ratibor zeigt Roth im Nationalsozialismus

1.10.2017, 06:53 Uhr
Museumsleiter Guido Schmid und seine Kollegin, Museumspädagogin Anne Roßius, bei den Vorbereitungen zur Ausstellung "Machtergreifung". Großformatige Tafeln werfen Schlaglichter auf "Roth im Nationalsozialismus".

© Petra Bittner Museumsleiter Guido Schmid und seine Kollegin, Museumspädagogin Anne Roßius, bei den Vorbereitungen zur Ausstellung "Machtergreifung". Großformatige Tafeln werfen Schlaglichter auf "Roth im Nationalsozialismus".

Herr Schmid, von Ihnen stammt das Bild, der Nationalsozialismus sei eine "offene Wunde" in Roth. Warum verlief denn die Wundheilung bis jetzt eher schlecht?

Guido Schmid: Hm, schwer zu sagen. Ich denke, zu der Zeit, als man noch dicht an den Geschehnissen dran war – also in den 1950er Jahren — gehörte die Aufarbeitung nicht unbedingt zu den vorrangigsten Dingen. Und während der 60er Jahre schien die Sache für die Rother fast schon wieder vergessen — warum auch immer. Man schloss das lieber klar ab: Ortsgruppenleiter Merkel war der Böse und Bürgermeister Groß, dem "Retter der Stadt", hat man ehrend gedacht.

Wann wurde das Thema "NS-Zeit" denn mal angepackt?

Schmid: Los ging´s eigentlich in den 1990ern mit einer Ausstellung in der Kulturfabrik zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Roth. Einigen Wirbel verursacht, hat dabei das Kapitel "Filzfabrik" und die vermeintliche Verwendung der Haare von KZ-Opfern. Nach der Jahrtausendwende ist man dann auf die Rother NS-Protagonisten Dr. Robert Groß und Karl Merkel gestoßen.

2010 forderten einige Stadträte, man müsse Genaueres über diese Zeit in Roth wissen. Das ist natürlich mit personellem und finanziellem Aufwand verbunden. Zuerst wurden entsprechende Mittel im Stadtrat abgelehnt, 2015 wurden sie bewilligt. Zwischenzeitlich hatte Claus Wittek aus Eckersmühlen erste Forschungen zum Thema vorgelegt. Unsere Ausstellung ist die Fortsetzung dessen...

...72 Jahre nach Kriegsende – während andere Kommunen längst ihren Frieden mit dem Thema gemacht haben.

Schmid: 72 Jahre sind keine ungewöhnlich lange Zeit. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus bedarf einfach einer gewissen Distanz. Es gibt Städte, da ist diesbezüglich noch gar nichts gelaufen.

Die von Ihnen kuratierte Ausstellung trägt den Titel "Machtergreifung". Welches zeitliche Fenster öffnen Sie damit?

Schmid: Die Ausstellung beginnt mit der Vorgeschichte der Nazi-Bewegung. Wie kam das alles? Dazu werden Schlaglichter auf Räterepublik und Freikorpsbataillone geworfen, auf Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit Ende der 1920er Jahre, aber auch auf Mittelfranken als Zentrum der NS-Bewegung in einem zutiefst nationalprotestantischen Umfeld.

Das führt dann weiter über Machtergreifung, Gleichschaltung und Krieg bis in die unmittelbare Nachkriegszeit, wo natürlich die Frage der Entnazifizierung angesprochen werden muss. Zum Beispiel hat der NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Merkel bis 1960 in Roth gelebt und Pension bezogen – aus seiner Tätigkeit als zweiter Rother Bürgermeister während der NS-Zeit!

Strammer NS-Aufmarsch in der Rother Hauptstraße. Aufnahmen wie diese hat Kurator Schmid zuhauf aus verschiedenen Archiven ans Tageslicht befördert.

Strammer NS-Aufmarsch in der Rother Hauptstraße. Aufnahmen wie diese hat Kurator Schmid zuhauf aus verschiedenen Archiven ans Tageslicht befördert. © Stadtarchiv Roth

Das industriereiche Roth war in den 1920ern eine sozialdemokratisch geprägte Arbeiterstadt. Gab´s denn keinen Widerstand, als sich die NSDAP breitgemacht hat?

Schmid: Sicher gab´s den. Die Partei hat bei den Reichstagswahlen zum Beispiel nie die Mehrheit in Roth errungen. Aber Zeitgenossen, die nicht ruhig geblieben sind, wie beispielsweise der SPD-Bezirkstagsabgeordnete Xaver Meisinger, verschwanden ab dem Sommer 1933 ganz schnell in Dachau und später in Buchenwald.

Dass der Nationalsozialismus in Roth Fuß fassen konnte, hat also letztlich funktioniert wie überall: Auf der einen Seite gab es diesen Repressionsapparat; auf der anderen Seite ist die Bewegung stark geworden, weil sie es agitatorisch geschickt anstellte, die Straße zu übernehmen. Man hat sich in brutale Saalschlachten mit den Linken gestürzt, während Merkel die nationalsozialistische Propaganda im Ort verbreitete – worauf er sich offenkundig verstand. Er war ja auch relativ gut vernetzt in Mittelfranken.

Was ist eigentlich mit der jüdischen Gemeinde in Roth passiert?

