Welt-Down-Syndrom-Tag: Der Alltag soll normal sein

21.3.2019, 06:00 Uhr
Welt-Down-Syndrom-Tag: Der Alltag soll normal sein

© Fotos: Annika Billerbeck

LANDKREIS ROTH/SCHWABACH — Alle drei Familien haben alle schon ein oder mehrere Kinder, bevor sie zum zweiten oder dritten Mal Nachwuchs erwarten. Antons und Alessios Mütter wissen während ihrer Schwangerschaft mit dem zweiten Kind nicht, dass es behindert sein wird. Beide bekommen ihre Söhne im Krankenhaus. Erst einen oder vier Tage nach der Geburt wird in beiden Fällen angemerkt, dass die Ärzte davon ausgehen, die zwei Buben hätten das Down-Syndrom. Nach dem Bluttest besteht kein Zweifel mehr, und beide Familien stehen kurz nach dem freudigen Ereignis, der Geburt ihres Kindes, unter großem Schock.

"Das mit Anton hat unser Leben aus der Bahn geworfen. Aber wie wären wir mit einer Abtreibung umgegangen? Diese Entscheidung hätte mich das ganze Leben lang belastet!"

Ähnliche Sorgen plagen Familie Veneziano: Wie soll das Leben weiter gehen, wir haben ja schon einen zweijährigen Sohn, wie soll das alles funktionieren? Wie reagiert die Umwelt auf uns?

Emelies Mutter erfährt während der Schwangerschaft in der 28. Woche davon, dass ihre Tochter Trisomie 21 und einen Herzfehler hat. Ihr war klar, das Kind werde es schwer haben nach der Geburt. Die Diagnose kam in einer schweren Zeit der Familie, gerade war der Bruder der Mutter plötzlich verstorben, der Vater war geschäftlich unterwegs.

Welt-Down-Syndrom-Tag: Der Alltag soll normal sein

Der Lebensplan der drei Familien gerät durch die Geburt ihrer Kinder komplett aus dem Tritt. Doch wie sieht der Alltag heute aus, eineinhalb, zwei und sechs Jahre nach der Geburt der Kinder?

Kein Platz im Kindergarten

Zu Besuch bei Emelie werde ich mit lautem Gebell der zwei Hunde Sky und Trixie empfangen. Emelie hält sich im Zimmer ihrer großen Schwester auf und will nicht mit ihrer Mama und mir ins Wohnzimmer gehen. Eine kleine Tüte Geschenke bricht kurzfristig das Eis, ansonsten sitzt die Sechsjährige aufmerksam neben uns am Tisch und folgt den Gesprächen. Sie spricht etwa 20 Worte, versteht aber viel mehr. Emelie besucht die Heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe Schwabach-Roth. Vergeblich hatte die Mutter versucht einen Platz in einem Regelkindergarten zu bekommen. Für ein Down-Syndrom-Kind sei kein Platz, so die Rückmeldung aus zwei Kindergärten. Emelies Mutter ist es aber doch wichtig, dass ihre Tochter "normal" erzogen wird, genauso wie andere Kinder ihre Grenzen aufgezeigt bekommt und zur Begrüßung die Hand gibt.

Welt-Down-Syndrom-Tag: Der Alltag soll normal sein

Auf den ersten Blick kann man kaum Abweichungen zu anderen Familien feststellen. Doch Emelie ist zurückhaltend, große Menschenmengen, Lärm und auch den Spielplatz mag sie nicht. So ist die Familie sehr eingeschränkt und meist mit den zwei Hunden, die Emelie gern mag, isoliert. Das Leben ist anstrengender geworden, Emelies Entwicklung verläuft langsamer, sie schläft noch immer bei den Eltern im Bett und braucht ihren Rhythmus und ihre Rituale. Seit ihrer Herz-Operation vor vier Jahren ist sie gesundheitlich stabil, leidet aber wie fast alle Kinder mit Down-Syndrom an vielen Atemwegsinfekten. Emelies Mutter spürt oft die Blicke der Menschen in ihrer Umgebung. Je nach Tagesform kann man damit mal besser, mal schlechter umgehen. Am wichtigsten sei aber, dass Emelie gesund ist, denn im September kommt Emelie in die erste Klasse der Hans-Peter-Ruf-Schule in Schwabach.

So normal wie möglich

Mit Alessio und seiner Mutter bin ich in der Frühförder- und Beratungsstelle der Lebenshilfe Schwabach-Roth verabredet. Alessio sitzt im Kinderwagen dick gegen Wind und Wetter eingepackt und freut sich sichtlich, dass er im Bewegungsraum alles erkunden darf. Auf den ersten Blick wirkt er mit 74 Zentimetern Größe und acht Kilo Gewicht wie ein kleines Baby, aber man merkt sofort, dass man einen Zweijährigen vor sich hat. Er erkundet schnell den ganzen Raum, obwohl er noch nicht allein laufen kann. Auch sein Sprachvermögen ist geringer als sein Sprachverständnis. Deshalb setzt Alessios Mutter auf eine "normale" Erziehung: Wichtig ist ihr, dass ihr Sohn weiß, was nein bedeutet und wo seine Grenzen sind. "Alessio soll selbstständig sein, wenn er älter ist und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen sein." Das ist die größte Angst, die sie umtreibt, deshalb ist ihr wichtig, so normal wie möglich mit ihm umzugehen.

