"Die Chance meines Lebens!"

13.11.2017, 17:47 Uhr

© Foto: Jürgen Leykamm

Das Rezept: Nicht noch eine weitere Maßnahme anbieten, mit der Arbeitslose wieder auf den Arbeitsmarkt zurückfinden sollen – sondern gleich zu einem sozialversicherungspflichtigen, vollwertigen Arbeitsverhältnis verhelfen. Und ihnen damit "eine echte Chance geben! Es ist besser den zweiten Arbeitsmarkt zu finanzieren als die Arbeitslosigkeit!"

Stefan Lohmüller, Leiter des Jobcenters Roth, ist bei einem Pressegespräch ganz begeistert von dem Projekt, das 2014 die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles aus der Taufe hob. Und dabei auf die Fördergelder der EU zählen konnte. Mit 1,3 Millionen Euro fürs hiesige Jobcenter bezahlt werden beispielsweise die Lohnkostenzuschüsse für die beteiligten Arbeitgeber sowie die sie beratenden Betriebsakquisiteure.

Die Langzeitarbeitslosen können bei dieser Form der Wiedereingliederung einen Coach in Anspruch nehmen und unterstützende Qualifizierungsmaßnahmen. Der ESF greift den Betroffenen auch bei der Mobilität unter die Arme, damit der Arbeitsweg kein Hinderungsgrund sein muss.

Anlaufschwierigkeiten

Bei 25 Betroffenen gelang es dem Jobcenter, über dieses Projekt wieder Beschäftigung zu finden. 13 Arbeitgeber haben sich auf es eingelassen. Doch der Erfolg stellte sich nicht von selbst ein. Im Juli 2015 gestartet, drohte es bundesweit sogar zu scheitern. Denn die Latte der Zugangsvoraussetzungen wurde erst so hoch gelegt, dass nur wenige diese erfüllten. Erst als man im zweiten Projektjahr den Vorgabenkorridor aufweitete, gelang die Vermittlung der Beschäftigungsverhältnisse mehr und mehr.

Doch dann hieß es gegen die Ressentiments der Unternehmer anzukämpfen. "Das war für meine Kollegen oft richtiges Klinkenputzen", so Lohmüller. So mancher scheute den bürokratische Aufwand und mochte sich mit dem Gedanken an den Coach für die Vermittelten im eigenen Hause nicht anfreunden.

Anders war bei zwei Einrichtungen, die von jeher enge Beziehungen mit dem Jobcenter pflegen und dem Projekt von Beginn an positiv gegenüberstanden: Der Werkhof Regenbogen in Pfaffenhofen, der derzeit über das Projekt acht ehemalige Langzeitsarbeitslose beschäftigt, sowie das AWO-Integrationsunternehmen "Auf Draht" – hier sind sechs Menschen ihnen wieder in Lohn und Brot (je eine Person ist zudem bei den Städten Heideck und Spalt beschäftigt, alle anderen sind es bei Privatunternehmen).

Zwei von ihnen machen beim Pressegespräch deutlich, wie schwer es ist der Langzeitarbeitslosigkeit zu entrinnen und wie gut dies aber dank des ESF-Projekts doch gelingen kann. Die in Nürnberg geborene Iris Holdt machte nach dem Abitur eine Hotelfachlehrer, arbeitete zwei Jahre an einer Rezeption und widmete sich dann ihren drei Kindern. 2011 ließ sich das nach Allersberg gezogene Ehepaar scheiden, Holdt meldete sich arbeitslos.

Arbeitsvermittler auf Draht

Die Vermittlung erwies sich als schwierig, zu lange hatte sie schon pausiert. Hier mal ein Kurs, da mal ein Praktikum, zwei Vorstellungsgespräche – mehr war nicht zu wollen. Doch im Rahmen des Projekts ging dann im diesjährigen Februar alles ganz schnell. "Wir suchten gerade händeringend jemanden für unsere Verwaltung", so "Auf Draht"-Geschäftsführer Burkard Winter. Arbeitsvermittler Lothar Fink brachte die beiden Puzzleteile zusammen und wenige Tage vor ihrem 46. Geburtstag hatte Holdt wieder eine Arbeitsstelle. Randnotiz: Fink selbst konnte damals ebenso der Arbeitslosigkeit entrinnen.

Die Wahl-Allersbergerin ist über das "verfrühte Geburtstagsgeschenk" überglücklich: "Das ist die Chance meines Lebens!" Nachdenklich fügt sie hinzu: "Und wahrscheinlich auch meine letzte. . .". Doch die hat sie wahrgenommen: Erst zwei Wochen Praktikum, dann das halbe Jahr Probezeit – nun hat sie einen zunächst auf zwei Jahre befristeten Vertrag (so sieht es das Projekt als Mindestvorgabe vor).

Doch Winter macht auch deutlich: "Ohne die ESF-Förderung wäre das Arbeitsverhältnis nicht zustande gekommen". Denn durch den Lohnkostenzuschuss (der bei 75 Prozent beginnt und dann abschmilzt) werde eine Anlern- und Eingewöhnungsphase erst ermöglicht. Der Coach stehe mit Rat und Tat zur Seite und sei auch für den Arbeitgeber eine große Hilfe.

"Es ist einfach ein unfassbares Gefühl, jetzt beginnt für mich ein ganz neuer Lebensabschnitt", freut sich Holdt. Für die Nachmittagsbetreuung der kleinen Tochter ist gesorgt, für die Anschaffung eines Autos für den Arbeitsweg gab es eine ESF-Finanzspritze.

Erfolgreich zur Festanstellung

Froh ist auch Frank Barteck, der heute in Georgensgmünd lebt. Er war der erste, der bei "Auf Draht" über das Projekt eine Festanstellung fand. Der 60-Jährige war als Schlosser im Tagebau tätig. Nach der Umschulung zum Kommunikationselektroniker zog Barteck mit seiner Familie nach Heideck. Zwei Jahre fand Barteck Arbeit in einem Baumarkt, dann ging es von der einen Zeitarbeitsfirma zur nächsten. Nach einem Praktikum bei der AWO-Einrichtung auf der Burg Hilpoltstein warf ihn ein Herzinfarkt aus der Bahn.

Dann fasste er als Ein-Euro-Jobber bei "Auf Draht" Fuß, später wurde daraus ein Minijob. Der wiederum mündete durch das ESF-Projekt in eine Festanstellung. Nun ist er dort als Fahrer und ab an in der Montage tätig. So hat Barteck auch immer ein gutes soziales Gefüge um sich. Das konnte er auch dringend brauchen – denn seine Beziehung ging entzwei und er zog nach Georgensgmünd.

Seitens des Jobcenter will man weiter in der Erfolgsspur des Projekts bleiben. Bei der Versammlung der Träger (Landkreis Roth und Arbeitsagentur Ansbach) entschloss man sich, einen zusätzlichen Vermittler für es einzustellen um den beachtlichen Betreuungsschlüssel (1:30) aufrecht zu erhalten.

Ohne zusätzliche Mittel – "wir müssen die Prioritäten neu setzen", so Lohmüller. Doch nicht nur das: Die Eingliederungshilfen sind für 2018 um eine halbe Million auf 900 000 Euro gekürzt worden. Um dieses Geld nun "konkurrieren zwei Gruppen – die Flüchtlinge und die Langzeitsarbeitslosen", scheut sich der Jobcenterchef nicht zu sagen.

 

Keine Kommentare