"Jetzt red i" in der Hilpoltsteiner Stadthalle

29.9.2016, 16:56 Uhr

Den „advocatus diaboli“ hätte vielleicht Georg Eisenreich (CSU) spielen können. Tat er aber nicht. Der Kultus-Staatssekretär blieb während der 45-minütigen Debatte recht unpolitisch, dankte Lehrern und Ehrenamtlichen, steuerte aber ansonsten nur die aktuellen Zahlen bei. 160 Millionen Euro extra hat der Freistaat demnach für die Schulen bereitgestellt, knapp 1100 neue Lehrerstellen geschaffen und die Zahl der Berufsintegrationsklassen von 100 auf knapp 1100 erhöht.

„Haben Sie die Berufsschulen dabei vergessen?“, wollte Moderator Tilmann Schöberl daraufhin wissen. Denn zuvor hatten der Rother Berufsschulleiter Michael Greiner und der 17-jährige Kazim aus Afghanistan über die dortige Situation berichtet. Der seit einem Jahr hier lebende Flüchtling schilderte zwar in recht gutem Deutsch, dass er sich „sehr wohl fühle“ und „alles habe, was ich brauche“. Angesichts von 13 Übergangsklassen und fast 20 Prozent mehr Schülern kämpft die Schule aber laut Greiner um jeden Lehrer.

„Der Markt ist abgegrast“, bestätigte Eva Ehard vom Kolping-Diözesanverband. Qualifiziertes Personal sei rar. Zwar gebe es Umschulungen, wie Eisenreich betonte. Die Bildungsqualität dürfe aber auf keinen Fall leiden, schaltete sich Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) ein. Die Schulen bräuchten Fachkräfte, „keine Kollegen, die nicht aus dem Bereich sind“. Denn für die Flüchtlingskinder seien die Lehrer zugleich „Pädagogen, Erzieher, Ersatz-Elternteil“ und der „Fels, an dem sie sich festhalten können“, so Kazims Berufsschullehrerin.

Tempo stimmt, Prioritäten nicht

Das hohe Tempo der Veränderungen an den Schulen würdigte sogar Bayerns SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen. Die Fehler habe die Regierung schon früher gemacht. Angesichts von Inklusion und Integration „werden wir andere Prioritäten setzen müssen“, so Kohnen. Dafür würde sie gern zum Beispiel die Steuern nehmen, die Konzerne wie Apple und Co. bisher nicht bezahlen.

Zahlen, die für sich sprechen, steuerten auch die Leiter der Rother Realschule und der Grundschule Bechhofen bei. Erstere besuchen laut Norbert Valta Schüler aus 39 Nationen, die 24 Sprachen sprechen. Und in Bechhofen werden aktuell 33 Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Libyen und dem Irak unterrichtet, so Reinhold Meier.

Gibt es also eine Grenze für Multinationalität in einer Klasse? „Die Vielfalt macht unsere Gesellschaft aus“, antwortete BLLV-Präsidentin Fleischmann. Die Lehrer wollten „diese Vielfalt tragen“. Dazu brauche es aber mehr Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter. Die Sorge von Eltern, dass ihre Kinder zu kurz kommen, müsse man zwar „sehr ernst nehmen“. Dennoch bringe sie oft mehr Unruhe an die Schulen als die Flüchtlinge. „Wir haben Angst davor, dass gesellschaftliche Stimmungen in die Schule kommen und wir diesen Ängsten nicht mehr Herr werden“, so Fleischmann. Ihr Appell: „Haltung zeigen!“

Dem pflichtete die Hilpoltsteiner Mittelschullehrerin Ljupka Santoro bei. „Diese Kinder wollen lernen und sich integrieren“, so ihre Erfahrung. Der Schlüssel sei die Sprache. Und wenn die hiesigen Eltern schon am ersten Schultag Kontakt zu den Migranten hätten, „könnte man die Sorgen schnell in Luft auflösen“, sagte Santoros Kollegin Tanja Ferstl-Becher.

© Fotos: Tobias Tschapka

Dass bisweilen auch „Kulturunterricht für Lehrer“ nötig wäre, kritisierte Philipp Winkler. Mangelnde Integration fange „schon bei falsch ausgesprochenen Namen und unbedachten Witzen an“, so der Arabisch-Tutor an der Uni Erlangen. Gleiches gilt laut Natascha Kohnen für Begriffe wie „Brennpunktschulen“ und „Flüchtlingsflut“, die zu einer „vergifteten Grundstimmung“ führen würden.

Der Landkreis „schafft das“

Also doch „Wir schaffen das?“ Landrat Herbert Eckstein ist davon überzeugt. Die selbst gewählte Aufgabe, fast doppelt so viele Flüchtlinge wie gefordert aufzunehmen, meistere der Landkreis vorbildlich. „Wir haben am Anfang eines richtig gemacht“, so Eckstein: „Wir haben gesagt, hier kommen Menschen.“ Außerdem sei der Landkreis bei der Unterbringung dezentral vorgegangen und habe freiwilliges Engagement unterstützt.

Das „Konzept ist das Richtige“, ist Toni Turnwald vom Rother Helferkreis Asyl überzeugt. Nach der Schule „übernehmen“ seine Ehrenamtlichen die Flüchtlingskinder zur Hausaufgabenbetreuung — vielleicht auch die aus Syrien stammende Realschülerin Aliza, die das Publikum mit ihrem fast perfekten Deutsch verblüffte.

Zum Schluss wurde es nochmals politisch. Während Eisenreich den viel kritisierten Satz des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer vom „fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen“ als „nicht so gut gelungen“ bezeichnete, ist dies laut Kohnen Ausdruck eines Politikstils, der das gesellschaftliche Klima verschärft. „Die Leute haben die Schnauze voll davon, dass sich Politiker immer nur gegenseitig eins drauf hauen“, beklagte sie. Gesamtgesellschaftliche Probleme müsse man gemeinsam angehen.

Ein Gutes habe die Flüchtlingsfrage auf jeden Fall, hatte eine Schulpsychologin das letzte Wort: „Wir haben schon lange nicht mehr so viel positive Bewegung im Schulsystem gehabt!“

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