Nicht lebensnotwendig und doch so wichtig

7.4.2018, 06:00 Uhr
Nicht lebensnotwendig und doch so wichtig

© Foto: Weinig

"Wir wollen, Menschen, deren Geldbeutel keine Freizeit-Extras zulässt, die Möglichkeit eröffnen, Kulturveranstaltungen besuchen zu können." So umreißt Anne Thümmler, Leiterin von "Für einander", der Kontaktstelle für Bürger-Engagement im Landkreis Roth, die Idee, die hinter "Kultur für alle steckt".

Eine Idee, die Grünen-Kreisrätin Dr. Ursula Burkhardt "Für einander" vorgeschlagen hatte. Hier stieß sie nicht nur auf offene Ohren, sondern auch auf die passende "Infrastruktur". Es dauerte nicht lange und Anne Thümmler konnte aus ihrem "Ehrenamtspool" Helferinnen dafür gewinnen, die Idee von "Kultur für alle" buchstäblich an den Mann und die Frau zu bringen. Nämlich da, wo als erstes die Chance am größten ist, Menschen zu treffen, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen: Bei den "Tafeln" in Wendelstein, Roth und Hilpoltstein.

Direkt angesprochen

So traf Doris Pfeiffer bei einem ihrer ersten Besuche in Roth auch auf Katja Klusch und Frauke Renz. In ein Konzert gehen, einen Kabarettisten live auf der Bühne sehen – die beiden Frauen, die bereits erwachsene Kinder haben, kennen das noch nicht einmal aus ihrer Jugendzeit. "Ins Kino gehen mit der Clique – das war das höchste der Gefühle. Aber das ist schon lange her. Heute ist das echt nicht mehr drin", erzählt Katja Klusch. "Geh` ich ins Kino, reicht`s fürs Essen nicht mehr. So einfach ist das."

Und da also kam Doris Pfeiffer vor einigen Wochen mit einem von "Für einander" entworfenen Fragebogen samt Info-Flyer zur Tafel mit der Frage, ob sie denn mal "Kulturgast" sein wollten. Das Prinzip: Interessierte mit schmalem Monatsbudget können sich in einer Kartei bei "Für einander" registrieren lassen und ihre Interessen – angefangen von A wie Ausstellungen über Kabarett, Theater bis hin zu Z wie Zirkus – angeben.

Das – noch recht überschaubare — Team von "Kultur für alle", das sich seit Ende vergangenen Jahres gefunden hat, hat sich mittlerweile einige "Kulturpartner" gesucht, die kostenlos für die "Kulturgäste" Eintrittskarten oder Gutscheine zur Verfügung stellen. Viele Gemeinden, auch die Kulturfabrik Roth, die Wendelsteiner Jegelscheune und die Hilpoltsteiner "ResidenzKultur", sind bereits unbürokratisch mit von der Partie.

Mut und Überwindung

Katja Klusch und Frauke Renz überlegten nicht lange, wollten sich auf das "Wagnis Kulturveranstaltung" einlassen. In der Zwischenzeit haben sie einen Kabarett-Abend in der Jegelscheune und "Austria 3" in der Kulturfabrik erlebt. Besser gesagt: Sie haben die beiden Abende genossen.

Doch Mut und Überwindung hatte es die zwei Freundinnen tatsächlich gekostet, sich gesellschaftlich auf ein für sie völlig ungewohntes Terrain zu begeben. "Das ist ja schon ein komisches Gefühl, wenn du da mitten unter so geschniegelten Leuten bist, mit denen wir jetzt sonst nichts zu tun haben", erinnern sich beide.

Aber – und auch das ist ein Prinzip von "Kultur für alle" — die "Kulturgäste" haben Tickets wie alle anderen Besucher auch. Katja Klusch und Frauke Renz waren damit an ihren beiden "Ausgeh-Terminen" also nur zwei von vielen Gästen, die sich einfach mal einen netten, unterhaltsamen Abend gönnen wollten. Für die beiden Frauen ein ungewohntes, ein schönes Gefühl. "Da war der ganze Alltag einfach mal weg", geben die zwei Frauen — bestens vertraut mit Sonderangebots-Prospekten statt mit Kulturprogrammen – gerne zu.

Große Resonanz

Ihre Erfahrung können und wollen mittlerweile 47 registrierte "Kulturgäste", darunter auch Familien mit kleinen Kindern, gerne teilen. "In dieser kurzen Zeit schon so viele Interessierte zu finden, das hat uns echt begeistert", so Anne Thümmler. Aber: Es sollen und können noch mehr werden. Auf allen Seiten. Also auch bei den ehrenamtlichen Helfern; derzeit etwa ein knappes Dutzend.

"Wir würden uns Ansprechpartner aus allen Gemeinden wünschen; Unterstützer, die nicht nur über die Flyer in ihrem Heimatort über die Initiative informieren; oder eventuelle Kulturpartner, die Angebote bereitstellen könnten, akquirieren, sondern die auch ohne Vorbehalte auf potenzielle ,Kulturgäste‘ zugehen, weil sich diese nämlich oft nicht trauen, sich zu melden", erklärt Thümmler. Und: "Wir wollen ein echtes Netzwerk aufbauen." Mundpropaganda ist dabei ausdrücklich erwünscht!

Für die Helfer im Übrigen keine Einbahnstraße. "Da kommt eine Menge Positives zurück", weiß Brigitte Reinard, die in Roth zu den Frauen der ersten Stunde gehört.

Für sie und ihre Mitstreiter/-innen ist es nur zu gut nachvollziehbar, was es bedeutet, sich "Kultur" finanziell leisten zu können. Brigitte Reinard hat gleich ein Beispiel parat: "Ich war in Roth bei Haindling auf dem Konzert – da habe ich ja noch Tage danach davon gezehrt." Eine Art von Phänomen, das das Team von "Kultur für alle" genau denjenigen erschließen möchte, die normalerweise abwinken müssen nach dem Motto: "Kunst und Kultur – leider ohne mich".

ZWer weitere Informationen, oder bei "Kultur für alle" ehrenamtlich mitarbeiten, Kulturangebote oder Tickets zur Verfügung stellen oder sich als "Kulturgast" registrieren lassen möchte, kann sich wenden an: Kontaktstelle "Für einander" im Landratsamt Roth, Telefon (0 91 71) 81-11 25, E-Mail: fuereinander@LRAroth.de oder fube@LRAroth.de

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