Nicole Ludwig: Von Putzi bis Weltliteratur

12.8.2015, 14:04 Uhr
Nicole Ludwig: Von Putzi bis Weltliteratur

© Foto: Carola Scherbel

Lautes Sprechen kann man sich hier gar nicht vorstellen. Nicht dass Lärm ein Tabu wäre, und Worte gehören ja sowieso hierher, aber sie sind alle leise, gedämpfter als anderswo, vielleicht weil zu diesem Ort das Versinken in die geschriebenen Worte gehört. Wer hier im Seitenflügel des Schlosses Ratibor auf den stattlichen 330 Quadratmetern in einem der Lesesessel sitzt oder an einem der langen Regale zwischen 30 000 Büchern, CDs, DVDs und Zeitschriften steht, hört am liebsten den stillen Worten und Sätzen zu. Hier und da steht ein Roman keck ganz vorne dran, so dass man gar nicht vorbeigehen will, ohne das Buch in die Hand zu nehmen, zu blättern und sich zumindest den Klappentext durchzulesen – es am liebsten aber gleich mitnehmen will.

Genau so ergeht es Nicole Ludwig. Sie kommt hierher in die „Leihbücherei“, wie sie die Rother Stadtbücherei immer noch nennt, seit sie lesen kann. Mit „Hanni und Nanni“ und „Putzi“ ging es los, dann haben sie und ihre Freundinnen sich in der Stadtbücherei getroffen, „weil da so eine tolle Schallplattenanlage stand“ und die Teenager sich über Kopfhörer hier die neuesten Platten anhören konnten. Natürlich hat man immer Lesestoff mit nach Hause genommen. „Meine Mama hat für so etwas kein Geld ausgeben können, also habe ich mir Bücher geliehen.“

Heute ist Nicole Ludwig 47 Jahre alt und fliegt als Chef-Stewardess um die halbe Welt. Aber die Bücherei mit ihrem wunderschönen Sitz im herrschaftlichen Schloss Ratibor ist immer noch ihre Anzapfstelle, wenn es ums Lesen geht: „Ein toller Ort, wo viel Wissen konzentriert ist.“ Gerade für ihren Beruf sei das ideal, erzählt die Rotherin. Wenn sie auf ihren Zwei-, Drei- oder Fünf-Tagestouren nach Chicago oder Jerusalem, nach Manchester oder Sofia fliege, dann bedeute das meist einen Tag Aufenthalt in einer Stadt. „Dann interessiert mich die Stadt, ich will etwas über sie wissen.“ Statt dauernd neue Reiseführer zu kaufen, schaut sie in der Stadtbibliothek nach – und entdeckt immer etwas, um ihre Kenntnisse über die Geschichte, Architektur oder Politik in den Metropolen auszuweiten. Oft leiht sie sich französische und englischsprachige Zeitschriften aus und fände es „toll, wenn es noch mehr fremdsprachige CDs gäbe – auch für Schüler“.

Überhaupt denkt Nicole Ludwig bei ihrem Lieblingsplatz nicht nur an die eigene Leselust. „Es gibt hier soo schöne Aktionen, die Kinder und Jugendliche zum Lesen locken“, schwärmt sie vom Büchereiteam. Die erste Märchennacht im Speisesaal des Schlosses Ratibor war so eine – mit Schloss- und Spukgeschichten für die nächste Leserattengeneration. Oder die Lesenacht in der Bücherei oder die Familienmuseumstage im Schloss – „sensationell“ findet Nicole Ludwig. Vorlesestunden des Büchereiteams in den Kindergärten und Schulen oder der Büchereiführerschein seien wunderbare Aktionen.

Und die Kindergärten machen Ähnliches: Nicole Ludwigs sechsjährige Tochter Antonia war kürzlich mit der gesamten Kindergartengruppe im Augustinum zu Besuch, zur Vorlesestunde mit den älteren Damen und Herren. Antonia kann sich noch Tage später gut daran erinnern, was der „Hase Löffel“ aus dem Buch alles erlebt hat.

Ihre Mama könnte sich durchaus noch mehr Initiativen vorstellen, um Kinder ins Schloss, in die Bücherei und zur Geschichte zu locken: Zum Beispiel ein kindgerechtes Buch über die Stadt Roth und ihre Geschichte, dem städtischen Historiker und Archivar habe sie so ein Projekt, vielleicht zusammen mit Studenten, schon vorgeschlagen.

„Monster High“ und Draculaura

Für Antonia, die gerade in die Welt der Buchstaben eintaucht und das Hinübergleiten vom Vorlesen zum Lesen erlebt, spielen freilich nicht nur Figuren der Weltliteratur eine Rolle. Wenn sie mit ihrer Mama die Regale und Bücherkisten in der Bücherei durchstreift, bleibt sie derzeit am liebsten bei „Monster High“ hängen, bei Vampirfiguren wie Draculaura oder bei glitzernden Einhörnern aller Farbe, Form und Art. „Aber das finde ich auch wichtig“, sagt ihre Mama. „Damit lassen sich die Kinder zum Lesen locken.“ Und wenn Antonia ein Buch, eine CD oder eine DVD unbedingt ausleihen möchte, die noch nicht im Sortiment ist? Dann kann der Titel extra bestellt werden. Auch wenn es darin um glitzernde Einhörner geht.

Sie selbst beschäftige sich ja auch nicht nur mit philosophischen Texten oder Biografien oder Reiseführern (gerade interessiert sie sich sehr für Japan, wohin die Flugroute sie häufig führt, „aber die europäischen Städte mit ihrer langen, reichen Geschichte finde ich immer noch am spannendsten“). Sehr oft liegt zum Beispiel ein Kochbuch in ihrem Ausleihkorb, „aber nur die von Dr. Oetker“, lacht sie, „da stimmen nämlich die Rezeptangaben ganz genau“.

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