Das fällt seinen Mitmenschen auch nicht schwer, denn der kleine Sonnenschein, der so freundlich, fröhlich und lebensfroh durch die Welt schaut wickelt jeden sofort um den Finger! Man könnte meinen, darin den Grund gefunden zu haben, warum die Familie laut eigenen Angaben so "toll" integriert wurde.

Alessio besucht eine Krippe in einem Regelkindergarten. Der Inklusionsplatz wurde für ihn extra geschaffen, so dass er in die gleiche Einrichtung gehen kann wie sein großer Bruder. Der Alltag der Familie sieht fast wie der von vielen anderen Familien aus. Doch durch die vielen Untersuchungen und die Herzoperation ist die Lunge von Alessio angeschlagen: Er muss drei Mal am Tag inhalieren. Zudem braucht er eine Brille und Hörgeräte, die er aber nicht akzeptiert.

Anton ist der Jüngste in der Runde. Seit Weihnachten kann er sitzen – das Weihnachtsgeschenk für die Familie, sagt seine Mutter. Anton hat keinen Herzfehler, er leidet an Muskelschwäche und ständigen Atemwegsinfekten. Er und seine Familie werden auch von der Frühförderstelle der Lebenshilfe betreut und gefördert. Seine Mutter tauscht sich regelmäßig mit anderen Familien aus, denn der Genehmigungs- und Beantragungsdschungel ist sehr dicht, sie ist froh über gute Tipps, was man alles bezuschusst bekommt, und wo welche Ärzte sind, die sich mit Kindern mit Down-Syndrom auskennen. "Es tut außerdem gut, zu sehen, dass andere Menschen in der gleichen Situation sind, wie man selbst." Oft hat sich Antons Mutter schon überlegt, ob eine Homepage nicht sinnvoll wäre mit allen wichtigen Informationen für Eltern mit Kindern mit Down-Syndrom.

Freude und Entsetzen

In ihrem Zustand zwischen Freude, Entsetzen und Trauer nach der Geburt überlegten die Eltern: Was ist mit den Menschen, die auf eine Geburtsnachricht warten? Wie kommuniziert man mit Freunden, Familie und dem Arbeitgeber?

Die Reaktionen auf Antons Geburt waren sehr gemischt. Statt der üblichen Flut an Karten und kleinen Geschenken, die Familien sonst zu einem solchen Ereignis erhalten, blieben diese fast aus. Einige Freunde schickten ein "Es tut mir leid für euch." Das ist nicht die Reaktion, die wirklich guttut, auch wenn sie gut gemeint ist. Es war für alle schwer, für die Familie und das Umfeld, wie geht man mit so einer Nachricht um, was ist die geeignete Reaktion? "Am besten taten uns die ehrlichen Reaktionen und Besuche von Familien und Freunden, einfach klar zu sagen, dass man gar nicht weiß, was man sagen soll. Das gab uns Kraft."

Sandras Mann geht wieder in die Arbeit, er hat das Schicksal akzeptiert, doch Sandra kämpft – das erste Jahr war schlimm. "Ich musste erst mal auch mit mir klar kommen, verarbeiten, dass das geplante Leben (Krippe, Wiedereinstieg in die Arbeit, Kindergarten, Schule…) vollkommen davon abhängig ist, ob alles klappt." Auch Antons große Schwester leidet unter der unsicheren Situation, in der ihre Eltern sind. Sie versteht sicher nicht, wie belastend die Rahmenbedingungen sind, aber sie spürt es.

Für Anton wird im Regelkindergarten ein integrativer Platz geschaffen. So darf er in die gleiche Einrichtung gehen wie seine große Schwester. Diese offene und positive Reaktion freut seine Mutter sehr. Denn was wünscht man sich als Eltern mehr für sein Kind als Normalität und die Aufnahme in der Gesellschaft?

Antons Mama betont: "Alle Mütter wollen nur das Beste für ihr Kind, egal ob es behindert ist oder nicht – und wir wissen nicht, was besser ist oder glücklicher macht, ob behinderte oder nichtbehinderte Kinder die Glücklicheren sind!"

Viele Punkte im Alltag von Familien mit Kindern mit Trisomie 21 unterscheiden sich nicht von denen anderer Familien, und für alle anderen Punkte ist die Gesellschaft aufgerufen, die verschiedenen Menschen mit ihren Charakteren und unterschiedlichen Persönlichkeiten aufzunehmen und ihnen einen normales Umfeld zu bieten.

ZDie Frühförder- und Beratungsstelle steht mit Rat und Tat zur Seite. Telefon (0 91 22) 18 17 00; www.fruehfoerderung-schwabach.de

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