Faustschlag auf die eigene Kappe genommen

15.3.2014, 00:00 Uhr

Der eine davon schrammte knapp an einem längeren Gefängnisaufenthalt vorbei. Weil er für eine Verständigung vor dem Schwabacher Amtsgericht zähneknirschend einen Faustschlag auf seine Kappe nahm, kam der mit einer Latte von Vorstrafen belastete und unter Bewährung stehende Hausmeister mit einer Schmerzensgeldzahlung und einer Geldstrafe davon. Richterin Dr. Andrea Martin entließ den 33-Jährigen und seinen Kontrahenten (36), einen Berufssoldaten, aus der Verhandlung mit dem Tadel: „Sie haben sich beide nicht wie Erwachsene benommen“.

Weil von vorneherein klar war, dass in diesem Fall zwei völlig widersprüchliche Aussagen aufeinanderprallen würden, betrieb das Gericht mit der Hinzuziehung des Sachverständigen Professor Seidl aus Erlangen einen außergewöhnlichen Aufwand. Er sollte einschätzen, inwieweit die attestierten Verletzungen des Soldaten zu den Schilderungen der Beteiligten und der Zeugen passten.

Zwei kräftige Kerle waren das, die sich erstmals so gegen 22 Uhr in der Nacht vor der Bundestagswahl im Biergarten der Gaststätte sahen. Der Angeklagte und seine Begleiter schilderten den Soldaten als angetrunken und aggressiv, er habe auf „dicken Max“ gemacht. Vier bis fünf Bier, eine Cola, ein Radler und vielleicht eine Runde Schnaps im Kreise seiner Kumpels räumte dieser ein: „Aber betrunken war ich nicht.“ Und Anstänkern sei gar nicht seine Art.

Als ihm süßlicher Zigarettenrauch in die Nase gestiegen wäre, sei er angewidert in die Gaststätte zurück. Später, auf dem Weg zur Toilette, kreuzten sich die Wege erneut. Dabei soll der Ausdruck „Scheiß-Kiffer“ gefallen sein, der angeblich den Mund des Soldaten nie verlassen, sehr wohl aber in die Gehörgänge des Angeklagten und seines Kumpels gefunden hat. Mit der Beobachtung des Phänomens an sich, geeignet, um für den Physik-Nobelpreis vorgeschlagen zu werden, wollten sich die beiden nicht zufriedengeben. Es sollte auch das „Warum?“ diskutiert werden. Und was eignet sich da besser als ein enges Pissoir?

Bei dieser Diskussion gerieten die Erlebniswelten durcheinander. Der Hausmeister wurde gegen einen Kondomautomaten geschubst. Daraus entwickelte sich eine Rangelei mit missglücktem Schwitzkastenversuch, bei der die Pullover der beiden Herren zerrissen, ehe Freunde dazwischen gingen.

Aus Sicht des Soldaten kam erstmal ein Faustschlag aufs Auge auf ihn zu, dann einer an die Schläfe und einer auf die Nasenwurzel, ehe er in schützender Embryo-Stellung auf die Knie sank und weitere Schläge und Tritte einsteckte. Beide Versionen wurden in ähnlichem Wortlaut von je einem Freund bestätigt, was die Richterin in der Urteilsbegründung im Terminus „Gefälligkeitsaussagen“ zusammenfasste. Einigkeit in den Darstellungen herrschte wieder, als man sich anschließend im Nebenraum traf und wegen der zerrissenen Pullover um finanzielle Wiedergutmachung feilschte.

Das Geschacher nervte den Freund des Soldaten schließlich dermaßen, dass er die Polizei rief. Dem Wirt, der Bedienung und den Beamten gegenüber schilderte man die Klo-Geschichte als harmlose Rangelei. Die Sache schien erledigt. Anzeige wollte zunächst niemand erstatten.

Der Soldat verweigerte eine Alkoholkontrolle. Sein Kontrahent, im Bewusstsein der laufenden Bewährungsfrist, stimmte zu (0,6 Promille) und verlangte gar vergeblich nach einer Untersuchung auf Betäubungsmittel-Konsum, um den „Kiffer“-Vorwurf zu entkräften. Weil ihm schlecht wurde, so der Soldat, ließ er sich noch in der Nacht in der Notaufnahme des Krankenhauses Roth untersuchen. Dort stellte man ein Veilchen am Auge, Kratzer am Arm, Prellungen am Körper und an den Innenseiten beider Beine fest. Zwei Tage später beim Stabsarzt, als die Blutergüsse sichtbarer waren, wurde die Diagnose bestätigt. Die Anzeige folgte einige Tage später.

Jeder einzelne blaue Fleck wurde nun begutachtet. Nach Demonstration der Embryo-Haltung und sogar einer Gegenüberstellung der Kontrahenten zur Untersuchung der Reichweite ihrer Arme kam Professor Seidl zu der Auffassung, dass nur die Verletzung am Auge für einen Faustschlag stark genug gewesen sei, alle anderen Blessuren ließen sich auch durch eine Rangelei erklären. Tritte hielt er für unwahrscheinlich, ebenso drei Schläge an den Kopf.

„Pain passes“ (Schmerz vergeht) hat sich der Soldat tätowieren lassen. Dieser Vorgang wurde ihm mit 1000 Euro Schmerzensgeld versilbert. Der Angeklagte muss 120 Tagessätze à 25 Euro und das Verfahren zahlen.

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