Roth: "Sprach-Kita" ein Volltreffer

20.1.2018, 06:00 Uhr
Roth:

© Foto: Bittner

Zurzeit wird groß gebuddelt. Für die Kleinsten. Weil die "Waldwichtel" Zuwachs kriegen: 24 Krippenplätze sollen Ende des Jahres in der Waldstraße zur Verfügung stehen.

Im Zuge der Baumaßnahme muss das gesamte Außenareal umgestaltet werden: neue Rutsche, Schaukeln, Wippen, Klettergerüst. Oder was?

"Das wollten wir nicht den Planern überlassen, das wollten wir von den Kindern wissen", sagt Erzieherin Heidi Niemietz. Also fragte man die Steppkes nach deren Wünschen.

Doch damit nicht genug. Da Niemietz seit 2012 auch hauseigene "Fachkraft im Bundesprogramm Sprach-Kita" ist, regte sie zudem die Einsetzung eines "Waldwichtel-Kinderparlaments" an. Gewählt von Kindern für Kinder. Die Mini-Parlamentarier sollten ihre gesammelten Outdoor-Optionen dann selbst mit den Architekten besprechen. Am runden Kita-Tisch.

Was ganz erstaunlich anmutet, ist Realität geworden: Die Kleinen saßen mit den Großen in einer Planungsrunde. "Natürlich wird nicht alles umgesetzt, was unsere Kinder sich wünschen – aber sie sind einbezogen, fühlen sich ernst genommen", erklärt Anja Eitel. Aus so einem Gefühl heraus könnten auch Grenzen gut akzeptiert werden.

Was wirklich wichtig wäre. Denn ein Leitgedanke bei den "Waldwichteln" heißt: "Das Kind steht im Mittelpunkt". Kein "Tanz ums Goldene Kalb", keine Anarchie- oder "Kinder-an-die-Macht" Attitüde sei damit gemeint. Es gehe darum, "ein Gespür für die Bedürfnisse" der Kleinen zu entwickeln, meint Heidi Niemietz. Und es gehe um Partizipation, um Teilhabe. Der zugehörige Türöffner: Sprache.

2012 legte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ihr Programm "Offensive frühe Chancen" vor und brachte damit deutschlandweit 4000 "Schwerpunkt-Kitas für Sprache und Integration" auf Kurs. Eine davon: die Awo-"Waldwichtel" im Rother Norden. 2016 gab es die Fortsetzung unter Manuela Schwesig. Tenor: "Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist".

Weshalb man von Anfang an dabei sein wollte? "Es war einfach auffällig, dass immer mehr Kinder intensive Sprachbegleitung benötigten", blendet Anja Eitel zurück. Im Vertrauen auf das ministerielle Versprechen, durch ein Mehr an "alltagsintegrierter, sprachlicher Bildung" auch mehr Chancengleichheit für die Kids erwirken zu können, machte man mit – und hat es bis heute nicht bereut. Zumal der Awo-Ortsverein in Roth als Träger der Einrichtung mitzog.

Lohnender Aufwand

Klar, es sei aufwendig, bestätigt Heidi Niemietz, der man 19,5 Wochenstunden für ihr sprachbezogenes Engagement zugesteht. Inzwischen gehören bei den "Waldwichteln" nicht nur eine hausinterne Kinderbücherei, Lesepaten und bibliophile Netzwerkpartner zum Alltag. Auch regelmäßige Exkursionen auf den Wochenmarkt, in die städtische Bibliothek oder zum Buchhändler stünden auf dem Plan.

Dazu kämen: Kleingruppen- und Einzelarbeit, Fortbildungen, Teamanleitung, Monitoring Reflexion. Unter anderem. Gleichwohl sei’s ein Aufwand, der lohne.

Denn, so Anja Eitel: "Unsere Perspektive hat sich verändert. Das Programm macht was mit uns". Man wandle zwar nach außen hin auf einem "Weg der kleinen Schritte", doch der leite die Einrichtung auf den Pfad eines ganzheitlichen Denkens. Ja, es hätte sich insgesamt eine "Kultur der Wertschätzung" breit gemacht.

