„Ich wusste nur, dass Elektrizität lebensgefährlich ist“

17.8.2016, 16:49 Uhr
„Ich wusste nur, dass Elektrizität lebensgefährlich ist“

© Foto: Giurdanella

Nach einigen Tagen Herbstwetter zeigt sich beim Rother Kirchweihlauf wieder die Sonne. Und brennt auf den Asphalt. Engles Mekonnen Shenkutie läuft der Schweiß über das Gesicht. Der Äthiopier fliegt nicht so elegant wie sein Landsmann Fraol Lencho Holjira, Sieger des Kirchweihlaufes, oder andere Läufer über die Strecke – Shenkutie ist bulliger gebaut, schiebt beim Laufen den Oberkörper nach vorne, es hat etwas von einer Lokomotive. Die fährt ewig weiter, so lange es Gleise gibt – das Gefühl hat man auch bei Engles Mekonnen Shenkutie.

Unbeeindruckt und gleichmütig reißt er die zehn Kilometer herunter. Ob das Ziel erreicht wird, steht nicht zur Debatte. „Ich habe keine Ahnung von Pace oder Zeiten“, sagt Shenkutie nach dem Rennen. „Ich laufe nach Bauchgefühl.“ Irgendwann kommt er halt an — diesmal als 14. nach gut 38 Minuten. Zeit und Platz muss er sich sagen lassen. Dass er nahe an den TopTen war — er zuckt nur mit den Schultern.

Shenkutie ist zurückhaltend. Mit leiser Stimme stellt er sich als Engles vor, so nennen ihn alle. Das rote Memmert-Trikot trägt er noch, er hat es für ein Mannschaftsfoto anbehalten. Vor zwei Jahren ist Engles aus Äthiopien nach Deutschland gekommen. Sein Antrag auf politisches Asyl wurde abgelehnt, doch bei Memmert fand er Arbeit, macht dort eine Ausbildung zum Industrie-Elektroniker.

Im Herbst stehen die Zwischenprüfungen an, bei Memmert sind sie sehr zufrieden mit ihrem Lehrling. Obwohl Engles in Äthiopien nie etwas mit Elektrizität zu tun hatte. „Ich wusste nur, dass sie lebensgefährlich ist“, sagt er. „Aber ich bin auch neugierig, wie Technologie funktioniert. Licht, Handys, Autos — für alles braucht man Strom.“

Über Memmert und Sebastian Reinwand kommt Engles wie Holjira zum Laufen. „Eigentlich bin ich Fußballer“, sagt er, „Stürmer“. Er kickte für den SV Kammerstein, doch die Anreise kostete zu viel Zeit. Aber das Laufen, das macht er weiter. „Das macht mich stolz. Ich will Memmert und Sebastian etwas zurückgeben“, sagt er und deutet kurz aufs Trikot. Sein Arbeitgeber ist für ihn zu einer Familie geworden. „Es ist ein fantastisches Arbeitsklima“, sagt der 23-Jährige. „Ich fühle mich gar nicht wie ein Ausländer.“

Es begann beim Landkreislauf

2014 absolviert Engles sein erstes Rennen im Memmert-Trikot. Beim Landkreislauf braucht er für die 6,4 Kilometer zwischen Kleinhöbing und Greding 24:04 Minuten, schafft es auf den sechsten Platz. „Meine Zeit war sehr gut. Aber ich war auch sehr müde.“

Seitdem startet er bei allen möglichen Rennen, heuer zum Beispiel beim Läufer-Cup oder beim Rothsee-Triathlon und beim Challenge in der Staffel. In 3:12:29 Stunden absolvierte er damals den Marathon — und beeindruckt seinen Trainer Sebastian Reinwand auch, weil er sofort beim nächsten Rennen starten will. „Beim Laufen komme ich mit anderen zusammen, habe Spaß. Und ich kann die Sprache lernen.“ Das ist gar nicht so einfach: „Jeder spricht einen anderen Dialekt.“

Mit der Sprache klappt es schon ganz gut. Manchmal braucht der Gesprächspartner eben etwas Geduld. Das ist ein Hindernis, wenn Engles nach einer Wohnung sucht. Früher wohnte er mit Holjira zusammen, nun muss er sich etwas eigenes suchen. Schwierig, beim derzeitigen Wohnungsmarkt. „Man merkt auch die Unsicherheit, wenn die Leute am Telefon hören, dass ein Ausländer anruft“, sagt Engles. Dabei stehen sie bei Memmert bereit, um für ihn zu bürgen. „Schau mer mal“, zitiert Engles Franz Beckenbauer.

Die Wohnung ist ein Ziel. Ein anderes: einen Triathlon komplett zu absolvieren. Vor den Finishern hat Engles großen Respekt, schon der Marathon sei „brutal“. Das Schwimmen hat er mit Reinwand schon mal ausprobiert. An anderer Stelle hapert es noch: „Mein Rad habe ich für 30 Euro auf dem Flohmarkt gekauft, damit ist es unmöglich“, sagt Engles und zuckt mit den Schultern: Was soll’s, irgendwann ist auch dieses Ziel erreicht.

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