Flugzeugwracks erzählen Kriegsgeschichte

26.8.2016, 06:03 Uhr
Flugzeugwracks erzählen Kriegsgeschichte

© Andre De Geare

Es ist der 25. Februar 1945, ein Sonntag. Wendelin Meyer ist gerade zu Fuß auf dem Rückweg von der Kirche in Mindorf, als er das unverkennbare Heulen hört. „Ich wollte heim, um mich umzuziehen, da ist es laut geworden“, erinnert er sich.

Die Kampfflugzeuge, die Tag für Tag von Westen kommen, um Nürnberg oder Würzburg zu bombardieren, sind in den letzten Kriegswochen allgegenwärtig. „Wir wussten genau, zu welchen Zeiten sie fliegen“, sagt Meyer. „Uns Bauern haben sie in Ruhe gelassen.“ Nur einmal hätten Tiefflieger in Solar ein Ochsengespann beschossen. Den Luftkampf an diesem kalten Wintermorgen hat der zwölfjährige Wendelin zwar nicht bemerkt, das Geräusch des überdrehenden Motors einer abstürzenden Maschine kennt er aber.

Am Steuer der Messerschmitt Bf 109 G-14 sitzt der deutsche Obergefreite Johann Neuwirth. Der 21-Jährige aus dem Dorf Lidhersch (Lidécovice) nahe Datschitz in Mähren, dem heutigen Dacice im Süden Tschechiens, ist Flugschüler der 8. Staffel des Jagdgeschwaders 104. Die Einheit ist seit Oktober 1944 auf dem Rother Fliegerhorst stationiert. Vermutlich ist Neuwirth auf einem Übungsflug, weil seine Vorgesetzten am frühen Sonntagmorgen mit wenig Feindfliegern rechnen. Gegen die drei amerikanischen Jagdbomber, deren Weg er kreuzt, hat er „keine Chance“, wie Wendelin Meyer heute weiß.

Tödliches Abenteuer

Für den damals Zwölfjährigen ist das Beobachten von Luftkämpfen jedoch ein großes Abenteuer. 1942 ist seine Familie aus Meckenhausen zurück ins Geburtshaus des Vaters nach Jahrsdorf gezogen, um dort die großelterliche Landwirtschaft und den Hof des in den ersten Kriegsjahren gefallenen Onkels zu bewirtschaften. Von einem nahen Hügel aus hat der Junge zusammen mit anderen Dorfbuben schon im Januar den Absturz eines britischen Lancaster-Bombers verfolgt. Und im Wald unterhalb von Stauf steckt seit einiger Zeit ein abgetrenntes Cockpit wie aufgespießt auf Baumstämmen, sodass man sich „sogar noch ans Steuer setzen konnte“.

Der jetzige Einschlag ist aber ein ganzes Stück näher. Wendelin Meyer findet das Wrack des Jägers keine 300 Meter vom Ortsrand entfernt, südlich der heutigen Staatsstraße 2238 Richtung Hilpoltstein, etwa 250 Meter westlich der Abzweigung nach Mindorf. „Zuvor muss es eine Explosion gegeben haben“, schlussfolgert er. Denn aus der zerstörten Pilotenkanzel „haben nur noch ein paar Weichteile herausgeguckt“. Für den jungen Flieger kommt jede Hilfe zu spät.

Flugzeugwracks erzählen Kriegsgeschichte

© Patrick Shaw

Schnell versammeln sich weitere Dorfbewohner an der Absturzstelle. „Vom Flugplatz in Roth ist dann eine Abordnung mit einem Sarg gekommen“, erinnert sich Meyer. Das zerschellte Flugzeug lässt das Militär zurück — es gibt Wichtigeres zu tun.

Piloten waren 20 und 21 Jahre alt

Später erfahren die Jahrsdorfer, dass am selben Tag noch ein weiterer Flieger nahe dem benachbarten Eysölden abgeschossen wurde. Auch dessen Pilot ist mittlerweile bekannt. Es war der Unteroffizier Hans Josef Wenser aus Forst in der Pfalz. Er gehörte ebenfalls der 8. Staffel des Rother Jagdgeschwaders an und hatte Johann Neuwirth vermutlich bei seinem Übungsflug begleitet. Dass Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade am Steuer eines Kampfflugzeugs sitzen, ist in den letzten Kriegsmonaten keine Seltenheit. Erfahrenere Piloten hat die Luftwaffe kaum noch. Vier Tage nach seinem Absturz wäre Hans Josef Wenser 21 Jahre alt geworden.

Acht Wochen später ist der Krieg in Jahrsdorf vorbei. „Am 21. April kamen die Amerikaner“, blickt Wendelin Meyer zurück. Zusammen mit einem Freund hat er tags zuvor von einer Anhöhe aus die letzten Gefechte um Nürnberg beobachtet. „Dann bin ich nach Hause gelaufen und habe eine Ladung Mist gefahren“, erinnert er sich an das sonderbare Nebeneinander von Krieg und Alltag in diesen Tagen. Auf dem Heimweg sieht er Wehrmachts-Offiziere, die sich in einer Limousine aus dem Staub machen. Sie kommen nicht weit.

Noch einmal für kurze Zeit zum Dorfgespräch werden die abgeschossenen Kampfflugzeuge einige Jahre später. Von dem Wrack bei Eysölden entfernt der Grundbesitzer Anfang der 1950er Jahre alle noch verwertbaren Schrottteile und verkauft sie als Altmetall. Der bei Jahrsdorf abgestürzte Flieger muss dagegen laut Meyer „noch größtenteils im Boden sein“. Durch die Flurbereinigung und den Böschungsbau entlang der Staatsstraße lägen die Überreste allerdings vermutlich bis zu fünf Meter tief unter der Erde.

Die Bestätigung über die Identität der beiden Piloten erhält der heute in Inning am Ammersee lebende Adolf Koneberg 2011 von der „Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“ in Berlin. Koneberg wohnte 1945 nur wenige Kilometer von Wendelin Meyer entfernt in Pyras. Und wie es der Zufall will, ist er mit dem bei Jahrsdorf abgestürzten Johann Neuwirth vermutlich verwandt: Seine Schwiegermutter ist eine geborene Neuwirth aus dem südmährischen Urbantsch (Urbanec), nur einen Katzensprung entfernt von Lidhersch, dem Geburtsort des Piloten.

Absturzstelle genau lokalisiert

Die Nachricht bestärkt Koneberg in seinem Wunsch, die Reste der Jahrsdorfer Maschine zu bergen. Schon im Herbst 2009 hat er die Absturzstelle mit einem Metalldetektor auf einen halben Meter genau lokalisiert und dabei einen Hebel, Blechteile und ein paar Splitter Plexiglas gefunden. Ein Metallstück war tief im Holz einer Eiche eingewachsen. Allerdings fehlen dem Rentner sowohl schweres Gerät als auch das Okay des Landwirts, um dessen Acker umzugraben. Außerdem hat er Bedenken wegen möglicher explosiver Stoffe. An der Idee bleibe er aber dran.

Die beiden glücklosen Jägerpiloten sind nebeneinander auf dem Rother Friedhof begraben. Am Kriegerdenkmal in Jahrsdorf fehlen ihre Namen jedoch. An den Absturzstellen – sowohl an denen der zwei deutschen Flieger als auch der des britischen Lancaster-Bombers, von dessen sechsköpfiger Besatzung nur ein Mann überlebte – würden Meyer und Koneberg deshalb gern kleine „Marterl“ aufstellen: Zum Gedenken an die jungen Männer, die noch in den letzten Kriegstagen dem Wahnsinn der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.

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