Die Larvenschnitzerin aus Hilpoltstein

20.2.2017, 14:59 Uhr
Die Larvenschnitzerin aus Hilpoltstein

© Foto: Petra Bittner

Der Weg in die winzige Sousterrain-Werkstatt gleicht einem Brauchtumsparcours. Denn das Reihenhaus der Schades im Wohngebiet "Über dem Rothsee" ist ein Hort karnevalistischer Traditionsexponate. Wer also wissen will, wie Katrin Schade die Flecklas-Larven ihrer Vereinskollegen von eigener (Frauen-)Hand schnitzt, der muss schon vorbei an mannshohen Kostümpuppen, einer Reihe von Orden wie Urkunden und mystisch wirkenden Holzgesichtern, die einen winterlichen Dämon wahrlich zur Flucht verleiten könnten. Aber das ist ja auch das Ziel, der Ausgangspunkt von alledem: den Winter verjagen, auf dass der Frühling endlich milde gestimmt Einzug hält...

Diese Sehnsucht trieb schon Katrin Schades Vater um, den Spalter Georg Schleicher. Auch der tauchte bisweilen an seiner Werkbank ab, um historisch verbürgte Larven aus schnöden Lindenholzklötzen zu stemmen. Zuerst für die "Fleckli" in Spalt, später auch für die Pleinfelder Hummeln und deren "Hörnerbock". Schleicher gab Schnitzkurse – und kurbelte das örtliche Faschingsgebaren auf diese Weise an. Die kleine Katrin schaute dem Vati derweil zu – und bekam Lust auf mehr.

Doch das handwerksaffine Töchterlein musste sich letztlich bis zum Jahr 2003 gedulden, ehe es der Herr Papa in die Kunst des Larvenschnitzens einführte. Katrin Schade war da bereits nach Hilpoltstein umgezogen und hatte den Spalter Fasching somit hinter sich gelassen. Dass auch die Burgstadt ein schönes Karnevals-Erbe besaß, dieser Umstand entging ihr indes nicht.

Inzwischen hat Katrin Schade aufgehört zu zählen. Holzlarven – nein, man sage de facto nicht "Masken" — wie sie ein authentischer "Flecklasmo" trägt, seien bereits zu Dutzenden aus ihrer Keller-Kammer gen Straßentreiben gewandert. Selbstgeschneiderte Gewänder ebenfalls. Pro Set wären dafür an die 100 Arbeitsstunden zu veranschlagen.

Tja, meint Katrin Schade achselzuckend, sie trage nun mal das Faschings-Gen in sich. Tanz- und Trendveranstaltungen klammere sie dabei jedoch aus. Worum es ihr gehe? "Brauchtum". Ein Wort, das sie so üppig ins Gespräch streut wie Konfetti. Mit Grund: Gut 400 Jahre hätten die "Flecklasmänner" auf dem frechen Buckel, und diese Tradition gelte es zu erhalten. Das unterstreicht die 41-Jährige mehrfach. Ja, eine "gesellschaftliche Verantwortung" wär’s gewissermaßen.

Närrisches Volk aufgemischt

Also ließ es sich die gelernte Industriekauffrau auch in Hilpoltstein nicht nehmen, als "Fleckli" das närrische Volk ein bisschen aufzumischen. Zunächst nur mit ihrem Ehemann und einem Nachbarn, dann als stetig wachsendes Grüppchen. Anno 2007 machte man Nägel mit Köpfen und gründete den Verein "Hilpoltsteiner Flecklasmänner", der heute fast 40 Mitglieder zählt.

Dass das in den Anfängen für einigen Wirbel gesorgt hätte, weiß Marc Schade. Schließlich hatte Hilpoltstein ja bereits seinen "Original Flecklasmo", den umtriebigen Karl Brunner und dessen Söhne. Bislang mit Alleinstellungsmerkmal. Der Fangemeinde sei die Vereinsgründerei deshalb wohl sauer aufgestoßen — "was aber überhaupt nicht unsere Absicht war", betont Katrin Schade. "Wir wollten lediglich eine Jahrhunderte alte Sitte weiterführen" – so, wie ihr Vater es sie lehrte.

Mittlerweile habe man sich arrangiert, denn natürlich wäre das Brunner’sche Auftreten im Hilpoltsteiner Fasching selbst schon eine Tradition, daran möchten die Schades überhaupt nicht rütteln. Dass die Brunners dazugehören wie die bunten Fetzen zum Flecklasmo-Gewand – das lassen Katrin und Marc Schade allerdings nur bedingt gelten.

Denn im Kontext der Vereinsgründung starteten die beiden auch eine Recherche-Offensive. Das Paar durchforstete historische Zeitungsbände, befragte alteingesessene Hilpoltsteiner und fahndete im Stadtarchiv nach Material, um die Geschichte der "Hilpoltsteiner Flecklasmänner" zu rekonstruieren – "ein Puzzlespiel".

Sackleinene Rautenkostüme

Letztlich hat sich die Mühe gelohnt. Denn inzwischen fanden Marc und Katrin Schade heraus, dass die Hipper "Flecklas" ursprünglich gar nicht in farbenfrohen Nachkriegslumpen unterwegs waren, sondern im sackleinenen Rautenkostüm mit brauner Wollborte, in welcher sich einst die Schnee-"Klamperla" verfingen. Und dass in Hilpoltstein sogar Frauen unterm Gewand steckten, das stellten die Schades zudem anhand von vergilbten Fotografien fest. Aha-Effekte hätte es derer so einige gegeben.

Gerade deshalb teilt das Ehepaar sein umfangreiches Wissen nunmehr in Kindergärten und Schulen mit. "Brauchtumsunterricht" nennt sich das ungewöhnliche Unterfangen, das vor Kurzem den BR zu einer Film-Reportage animierte.

Auch im Bayerischen Landtag durfte Katrin Schade das von ihr recherchierte "Flecklas"-Brauchtum bereits erläutern. Sie selbst näht heute übrigens keine Stoffstreifen mehr an die Kostüme, sondern fertigt nach historischem Vorbild – inklusive selbst geknüpftem Wollsaum. Letzteres eine Kärrnersarbeit.

Doch damit nicht genug. 2015 riefen die "Hilpoltsteiner Flecklasmänner" den ersten "Brauchtumsumzug" der Stadt ins Leben – mitsamt historischem Strohbär "Löll", der den auszutreibenden Winter verkörpert und anno 1793 von der Kirche verboten wurde. In Hilpoltstein erfuhr er eine Reanimation vor großem Publikum, sodass Ende Januar 2017 Auflage drei des quirligen Umzugs an den Start gegangen war – mit 26 Gruppen und etwa 400 Teilnehmern. "Hätte mir jemand gesagt, dass wir mal Großveranstalter sein würden, hätt’ ich ihm den Vogel gezeigt!", lacht Katrin Schade.

Für sie und ihren Mann Marc ist die (Erfolgs-)Geschichte an dieser Stelle aber nicht zu Ende. Welche "alternativen Fakten" im Hinblick auf die "Flecklas"-Kultur derzeit noch in den Archiven des Bistums Eichstätt schlummern? Das könne man nur erahnen.

Mit Sicherheit weiß Katrin Schade aber, dass in früheren Zeiten stets eine Strohpuppe am Faschingsdienstag auf dem Marktplatz verbrannt wurde, um dem bösen, kalten Winter endgültig "Ade!" zu sagen. Und das, meint die Traditionswahrerin aus Hilpoltstein vielsagend, "das hat doch was, oder...?"

 

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