Schmid: Die war hier Ende der 1920er Jahre schon recht klein. Die letzten Juden sind 1935 weggezogen, nachdem sie die Synagoge in der Kugelbühlstraße verkauft hatten. Damit stand der pathologische Antisemit Merkel allerdings vor einem Problem. Nachdem kein Jude mehr da war, inszenierte er kurzerhand die Schändung der Synagoge. Er ließ Müll reinkippen und den Putz abschlagen. Die Bilder schickte er an die antisemitische Wochenzeitung "Der Stürmer". Es gab demnach kein Pogrom hier – man musste sein rassistisches Mütchen schon woanders kühlen...

Was genau zeigen Sie denn, wie ist die Ausstellung konzipiert?

Schmid: Wir haben sechs Aspekte herausgegriffen: Voraussetzungen und Aufkommen des Nationalsozialismus, Machtergreifung und Gleichschaltung, Widerstand und Verfolgung, Schicksal der jüdischen Gemeinde und der politischen Gegner, militärischer Alltag und Nachkriegsgeschichte. Abrisse über die lokalen Begebenheiten dazu finden sich auf großformatigen Tafeln im zweiten Stock unseres Museums. Natürlich bilden Karl Merkel und Dr. Robert Groß einen besonderen Schwerpunkt.

Nach wie vor ein heißes Eisen. Erhält man denn Aufschluss darüber, ob das Ehrenmal für Dr. Robert Groß, der von 1919 bis 1945 Bürgermeister der Stadt war, wieder aufgestellt werden sollte?

Schmid: Für viele ist diese Groß-Merkel-Konstellation eine "Good Cop/Bad Cop"-Geschichte. Aber war´s wirklich so einfach? Ich meine, wenn Merkel es darauf angelegt hätte, hätte er Groß wegputschen können – hat er aber nicht. Vermutlich wollte er mit dem beliebten Bürgermeister punkten. Groß hatte schließlich eine gefestigte Position in der Stadt, nicht umsonst war er seit 1919 Bürgermeister. Merkel selbst gab sich ab 1933 mit dem Status eines berufsmäßigen Stadtrats und zweiten Bürgermeisters zufrieden.

Er konnte sich auf diese Weise auch besser auf seine Propagandatätigkeit konzentrieren. Was Dr. Robert Groß betrifft, so war der kein flammender Nazi. Er stand 1933 sicher vor der Frage: Bekenne ich mich zur NSDAP und sichere mir dadurch ein leichteres Leben? Oder vielleicht auch: Bleibe ich im Amt, um das Schlimmste für Roth zu verhindern? Andererseits war ihm das völkische Gedankengut nicht fremd. Dazu gibt es eindeutige Äußerungen. Und: Er gehörte wohl kaum ohne Grund der Nordischen Gesellschaft an, die eine Art Germanenkult praktizierte...

Aber warum hat der Rother Stadtrat dann 1949 entschieden – mit den Stimmen ehemaliger KZ-Häftlinge und vieler Sozialdemokraten, wohlgemerkt! –, dass Groß und seine Frau nach ihrem gemeinsamen Freitod ein Ehrengrab an der Kreuzkirche erhalten?

Schmid: Na ja, man kannte ihn von früher, einige sozialdemokratische Stadträte saßen schon in den 1920ern mit Groß am Magistratstisch und so konnte man ihm die Wandlung, die er vollzogen hatte, vielleicht eher nachsehen. Außerdem war er nicht derjenige, der Leute ins KZ schickte – das überließ er Merkel. Groß hat unter anderem sogar dafür gesorgt, dass die Meldeauflagen für Xaver Meisinger, als der 1939 aus Buchenwald zurückkam, gelockert wurden.

Ob es aber wirklich allein dem Verhandlungsgeschick des damaligen Bürgermeisters zu verdanken ist, dass Roth bei Kriegsende unzerstört blieb? Für mich sind da zu viele Fragen offen. Wollte man´s tiefenpsychologisch betrachten, so war der Suizid von Groß eine Art "Erlösung" für die Rother: Der "Gute" hatte sich am Ende des Krieges geopfert — die Stadt konnte einen sauberen Schlussstrich unter das Kapitel "Nationalsozialismus" ziehen. . .

Und was soll nun Ihrer Meinung nach mit seiner Ehrentafel geschehen?

Schmid: Es ist zum jetzigen Kenntnisstand nicht mehr möglich, die Tafel völlig unkommentiert aufzustellen. Was aber genau so wenig geht: Man nimmt sie – wie geschehen — wegen der Kirchensanierung ab und "vergisst" dann einfach, sie wieder aus der Versenkung zu holen. . .

Wie geht’s nach dieser relativ kurzlebigen Ausstellung weiter mit dem Themenkomplex "Nationalsozialismus in Roth"?

Schmid: So kurzlebig ist sie gar nicht. Das Museum macht ab Dezember zwar Winterpause, doch die Ausstellung kann nach Rücksprache trotzdem besucht werden. Unsere Museumspädagogin Anne Roßius hat zusätzlich ein Programm mit Führungen entwickelt, das vor allem für Schulen interessant ist. Außerdem sollen das Gezeigte und viele spannende Aspekte mehr, die nicht in der Ausstellung vorkommen, nächstes Jahr in einer Publikation Platz finden. Denn das ist schon eine gigantische Geschichtslast, die kann man nicht so einfach nach ein paar Monaten wieder abhängen!

Weitere Infos: www.schloss-ratibor.de; Führungsbuchungen unter Telefon (0 91 71) 84 85 32.

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