Georgensgmünd: Ortstermin bei "Reichsbürger" angeordnet

27.9.2017, 11:27 Uhr
Das war der Briefkasten von Wolfgang P., der sich wegen tödlicher Schüsse auf einen Polizeibeamten vor Gericht verantworten muss.

© Daniel Karmann/dpa Das war der Briefkasten von Wolfgang P., der sich wegen tödlicher Schüsse auf einen Polizeibeamten vor Gericht verantworten muss.

In zwei Wochen wird Wolfgang P., der Mann, den man als Reichsbürger kennt und von dem seine Verteidiger sagen, er sei gar keiner, wieder sein kleines Reich betreten - diesmal gefesselt und bewacht von mehreren Polizisten und Justizwachleuten. Um 5.30 Uhr, am 11.Oktober, so hat es die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth angeordnet, findet "Am Weinberg 13" ein Ortstermin statt, um die Lichtsituation zum Tatzeitpunkt am Tatort zu prüfen.

Ein Jahr vorher, am Morgen des 19. Oktober 2016, gab Wolfgang P. hier einen tödlichen Schuss auf einen Polizisten (32) ab, zwei weitere Beamte verletzte er schwer – daran zweifeln nicht einmal seine Verteidiger. Doch Susanne Koller und Michael Haizmann wollen mehr herausholen als mildernde Umstände - im Gegensatz zu Staatsanwalt Matthias Held, der von Mord spricht, sehen sie allenfalls eine fahrlässige Tötung. Denn Wolfgang P., so eines ihrer Argumente, habe in all dem Chaos, in dem die SEK-Beamten in das Anwesen eindrangen und mit ihren Taschenlampen leuchteten, Einbrecher vermutet und die Polizei als solche gar nicht erkannt. Als das SEK im Morgengrauen anrückte, und die Beamten die gelben Linien, die er als Grenze auf die Waschbetonplatten gemalt hatte, übertraten, sei er friedlich im Bett gelegen. Von Martinshorn oder Blaulicht will er nichts wissen, gemerkt haben will er nur, dass mehrere Menschen in sein Haus eindrangen. Eine Mitbewohnerin habe geschrien.

"Dritten Weltkrieg" befürchtet

Dem psychiatrischen Gutachter Michael Wörthmüller schilderte er später, befürchtet zu haben, dass nun "der Dritte Weltkrieg" ausgebrochen sei, er nur die Wahl zwischen "Arschloch oder Held" habe. Mit elf Schüssen feuerte er durch die geschlossene, teilweise verglaste Wohnungstüre auf die Beamten. Wie die Lichtverhältnisse vor einem Jahr am Tatort waren, wurde durch einen Gutachter bereits analysiert, ergänzend soll der Ortstermin Licht in die Dunkelheit des Falls bringen - bietet Ankläger Held doch Zeugen dafür auf, dass das Blaulicht in jener Nacht sehr wohl zu sehen, das Martinshorn zu hören war. Mehrere SEK-Beamte haben im Zeugenstand versichert, "Polizei" gerufen zu haben.

Wie jeder Prozesstag im Gericht ist auch ein Ortstermin öffentlich - doch der Tatort, P.s Wohnung, wird mit den drei Richtern und zwei Schöffen, dem Staatsanwalt, dem Angeklagten mit seinen Verteidigern, den Nebenklägern, den Wachleuten der Justiz, Polizisten und dem Lichtgutachter wohl gut besucht sein. Auch eine Protokollführerin wird die Fragen und Feststellungen der Verfahrensbeteiligten festhalten. Es ist daher unwahrscheinlich, dass interessierte Zuschauer dem Tross während des Ortstermins folgen können. Dazu kommt: Während des Augenscheins darf in der Umgebung des Gebäudes keine Beleuchtung, etwa von Autos oder Fernsehkameras, eingeschaltet sein, das Ergebnis des Ortstermins würde verfälscht.

Der "richterliche Augenschein" ist in Paragraf 86 der Strafprozessordnung geregelt, er besteht darin, "dass sich das Gericht mittels sinnlicher Wahrnehmungen einen Eindruck verschafft": Nach dem Ortstermin in Georgensgmünd (Landkreis Roth) wird die Sitzung am 11. Oktober um 9 Uhr im Schwurgericht fortgesetzt.