TTIP: Gemeinwohl kontra ökonomischer Interessen?

22.8.2014, 19:13 Uhr
TTIP: Gemeinwohl kontra ökonomischer Interessen?

© Foto: Archiv/Tobias Tschapka

Frau Dornisch, Sie reisen derzeit von Kommune zu Kommune und warnen die politischen Gremien vor den Gefahren des Freihandelsabkommens. Wie sehr müssen Sie Überzeugungsarbeit leisten?

Andrea Dornisch: Es ist nicht viel Überzeugungsarbeit notwendig. Wer die Fakten kennt, versteht sofort, dass sämtliche zivilgesellschaftliche Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte auf dem Spiel stehen. Würden TTIP (EU-USA), CETA (EU-Kanada) oder TiSA (multilaterales Dienstleistungsabkommen) unterzeichnet werden, dann träfen nicht mehr unsere demokratisch gewählten Politiker die Entscheidungen, sondern Großkonzerne. Die EU-Kommission fährt mit diesen (bisher bekannten) drei Handelsabkommen mehrgleisig, in der Hoffnung „ein Zug kommt schon an“.

Sowohl TTIP als auch CETA enthalten einen sogenannten Investorenschutz. Verabschiedet etwa ein Land ein Gesetz, das die Gewinnerwartung eines Konzerns schmälern könnte, dann hätte der Konzern das Recht, den Staat zu verklagen – nicht umgekehrt. Sogar der Entschluss einer Gemeinde oder eines Bürgermeisters kann zu einer Schadensersatzklage führen. Darüber hinaus soll alles, was bisher in kommunaler Hand ist, privatisiert werden. Gemeinwohl soll ökonomischen Interessen weichen.

 

Sollte das Abkommen tatsächlich in Kraft treten, wovor haben Sie als Umwelt- und Verbraucherschützerin am meisten Angst?

Andrea Dornisch: Es ist zu befürchten, dass alle Schutzstandards im Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz unzulässige Handelshemmnisse darstellen, welche die Gewinnerwartung der Konzerne schmälern würden und welche die Konzerne absenken möchten.

Ganz oben auf der Wunschliste der Amerikaner steht die Gentechnik. Bis heute haben sie es nicht geschafft, ihre gentechnisch veränderten Nahrungsmittel auf dem europäischen Markt zu etablieren, weil die Verbraucher sie nicht wollen. Es ist zu befürchten, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel undeklariert auf unseren Tellern landen würden, wir Verbraucher hätten keine Wahlfreiheit mehr. Auch der Anbau am Acker wäre nicht mehr zu verhindern.

Auch das Europäische Vorsorgeprinzip REACH, wonach ein Konzern die Unbedenklichkeit von Pestiziden oder Medikamenten nachweisen muss, bevor er sie auf den Markt bringt, würde vermutlich fallen. In den USA hingegen kann ein Konzern alles auf den Markt bringen, ohne den Nachweis der Unbedenklichkeit. Einen möglichen Schaden muss der/die Geschädigte dem Konzern nachweisen.

Als letzten Punkt wäre das umstrittene Fracking zu nennen, das in den USA vielerorts das Trinkwasser bereits hochgradig vergiftet hat. Es wäre nicht mehr zu verhindern.

 

Würde ich als Verbraucher überhaupt merken, dass sich etwas geändert hat?

Andrea Dornisch: Als aufmerksame Verbraucherin unmittelbar, auf gesundheitlicher Ebene auf lange Sicht. Um einige Beispiele zu nennen: Die Bewerbung von „original, regional Produkten“ (in den USA „buy american“) wäre eine Diskriminierung ausländischer Anbieter und somit nicht mehr erlaubt. Verboten wäre vermutlich die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“. In den USA stehen 2,4,D-Mais und 2,4,D-Soja (2,4,D ist eine Komponente des hochgiftigen Herbizids Agent Orange) kurz vor der Zulassung. Dieser Giftcocktail könnte dann über die Tierfütterung undeklariert auf unseren Tellern landen.

Während in Europa Bisphenol A in Säuglingsflaschen aus gesundheitlichen Gründen verboten ist, ist die Chemikalie in den USA zugelassen. Würde es ein Hersteller wagen, mit Bisphenol A–Freiheit in seinem Produkt zu werben, hätte er sofort eine Klageandrohung eines amerikanischen Konzerns am Hals. Somit wären im Zuge der „Harmonisierung der Standards“ unsere Säuglinge dieser Chemikalie ungeschützt ausgesetzt.

 

Welche Auswirkungen hat TTIP auf den kleinen Betrieb in der Region?

Andrea Dornisch: Nachdem die Gebietskörperschaften gezwungen werden sollen, immer mehr Bereiche des öffentlichen Dienstleistungssektors im Wettbewerbsverfahren auszuschreiben, wären regionale Unternehmen einem größeren Wettbewerb ausgesetzt. Eine Bevorzugung des regionalen Handwerksbetriebs wäre nicht erlaubt. In der Folge käme es auch zu einer Minderung der Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen.

Besonders der Investitionsschutz würde den Betrieb in der Region und die mittelständische Wirtschaft benachteiligen, denn aufgrund der hohen durchschnittlichen Verfahrenskosten könnten der kleine Handwerksbetrieb oder das mittelständische Unternehmen in der Region den Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS-Mechanismus) in der Praxis nicht nutzen. Die OECD geht von acht Millionen Dollar pro Verfahren aus.

 

Einer der größten Kritikpunkte ist die Tatsache, dass hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Würde sich am Vertrag wirklich etwas ändern, wenn die Verhandlungen öffentlich geführt werden?

Andreas Dornisch: Bereits 1990 planten die politischen Eliten, klammheimlich und an der Bevölkerung vorbei, das multilaterale MAI-Abkommen (Multilateral Agreement on Investment) für die damals 29 reichsten Länder der OECD. Es ist damals im allerletzten Moment an der aufmerksamen Zivilgesellschaft gescheitert. Deswegen wurde seither hinter den Kulissen und im Geheimen überlegt, wie man auf andere Weise an die erhofften Ziele kommt. Ein zweites Scheitern wollte man nicht riskieren.

Diese Abkommen dienen einzig und allein multinationalen Konzernen. Sie entmachten unsere Politiker und stellen einen Generalangriff auf unsere Demokratie und die soziale Marktwirtschaft dar. Würden die Verhandlungen öffentlich geführt werden, hätten sie keinerlei Chance auf eine Ratifizierung.

 

Haben die Kommunen eigentlich Einfluss auf die Entscheidung, ob das Abkommen unterzeichnet wird?

Andrea Dornisch: Es ist die einzige Chance, die wir haben. Je größer der Aufschrei der Kommunen, der kommunalen Spitzenverbände und der Zivilgesellschaft, desto größer die Chance, die Abkommen zu verhindern.

Immer mehr Institutionen lehnen diese ungeheuerlichen Verträge inzwischen ab. Um ein paar Beispiele zu nennen: der Bundesverband mittelständische Wirtschaft BVMW, der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Ärztetag, der Deutsche Richterbund, der Bundesverband der Verbraucherzentralen, die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Gesamtverband und es werden immer mehr.

Viele Menschen pflegen zu sagen: „da können wir doch eh nichts machen“ - ich halte dagegen „yes, we can!“ Wenn die Bürger erkennen würden, welche Macht sie haben, hätten wir morgen eine wahrlich demokratischere Republik!

 

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