Hilpoltstein: Rote Karten und eine "Straße der Demokratie"

1.9.2017, 15:30 Uhr
Hilpoltstein: Rote Karten und eine

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An den Bistrotischen stehen die Bundestags-Kandidaten von Bündnis 90/Grünen, CSU, FDP, FW, Linken und SPD. Ein Moderator stellt eine Frage, jede Partei hat eine Minute Zeit zum Antworten, dann ist kurz Zeit für Nachfragen aus dem Publikum, nach 15 Minuten ist die Runde beendet. Dann kommt nach einer Pause die zweite Frage dran. So sieht das Konzept für die Wahlveranstaltung im Residenzhof aus.

Die Idee zu dieser besonderen Talk-Runde entstand im Frühjahr in einer Sitzung des Teilhabekreises. Vor rund zehn Jahren haben sich in diesem Kreis Regens Wagner (Zell) und Rummelsberger (Auhof) zusammengetan, seit diesem Jahr ist auch die Lebenshilfe dabei. Ziel des Kreises ist es, dafür zu sorgen, dass Behinderte immer besser am Leben in der Stadt teilhaben können.

Dazu gehört auch die Teilnahme am politischen Leben. Und die Nutzung des Wahlrechts. Das haben nämlich auch Menschen mit Handicap, es sei denn, ihnen wurde für die "Besorgung aller (ihrer) Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt". So steht es im Bundeswahlgesetz.

Im Hilpoltsteiner Auhof zum Beispiel dürfen von den 360 Bewohnern rund 50 ihre Stimme abgeben, weiß Meike Scholler von der Rummelsberger Diakonie. Und sie sind durchaus politisch interessiert.

Hilpoltstein: Rote Karten und eine

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So treffen sich 15 Bewohner regelmäßig in einem politischen Forum, um sich zu informieren und zu diskutieren. Ein ähnliches Treffen gibt es auch bei Regens Wagner. Es nennt sich "Arbeitskreis Politik", findet alle vier bis sechs Wochen statt, "und dann wird schon mal ordentlich debattiert", sagt Regens-Wagner-Mitarbeiterin Julia Stiehler. Über die EU zum Beispiel und den Brexit.

Letzter war auch für Hilpoltsteins 2. Bürgermeisterin Ulla Dietzel einer der Gründe für so eine öffentliche, inklusive Wahlveranstaltung. In Großbritannien seien viele gar nicht erst zur Wahl gegangen, "weil sie dachten, es ändert sich eh’ nichts", erklärt Dietzel, die als Vertreterin der Stadt im Teilhabekreis mitarbeitet. Dabei "sollte jeder das Privileg des Wahlrechts auch nutzen".

Sich über Parteiprogramme und Kandidaten informiert, haben sich die Bewohner der Behinderteneinrichtungen auch in den vergangenen Jahren schon – allerdings stets "im geschützten Bereich", also in den Einrichtungen selbst. Dies soll sich nun ändern. Erstmals gibt es eine öffentliche Wahlveranstaltung, zu der die drei Organisationen alle Interessierten mitten in die Stadt einladen, das sei "umgekehrte Inklusion", so Ulla Dietzel.

Sechs Parteien haben die Organisatoren eingeladen, "und alle haben recht schnell zugesagt", freut sich Dietzel. In einer "Straße der Demokratie" dürfen Bündnis 90/Grüne, CSU, FDP, FW, Linke und SPD ihren Stand aufbauen und über ihr Programm informieren. Man habe lange darüber diskutiert, auch die AfD einzuladen, sich am Ende aber dagegen entschieden, erklärt Dietzel.

An einem siebten Stand gibt es ganz allgemeine Informationen zum Wahlprozedere: Wie sieht der Wahlzettel aus? Was ist die Erststimme, was die Zweitstimme? Wie funktioniert die Briefwahl. Es gibt zum Beispiel ein Heft "einfach POLITIK: Die Bundestagswahl 2017" der Bundeszentrale für politische Bildung, in dem all das noch einmal in leicht verständlicher Sprache erklärt wird.

Drei Runden

Vor allem aber gibt es die drei Gesprächsrunden, in denen die Behinderten eine Frage loswerden können. Genauer: In jeder Runde kann eine der drei Einrichtungen ihre Frage stellen, die die Kandidaten dann beantworten.

Im Publikum werden außerdem rote und grüne Karten verteilt. Wer eine Antwort nicht verstanden hat, zückt einfach die rote Karte, und Moderator Dr. Johannes Heffner von der Diakonischen Akademie fragt noch mal nach. Wer mit der Antwort zufrieden ist, hält die grüne Karte hoch.

15 Minuten dauert eine Fragerunde, danach sind 15 Minuten Pause und die Besucher haben Zeit zum Kaffee trinken und Kuchen essen. Der Kuchen wird in den Behinderteneinrichtungen gebacken, auch die Parteien bringen welchen mit. Mit dem Erlös des Kuchenverkaufs werden zum Beispiel die beiden Gebärdendolmetscher bezahlt, die dafür sorgen, dass auch jeder versteht, was gesagt wird. Die Stadt unterstützt die Veranstaltung laut Ulla Dietzel ebenfalls. Bleibt am Ende noch Geld übrig, wird es für einen guten Zweck gespendet.

Welche Frage gestellt werden soll, darüber wurde in den Einrichtungen übrigens heftig diskutiert. Bei der Lebenshilfe zum Beispiel hat der Heimbeirat alle Fragen zusammengefasst und dann eine ausgewählt. Sich da dann auf eine einzige Frage zu einigen, "war schon sehr schwierig", erinnert sich Andrea Hofbeck, die Vorsitzende der Hilpoltsteiner Lebenshilfe.

Da sei es ganz gut, dass jede Einrichtung noch ein, zwei Fragen in petto habe. Damit nämlich nichts doppelt gefragt wird, sprechen sich die drei Einrichtungen vorher ab und können so notfalls noch eine Frage austauschen. Diese Fragen werden den Politikern dann zugeschickt, denn "schließlich hat jeder nur eine Minute Zeit für seine Antwort und muss entsprechend vorbereitet sein", begründet Ulla Dietzel diese Entscheidung.

Das Organisationsteam hofft auf viele Besucher. Und außerdem auf gutes Wetter, die Veranstaltung findet schließlich im Freien statt und muss bei Regen ausfallen.

Man habe sich aber bewusst gegen die (überdachte) Stadthalle und stattdessen für den Residenz-Hof entschieden. "Hier sind wir mitten drin in der Stadt", und genau das sei ja auch Ziel der Inklusion.

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