„Schwimmen ist mehr als rumplanschen“

7.8.2017, 13:19 Uhr
Gerade in den jetzigen Sommerferien suchen viele Menschen in der Region Erfrischung in den örtlichen Freibädern wie hier im Nürnberger Westbad. Der Großteil der Gäste planscht aber nur ein wenig im kühlen Nass und schwimmt nicht.

© Roland Fengler Gerade in den jetzigen Sommerferien suchen viele Menschen in der Region Erfrischung in den örtlichen Freibädern wie hier im Nürnberger Westbad. Der Großteil der Gäste planscht aber nur ein wenig im kühlen Nass und schwimmt nicht.

Gestern absolvierte Bernhard Böckeler seinen letzten Arbeitstag. Nach 24 Jahren als Bürgermeister von Allersberg im Landkreis Roth räumte der CSU-Mann seinen Schreibtisch für seinen Nachfolger Daniel Horndasch, dem er alles in allem ein gut bestelltes Haus hinterlässt. Das örtliche Freibad allerdings wird auch dem neuen Rathauschef einiges Kopfzerbrechen bereiten.

Angesichts der maroden Schwimmbadtechnik aus den 1960er Jahren mahnt das Gesundheitsamt ein Sanierungskonzept samt Zeitplan an. Liegt der nicht bis Ende 2017 auf dem Tisch, könnte das Allersberger Bad im kommenden Jahr keine Betriebserlaubnis mehr erhalten.

„Der Sanierungsbedarf ist unstrittig“, räumt Böckeler ein. Deshalb hatte der Allersberger Marktgemeinderat in den vergangenen Jahren mehrmals den Rat von Fachleuten eingeholt, schob die Sanierung aber immer wieder auf die lange Bank. Grund: die angespannte Finanzlage der Kommune.

Wegen der hohen Unterhaltskosten hatte Allersberg vor 15 Jahren auch das Lehrschwimmbecken in der örtlichen Grundschule stillgelegt. Diese Einrichtung war ebenfalls in die Jahre gekommen, die Sanierung hätte einen siebenstelligen Betrag gekostet. In den jetzigen Sommerferien wird das kleine Schwimmbad zugunsten einer größeren Turnhalle abgebrochen, Ersatz dafür gibt es nicht. Ebenso wenig wie im wenige Kilometer entfernten Roth, wo ebenfalls schon vor vielen Jahren ein Lehrschwimmbecken stillgelegt wurde und die Realisierung eines örtlichen Hallenbades nach wie vor in den Sternen steht.

Die Folge: Außerhalb der Freibadsaison müssen die Sportler im als Triathlon- Hochburg bekannten Landkreis Roth 20 Kilometer oder mehr fahren, um im nächstgelegenen Hallenbad ihre Bahnen ziehen zu können. Und der Schwimmunterricht für die Schüler gestaltet sich ziemlich problematisch.

Marcus Mittelstädt kann ein Lied davon singen. Als der sportliche Lehrer, der unter anderem mehrmals den Challenge-Triathlon gefinisht hat, selbst noch die Schulbank drückte, waren die Verhältnisse diesbezüglich geradezu paradiesisch. Angesichts des neben dem Rother Gymnasium liegenden Schulschwimmbeckens, das damals noch in Betrieb war, stand für Mittelstädt jede zweite Woche eine Doppelstunde Schwimmen auf dem Stundenplan, wenn der entsprechende Unterrichtsblock an der Reihe war.

Lange Anfahrtswege

Kein Vergleich zur heutigen Situation: „Wo sollten wir den Schwimmunterricht denn abhalten?“, kontert Mittelstädt die Frage nach der steigenden Zahl von Nichtschwimmern. Die Anund Abfahrt zu einem weiter entfernten Bad würden ja schon den Großteil der Unterrichtszeit auffressen.

So wie dem Landkreis Roth geht es vielen Regionen im Freistaat. In Mittelfranken etwa wurden im Jahr 2015 vier öffentliche Schwimmbäder geschlossen, vier weitere sind akut von der Schließung bedroht. Bei 21 mittelfränkischen Hallen- und Freibädern besteht Sanierungsbedarf, wie das Bayerische Innenministerium vor einigen Monaten auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion antwortete. Bundesweit droht derzeit rund 700 der etwa 7500 noch in Betrieb befindlichen Schwimmbäder die Schließung.

Die sinkende Zahl von Bädern in akzeptabler Entfernung ist freilich nur ein Grund dafür, dass es beim Schwimmunterricht an Bayerns Grundschulen einige Probleme gibt. Neben Zugang zu Bädern brauche es mehr ausgebildete Schwimmlehrer und Fortbildungen, fordert Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). „Ich weiß, dass es ganze Grundschulen gibt, die nicht schwimmen gehen“, kritisiert die BLLV-Funktionärin. In Einzelfällen ist es sogar vorgekommen, dass Schüler zwar ins Schwimmbad gefahren wurden, dort aber wegen kurzfristigen Personalmangels nur Trockenübungen am Beckenrand ausführen durften.

Zwar haben immerhin 77 Prozent aller Grundschüler in Deutschland das „Seepferdchen“, doch die Mehrheit kann trotzdem nicht sicher schwimmen. Kein Wunder angesichts der ziemlich überschaubaren Anforderungen für dieses Frühschwimmer-Abzeichen (einmal vom Beckenrand springen, 25 Meter Schwimmen und einen Tauchring aus schultertiefem Wasser herausholen).

„Wenn diese Entwicklung so weitergeht, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann Deutschland zu einem Land der Nicht-Schwimmer wird“, warnt Achim Haag, Vizepräsident der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) angesichts von bundesweit 537 tödlichen Badeunfällen im vergangenen Jahr. Etwa ein Fünftel davon ereignete sich in Bayern.

Vor Kurzem hat Haags Verband eine Umfrage zur Schwimmfähigkeit von Kindern durchgeführt, das alarmierende Ergebnis: 59 Prozent der Zehnjährigen in Deutschland sind „keine sicheren Schwimmer“, wobei es keine genaue wissenschaftliche Definition dieses Begriffs gibt. Laut der DLRG könne als sicherer Schwimmer nur gelten, wer die Disziplinen des Jugendschwimmabzeichens in Bronze sicher beherrscht und unter anderem innerhalb von 15 Minuten mindestens 200 Meter weit schwimmen kann.

Aktion für bayerische Schulen

Die DLRG-Jugend Bayern hat deshalb gemeinsam mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium die Aktion „Sichere Schwimmer“ ins Leben gerufen, an der inzwischen rund 40 Schulen im Freistaat teilnehmen. Die Wasserwacht wiederum bietet unter dem Motto „Schwimmen ist mehr als baden gehen“ spezielle Kurse für den Nachwuchs an.

„Das Problem sind auch die Spaßbäder“, weiß Peter Astashenko, Geschäftsführer der Wasserwacht Bayern. Dort würden die Kinder und Jugendlichen nur rumplanschen und seien deshalb überhaupt nicht auf die völlig andere Situation im Freigewässer vorbereitet. „In Seen, Flüssen oder Baggerweihern passieren die meisten Unfälle, weil es hier eben keinen Beckenrand gibt und das Wasser auch nicht überall nur 1,30 Meter tief ist“, gibt Astashenko zu bedenken.

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