Hilpoltstein: Kriegsgrab ist Denkmal für den Frieden

16.4.2015, 15:35 Uhr
Hilpoltstein: Kriegsgrab ist Denkmal für den Frieden

© Bernlocher

Der zufällige Blick wandert über die Gräber rechts der Aussegnungshalle. Hängen bleibt er höchstens an den osteuropäischen Namen und am Sterbejahr 1945, die auf den drei schlichten Denkmalen in den Stein gehämmert sind. Denn ein Denkmal, das sind die Gräber, ein Denkmal, das niemand erkennt. Die Zeitzeugen sind verstummt, die Archive hüllen sich in Schweigen, wenn man nach den Toten und ihrem Schicksal sucht. Nach Sinaida Boguslowskaja, nach Walerija Iwanowa, nach Albert Zeizum, nach Franz Órban, nach Helene Giedriene. Hilpoltsteiner waren sie nicht, sie waren Fremde.

Über Sinaida Boguslowskaja und Walerija Iwanowa geben die Archive mehr preis als über die anderen Verstorbenen. Die beiden jungen Ukrainerinnen starben zusammen, am 16. April 1945. 21 Jahre waren beide alt. Einer, der den Archiven mit ausführlichen Recherchen Informationen entlockt und noch mit den Zeitzeugen gesprochen hat, ist der Leiter des Museums Schwarzes Roß, Peter Hagenmeier. Die beiden Frauen kamen bei einem Tieffliegerangriff auf der Autobahn ums Leben, Walerija studierte Philosophie, Sinaida Chemie, das berichten die Unterlagen im Stadtarchiv Hilpoltstein.

Hagenmeier weiß mehr. Als Dolmetscherinnen für die Wehrmacht hätten die beiden Frauen gearbeitet, erinnert er sich. In einem Brief an das Landratsamt im November 1945 berichtet der damalige Hilpoltsteiner Bürgermeister über die Vorkommnisse um die Beerdigung der beiden an den Landrat. Walerija Iwanowa wurde, obwohl griechisch-orthodoxen Glaubens, katholisch bestattet. Ihre Kollegin und Freundin Sinaida Boguslowskaja war zuerst ohne Wissen des katholischen Pfarramtes bestattet, nachher umgebettet und ebenfalls katholisch beerdigt worden. Das sagen die Unterlagen im Stadtarchiv.

Hagenmeier berichtet, ein Zeitzeuge habe ihm erzählt, dass eine Woche nach dem Angriff auf der Autobahn ein Wehrmachtsoffizier in den Ort kam und befahl, eines der Mädchen zu exhumieren. Sie sei eine Freundin gewesen und er wolle sich vergewissern, dass sie wirklich tot sei. Der Zeitzeuge habe das Grab wieder geöffnet und der Toten den Zopf abgeschnitten um ihn dem Offizier zur Identifikation zu zeigen. Sie sei es wohl gewesen. Noch im Sommer 1945 seien zudem die Eltern eines der Mädchen angereist, im Bericht des Pfarrers an den Bürgermeister werden nur Walerija Iwanowas Eltern namentlich genannt.

Im Tod sind alle Menschen gleich

Während Sinaida Boguslowskaja ein eigenes Grab hat, teilt sich Walerija Iwanowa ihr Grab mit Albert Zeizum und Franz Orban. 42 Jahre alt der eine, 29 der andere. Walerija, die für die Wehrmacht gearbeitet hat, liegt neben Menschen, die vielleicht als Zwangsarbeiter in Hilpoltstein arbeiten mussten. Im Tod sind sie alle gleich.

Über Albert Zeizums Schicksal und Todesumstände schweigen die Archive, auch Hagenmeier weiß nichts. Nur das Sterbebuch des Standesamtes berichtet, dass Zeizum Gärtner in Auholz gewesen sei. Gestorben war er im Kreiskrankenhaus in Hilpoltstein. Franz Orban hingegen, glaubt Hagenmeier sich zu erinnern, sei ein Mühlendoktor gewesen. Also ein reisender Reparateur für Holz- und Getreidemühlen. Er sei ebenfalls im Hilpoltsteiner Krankenhaus gestorben. Das Sterbebuch des Jahres 1945 gibt ihm recht, als Todesursache gibt das vergilbte Buch eine Lungenentzündung an.

