Flüchtlinge als Facharbeiter „direkt an der Werkbank erproben“

26.11.2015, 16:56 Uhr
Flüchtlinge als Facharbeiter „direkt an der Werkbank erproben“

© Foto: Patrick Shaw

Der wohl wichtigste Satz des Abends fiel eher beiläufig und blieb unkommentiert: „Wir brauchen keine Ungelernten, davon haben wir selbst genug, wir brauchen Fachkräfte!“ Hinweisen wollte Claudia Wolfinger damit auf den Mangel an geeigneten Lehrlingen. Jeder fünfte Ausbildungsplatz im Agenturbezirk war im September unbesetzt. Hier bräuchten Industrie, Handwerk und die alternde Gesellschaft die Zuwanderer.

Die Agenturchefin streifte damit aber auch ein anderes Problem: die Konkurrenz zwischen schlecht qualifizierten Migranten und der wachsenden Zahl an Einheimischen ohne Abschluss. Der Vorwurf, die Wirtschaft missbrauche das Überangebot an billigen Arbeitskräften für Lohndumping, trägt zwar laut Wolfinger wegen des ihr zufolge recht gut kontrollierten Mindestlohns nur selten. Die Wahrnehmung in den „abgehängten“ Teilen der Bevölkerung ist aber eine andere und birgt sozialen Sprengstoff.

Um den ging es an dem Abend im Landratsamt aber nur am Rande. Denn auch die gut qualifizier- und integrierbaren Flüchtlinge tun sich derzeit noch schwer, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden. Dabei machen die hiesigen Firmen mit den wenigen, die bereits in Lohn und Brot stehen, meist sehr gute Erfahrungen.

Das schilderte zum Beispiel Martin Röhlich von der Firma Fliesen-Röhlich aus Wendelstein. In den vergangenen Jahren habe er mangels deutscher Bewerber rund 50 ausländische Facharbeiter aus 13 Nationen angestellt, darunter zwei Flüchtlinge aus Afghanistan und dem Irak. „Das Handwerk ist auf sie angewiesen, um an Fachkräfte zu kommen“, so Röhlich.

Für die Integration arbeitet der Betrieb mit dem Don-Bosco-Jugendwerk zusammen. „Es ist unvorstellbar, wie schnell diese Leute Deutsch lernen“, beobachtet der Geschäftsführer. Die Asylbewerber seien „höflich, motiviert, lernbereit und dankbar für eine Chance“. Auch bei seinen deutschen Gesellen spüre er „eine Veränderung“. Nach ersten Vorbehalten rissen sich diese nun oft darum, im Team mit den Flüchtlingen zu arbeiten.

Tobias Otterpohl von der Hilpoltsteiner Firma LMT hatte sogar einen seiner neuen Lehrlinge mitgebracht. Eremias steht kurz vor der Zwischenprüfung zum Metallarbeiter. Der Kontakt kam über ein Praktikum zustande, und LMT hat sich sogar um eine Wohnung für den jungen Äthiopier gekümmert, damit dieser die Nächte nicht in der lauten Flüchtlingsunterkunft durchwachen muss. „Unser Hauptproblem ist, dass Eremias derzeit nur geduldet wird“, so Otterpohl. Denn der 27-Jährige stammt aus einem „sicheren Herkunftsland“. Die mangelnde Verlässlichkeit beim Aufenthaltsstatus kritisierten auch weitere Unternehmer in der Runde.

Kein Fall wie der andere

Drei unterschiedliche Fälle schilderte Susanne Segna von der Barnsdorfer Firma Schlenk. Ideal lief es für eine studierte Chemikerin aus dem Iran, die das Unternehmen nach einer Hospitanz gleich übernehmen konnte. Ein Maschinentechniker aus Albanien habe dagegen zunächst anderthalb Jahre lang Deutsch büffeln müssen. Inzwischen arbeitet er als Anlagenführer, ein Teil seiner Leistungsprämie fließt aber weiterhin in einen Deutschkurs. Ein junger Syrer, der laut Segna „richtig gut unterwegs war“, habe schließlich im Praktikum festgestellt, dass er statt Informationskaufmann doch lieber Web-Designer werden wolle. „Das war schade für uns, aber gut für ihn“, so die Personalchefin. Er habe sich „selbstbewusst entschieden und seinen Weg gefunden“.

Grundsätzlich waren sich alle drei Firmenvertreter jedoch mit Landrat Herbert Eckstein einig, dass jeder einzelne vermittelte Asylbewerber „ein Erfolg“ sei. Auch wenn das Gros der Flüchtlinge derzeit noch gar nicht arbeiten könne, gelte es „jetzt schon möglichst viele zu qualifizieren und die Kontakte zu individualisieren“.

Der „Flaschenhals“ ist laut Claudia Wolfinger die Sprache. Das Budget der Arbeitsagentur für Deutschkurse sei deshalb nochmals aufgestockt worden. Für mehr als 400 Asylbewerber laufen diese bereits, ebenso viele starten heuer noch. Die Kurse dienen der Agentur zugleich als „systematischer Zugang“ zu den Flüchtlingen. Allerdings fehle noch eine Datenbank mit den Profilen der arbeitssuchenden Zuwanderer, wie Jürgen Gambert von der Firma Memmert in Büchenbach bemängelte. „Wir hätten gern mehr, aber das läuft noch recht zäh.“

Das liegt auch daran, dass die Gesamtzahl der Flüchtlinge oft fälschlicherweise mit der der potenziellen Fachkräfte gleichgesetzt wird. So sind im Landkreis Roth derzeit knapp 2200 Flüchtlinge untergebracht, gut die Hälfte dezentral, knapp die Hälfte in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung. Letztere dürfen ohnehin nicht arbeiten. Von den dezentral wohnenden Bewerbern sind wiederum etwa 250 minderjährig und 130 älter als 55 Jahre. Damit bleiben rund 750 zwischen 18 und 55 Jahren, die nach dreimonatigem Aufenthalt arbeiten oder eine Ausbildung beginnen könnten.

Bei Zahlen genau hinschauen

Tatsächlich in Arbeit sind bisher 44 sowie fünf in Ausbildung. Etwa 350 sind noch nicht lange genug hier oder besuchen noch einen Deutschkurs. Die restlichen 350 könnten laut Sachgebietsleiterin Ottilie Tubel-Wesemeyer vermittelt werden — „und jeder der möchte, wird es auch.“ Rund 250 seien derzeit als arbeitssuchend gemeldet, ein Teil wolle allerdings auch studieren. Einschränkend komme überdies das Herkunftsland hinzu, denn nur Flüchtlinge aus den „unsicheren“ Ländern Syrien, Eritrea, Iran und Irak erhalten eine Arbeitserlaubnis.

Das stieß im Publikum auf Unverständnis. „Vielleicht sind ja auch qualifizierte Leute aus sicheren Staaten dabei“, so ein Zwischenruf. „Das wissen wir“, räumte Tubel-Wesemeyer ein. „Wir können uns aber nur im Korsett der geltenden Gesetze bewegen.“

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