Die anarchisch anmutende Devise "Das Kind führt" bedeute mithin nichts anderes als eine neue Haltung: "Ich sehe dich, ich höre dich, ich achte dich". Das gelte für alle: Kinder, Eltern, Team. Drum gebe es regelmäßig ein geselliges Elterncafé; drum werde demnächst eine feste "Elternecke" eingerichtet, die Mamas wie Papas zum Austausch einlade und pädagogische Literatur biete; drum hat Leiterin Anja Eitel eine Weiterbildung zur Elternbegleiterin und systemischen Familienberaterin absolviert; drum ist eine Kollegin gerade dabei, übers Projekt "Kinderstube der Demokratie" noch mehr Partizipationsmöglichkeiten für die Kleinen ans Haus zu holen.

Man wolle schließlich "keine Alibi-Veranstaltung" sein, so die einhellige Meinung. Mitbestimmung bedeute Mitbestimmung. "Nicht nur dann, wenn es gerade passt - sondern immer", untermauert Anja Eitel.

Ob das anstrengend sei? "Freilich! Weil’s erstmal ein Lernprozess ist, sich zurückzunehmen", gibt sie unumwunden zu. Doch mittlerweile eröffne das Miteinbeziehen der Kinder auch Freiheiten: "Wir planen nicht mehr soviel und rücken statt organisatorischer Dinge eher das Inhaltliche ins Zentrum". Flexibilität sei das Gebot der Stunde und Aha-Effekte inklusive!

Mehr Kontakt

So hat es sich Heidi Niemietz längst verkniffen, Bilderbuchbetrachtungen "von vorne nach hinten" durchzuziehen. Die Kinder entscheiden, was angeguckt wird - ob Anfang, Mitte oder Ende des Buches.

Hätte Niemietz früher noch gedacht: "Die hören ja gar nicht zu", so begreife sie nun: Die Steppkes suchen Sprachanlässe, um aus ihrer eigenen Erlebenswelt berichten zu können. Motto: "Gib’ du mir dein Ohr – und ich gebe dir mein Wort". Das funktioniere, beteuert Niemitz fasziniert. "Die Kinder treten viel mehr in Kontakt".

Damit einher gehe ein neues Selbstbewusstsein der Sprösslinge, stellt man begeistert fest. Beispiel: "Eine unserer Schüchternsten hat sich in ihrer Gruppe zur Kinderparlamentsprecherin wählen lassen – obwohl sie wusste, dass sie dann mit den Architekten zu reden hat", erzählt Anja Eitel. Und das Mädel habe geredet...

Dieses Plus an kindlichem Selbstwertgefühl könnte übrigens schon am 1. Februar öffentlich werden. Nämlich dann, wenn die neue "Elternecke" mit Landrat und Bürgermeister offiziell ihrer Bestimmung übergeben wird.

Allerdings müssten sich dazu auch die Honoratioren in der Kunst der Zurückhaltung üben...

Nach dem Pisa-Schock kam die Projekt-Flut — und mit ihr der Weitblick, dass man den Hebel gegen das Leistungsversagen deutscher Schüler schon im Kleinkindalter ansetzen müsse. Denn was sich schnell herumsprach: Sozialer Hintergrund, Herkunft – das spielt hierzulande die Hauptrolle beim Bildungserfolg junger Menschen. Die Forderung nach "Chancengleichheit" machte die Runde. Seitdem ist in den Kindertagesstätten einiges geboten. "Mal mehr, mal weniger nachhaltig", meint Anja Eitel. Doch "echt überzeugt" gibt sich die Leiterin des Awo-"Waldwichtel"-Kindergartens in Roth vom Bundesprogramm der "Sprach-Kitas". Eitels Einrichtung ist so eine. Seit fünf Jahren die einzige im Landkreis. Dabei sei das Konzept "ein Volltreffer".

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