Helene Giedriene, 40 Jahre war sie alt, sagt das Sterbebuch, der Grabstein datiert ihren Tod auf ein Jahr später. Sie stammte aus Litauen, mehr berichtet das Archiv nicht. Das Sterbebuch ergänzt, sie sei an Bronchiolitis im Hilpoltsteiner Kreiskrankenhaus gestorben. Ob Helene Giedriene und Albert Zeizum Zwangsarbeiter waren, lässt sich heute nicht mehr sagen. In den Entlassungslisten der Arbeiter finden sich ihre Namen nicht.

Dafür 179 andere Namen, Menschen, die die Zwangsarbeit überlebt haben. Auch Kleinkinder sind darunter, geboren in die schrecklichen Umstände, unter denen ihre Eltern in den Baracken an der Rother Straße lebten und arbeiteten. Im Sterbebuch in Hilpoltstein sind drei Kinder genannt, deren Eltern in der Liste der Zwangsarbeiter auftauchen. Zwei Jungen sind in den ersten Lebensmonaten gestorben, ein Mädchen kam tot zur Welt, einen Grabstein für sie gibt es nicht. Opfer der Unterernährung.

Denn auch unter den Zwangsarbeitern gab es eine Hierarchie, französische Arbeiter wurden besser ernährt, denn die Rassenlehre der Nationalsozialisten klassifiziert die Franzosen als "europäisches Kulturvolk", die Menschen in Osteuropa hingegen als "fremdrassisches Volk". Oft seien sie dort von der Straße weg von den Nazis zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden und bekamen gerade so viel zu essen, dass sie arbeiten und überleben konnten, berichtet Peter Hagenmeier von seinen Recherchen.

Die Zwangsarbeiter ersetzten die Söhne, die im Krieg waren

Die Zwangsarbeiter waren bei Privatleuten, auf Bauernhöfen und in Gastwirtschaften eingesetzt. Die fehlende Arbeitskraft der Söhne, die im Krieg kämpften, musste kompensiert werden. Doch vor allem größere Unternehmen beschäftigten sie. Bei den Firmen Speck-Pumpen und Stahl arbeiteten, den Listen nach, jeweils 15 Zwangsarbeiter. Bei der Firma Kegler, die Rüstungsgüter produzierte, wie Hagenmeier berichtet, arbeiteten den Listen nach mindestens 81 Menschen.

In den Briefen, die der Landrat an die Bürgermeister der Gemeinden schrieb, hält er sie wiederholt zu einer strengen Bewachung vor allem der osteuropäischen Gefangenen durch die Arbeitgeber an und berichtet von Fluchtversuchen und einem Ausbruch von Zwangsarbeitern im Lager in Kleinnottersdorf.

Auf der Liste der Verstorbenen, die der Hilpoltsteiner Bürgermeister im November 1945 an den Landrat schickte, stehen noch weitere Namen. Für sie gibt es kein Denkmal auf dem Friedhof. Die Grabsteine der fünf Verstorbenen aber müssen für immer erhalten bleiben, sofern die Gemeinden die Verstorbenen nicht auf einen zentralen Friedhof umbetten wollten. Das bestimmt das Kriegsgräbergesetz von 1952. Kümmern müssen sich die Gemeinden um die Gräber. In Hilpoltstein pflanzen die Stadtgärtner gelbe Stiefmütterchen und gießen sie. Sie kennen die Geschichte der Gräber noch.

Im Herbst fällt das Laub zwischen die Blumen. Ein Friedhofsbesucher wird es vielleicht aufsammeln. Vielleicht kommen die Gärtner und rechen es davon. Vielleicht bleibt es liegen. Auf ewig sollen die Grabsteine künden von Schreckens- und Zwangsherrschaft. Sie zeigen aber auch, dass die Menschen sich im Tod alle gleichen. Zwangsarbeiter und Wehrmachtsangehörige, Seite an Seite begraben. Und so bleiben die Gräber, als Denkmäler für den Krieg, als Denkmäler für den Frieden.

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