Brennende Kippe im Gesicht ausgedrückt

9.7.2015, 19:22 Uhr

Am Nachmittag des 17. Februar 2015 zieht der Faschingszug durch die Stadt Spalt. Zwei Frauen, die sich gar nicht kennen, begegnen sich dort. Die eine, 30-jährige allein erziehende Mutter zweier Kinder aus Abenberg, ist mit Kindern und Freundin da, trinkt „hier ein Gläschen und dort ein Becherchen“ und hat bald 1,46 Promille intus. Dass sie der anderen jungen Frau, einer 19-Jährigen aus Spalt, die sich ebenfalls mit Freunden den Zug anschaut, einen Becher Bier angeboten haben soll, weiß sie heute nicht mehr. Auch alles andere nicht. „Ihr seid alle Fotzen“, habe die Ältere der Jüngeren zugerufen, vielleicht weil diese das Bier im offenen Becher nicht annehmen wollte. Kurz darauf sei der Jüngeren jedenfalls von hinten etwas in die Jacke gekippt worden.

Doch darüber verliert Richterin Dr. Andrea Martin bei der Verhandlung vor dem Schwabacher Amtsgericht gar kein Wort, denn angeklagt ist – neben der Beleidigung – viel Schlimmeres: Die betrunkene Abenbergerin habe der Jüngeren plötzlich eine brennende Zigarette unterhalb des rechten Auges im Gesicht ausgedrückt. Als die zierliche 19-Jährige noch einmal schildern soll, wie die Angeklagte ihr damals die Schulter nach hinten gepresst und die Kippe ins Gesicht gedrückt hat, kommen ihr erneut die Tränen, sie muss sich erst wieder fassen. „Ich hatte das Gefühl, es war Absicht.“ Die Brandnarbe ist immer noch zu sehen, manchmal spürt sie sie, die Haut muss demnächst gelasert werden.

Die Angeklagte kann sich auch daran nicht erinnern, gesteht aber alles: „Es muss so gewesen sein.“ Ob sie die junge Frau kannte, fragt Staatsanwalt Thomas Weide. Nein, einen Grund für die Tat gibt es nicht. Außer den Alkohol. „Normalerweise trinke ich gar nichts, es war einfach zu viel und zu wild durcheinander.“ Ein Polizist, der die Betrunkene dann „tanzend und torkelnd“ mitten im Faschingszug fand und mit zum Polizeiauto nahm, erinnert sich, dass „sie erst mal gar nicht verstanden hat, warum wir sie damit konfrontieren“.

Ob sie sich entschuldigt habe, will die Richterin nach dieser „für Frauen ungewöhnlichen Tat“ wissen. Ja, soeben vor dem Gerichtssaal. Zuvor nicht, obwohl das Opfer später einmal vor ihr gestanden habe im Laden. „Da habe ich mich nicht getraut, ich dachte, sie hat Angst vor mir.“ Ihr Anwalt Wolfgang Wilde hat inzwischen zumindest dafür gesorgt, dass eine erste Rate an (noch zu bestimmendem) Schmerzensgeld bezahlt wird.

Diese Geste und die Tatsache, dass ihre beiden Kinder sonst allein wären, retten die Abenbergerin vermutlich vor dem Gefängnis. Denn angesichts der einschlägigen Vorstrafen (mehrmals Körperverletzung), der „höchsten Gefahr“, dass das Opfer am Auge getroffen wird und erblindet und angesichts eines nicht wirklich erkennbaren Täter-Opfer-Ausgleichs fordert der Staatsanwalt eine Strafe von einem Jahr und sieben Monaten – ohne Bewährung.

Da laufen auch bei der Angeklagten bereits die Tränen. „Sie hat große Furcht vor der Strafe“, sagt ihr Anwalt. Ihm bleibe nichts als zu „hoffen“ und zu „bitten“, dass die Mutter der sechs- und achtjährigen Kinder eine „letzte Chance“ bekommt und eine einjährige Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. „Sehr knapp“, sagt Amtsrichterin Martin dann, sei ihre Entscheidung für das Aussetzen der einjährigen Strafe zur Bewährung ausgefallen. Denn viel sei es nicht, was zugunsten der Angeklagten spreche. Und die einschlägige Vorbelastung sei „massiv“. Dazu kommt, dass die Tat nicht nur „unendlich gefährlich“ gewesen sei, sondern auch psychisch einschneidend für das Opfer.

Der Angeklagten verordnet sie außerdem ein Antiaggressionstraining, und das Schmerzensgeld müsse mit 4000 Euro so dick ausfallen, dass es ihr „richtig wehtut“. Am schlimmsten aber findet die Richterin „auch als Mutter“, dass „Ihre Kinder sogar dabei waren. Was sollen die denn von Ihnen denken, wenn Sie so etwas tun und dann noch sturzbetrunken im Faschingszug weitertanzen?“ Das Antiaggressionstraining solle auch dazu dienen, „dass es keine Tätlichkeiten in der Familie geben darf und die Mutter keine anderen Menschen verletzt“.

Der Staatsanwalt hat sich noch nicht entschieden, ob er auf Rechtsmittel verzichtet. Die Tränen der Angeklagten laufen weiter.

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