Der Spalter "Bockl" dampft in Afrika

Patrick Shaw

Redaktionsleiter Schwabacher Tagblatt / Roth-Hilpoltsteiner Volkszeitung / Hilpoltsteiner Zeitung

E-Mail zur Autorenseite

17.9.2009, 00:00 Uhr
Günther Klebes hat die "Bockl"-Briefmarke im Internet ersteigert.

© Shaw Günther Klebes hat die "Bockl"-Briefmarke im Internet ersteigert.

Von 1872 bis 1995 verbanden die Gleise des "Spalter Bockl" die Hopfenstadt Spalt mit dem benachbarten Georgensgmünd. Die unter dem gleichen Namen berühmt gewordene "Glaskasten"-Lok mit der Nummer 98307 steht heute im Deutschen Dampflokomotiv-Museum im oberfränkischen Neuenmarkt. Sie wird heuer 100 Jahre alt.

Aber auch im mehr als 5000 Kilometer entfernten Äquatorialguinea hat die außergewöhnliche Dampflok offenbar Liebhaber: Eine aktuelle Briefmarke des westafrikanischen Lands zeigt den Spalter Bockl - obwohl die kleine Nation südlich Kameruns nicht einmal ein eigenes Eisenbahnnetz hat.

Ein echter Sammler

Auf die Kuriosität mittelfränkisch-afrikanischer Eisenbahn-Nostalgie ist Günther Klebes aus Erlangen aufmerksam geworden. Der 61-Jährige sammelt nach eigenem Bekunden begeistert "alles, was mit der Bahn zu tun hat - außer echten Lokomotiven".

Bei ihm zuhause stehen Modelle und historische Uniformmützen (die sogenannten "Rotkäppchen") neben zahllosen selbst geschossenen Fotos und Alben voll einschlägiger Telefonkarten und Briefmarken. Daneben arbeitet der Zahntechniker und dreifache Vater ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission, als Hobby nennt er "Bahnfahren", und selbst auf Hochzeitsreise ist er vor 25 Jahren mit der Bahn gegangen.

Die Bockl-Briefmarke hat Klebes im Internet ersteigert. Eigentlich ist es gar keine einzelne Marke, sondern eine Sonderpostkarte, auf die das Wertzeichen zusammen mit einer großformatigen Abbildung aufgedruckt ist. Diese zeigt - für den westafrikanischen Zwergstaat kaum weniger sonderbar und fremdartig - eine einstige sowjetische Dampflok.

Motiv aus Modellkatalog kopiert

Während letztere aber ein Originalfoto ist, haben die Macher der Karte den Spalter Bockl offenbar aus einem Modellbahnkatalog herauskopiert. "Möglicherweise stammt das Bild aus einem Roco-Katalog", meint Günther Klebes, "denn diese Firma stellt das Modell her". Seine Sammellust für Bahn-Briefmarken ist übrigens kein Einzelfall: "Es gibt sogar eigene Ausstellungen für Eisenbahn-Philatelisten", erzählt er.

Die einstige Bahnlinie Georgensgmünd-Spalt wurde am 16. Oktober 1872 von den Bayerischen Staatseisenbahnen eröffnet. Ursprünglich war eine Streckenführung der Ludwig-Süd-Nord-Bahn von Lindau über Gunzenhausen, Spalt und Georgensgmünd nach Nürnberg geplant gewesen. Da die Spalter Hopfenbauern aber angeblich befürchteten, ihr "grünes Gold" könne unter dem Rauch der Dampfloks leiden, wurde die knapp sieben Kilometer lange Trasse mit nur sechs Kurven erst rund 30 Jahre später als Zweigbahn der Hauptstrecke Nürnberg–Augsburg verwirklicht.

Die Baukosten in Höhe von 80.000 Gulden mussten die Spalter nach dieser anfänglichen Weigerung freilich selbst aufbringen. Um Geld zu sparen, wurden deshalb unter anderem 14 Brücken und Durchlässe aus den Steinen gebaut, die beim Abriss der Stadtmauer anfielen.

Verlängerung kam nie

In den Folgejahren fuhren auf der im Volksmund schon bald "Spalter Bockl" genannten Strecke täglich drei Zugpaare. Von 1892 bis 1922 beziehungsweise 1897 bis 1924 kamen Wasserzell und Hügelmühle als Haltepunkte hinzu, später Großweingarten. Eine geplante Verlängerung nach Windsbach wurde jedoch nach dem Ersten Weltkrieg verworfen.

Die Nebenlinie lebte von Anfang an vom Ausflugsverkehr und vom Hopfenanbau. Mit den Hopfenzügen gelangten während der Ernte Tagelöhner und Strafgefangene aus dem Rother Gefängnis zum Hopfenzupfen nach Spalt und in der Gegenrichtung Spalts "grünes Gold" und Bier in alle Welt. Bei einem Großfeuer im August 1911 transportierte der Bockl sogar die Feuerwehren aus Roth und Georgensgmünd nach Spalt - und am nächsten Tag per Sonderzug die Schaulustigen.

In den 1930er Jahren beobachteten die Anwohner zudem hin und wieder außerplanmäßige Leerfahrt: Auf der Pufferbohle karrte der Lokführer eine Fuhre Mist zu seinem neben dem Gleis gelegenen Feld. Die ersten typischen Glaskasten-Loks der Gattung PtL 2/2 tauchten 1909 in Spalt auf - vor genau 100 Jahren. In der Hopfenstadt "übernachteten" sie in einer Station an der Bahnhofsausfahrt Richtung Georgensgmünd.

Ein gläserner Kasten

Namensgebend für die kompakten, zweiachsigen Dampflokomotiven war das große Führerhaus mit den drei seitlichen Fenstern, das bis auf die Rauchkammer mit Schornstein den gesamten Kessel umschloss und so den kastenförmigen Gesamteindruck hinterließ. Von den drei Baureihen überdauerten zwei die Wirren der Zeit bis in die frühen Jahre der Deutschen Bundesbahn.

Die Ära der "Glaskästen" auf der Strecke des Spalter Bockl endete 1962. Am 27. September 1969, also fast genau vor 40 Jahren, wurde der Personenverkehr gänzlich eingestellt, obwohl die Strecke noch kurz zuvor saniert worden war. Die letzte Lok der Gattung PtL 2/2 mit der Nummer 98307, die früher auch in der Oberpfalz verkehrt war, wurde ausgemustert. Der Güterverkehr lief allerdings noch bis Mai 1995 weiter.

Heute findet sich zwischen Spalt und Georgensgmünd anstelle der Bahntrasse ein Fuß- und Radweg. Der Spalter Bahnhof fungiert seit einigen Jahren als "Kulturbahnhof". Die ausgemusterte Glaskasten-Lok, die bis heute analog zu ihrer einstigen Strecke als "Spalter Bockl" bekannt ist, steht als Leihgabe des Nürnberger Verkehrsmuseums im Deutschen Dampflokomotiv-Museum im oberfränkischen Neuenmarkt. Eine zweite PtL 2/2 mit der Betriebsnummer 4515, die seit 1925 aufgeschnitten im Verkehrsmuseum zu sehen war, fiel dem großen Brand des Lokschuppens am Nürnberger Hauptbahnhof im Oktober 2005 zum Opfer.

www.spalter-bockl.info