Wenn der tägliche Einkaufsbummel zur Tortur wird

4.11.2013, 18:34 Uhr
Wenn der tägliche Einkaufsbummel zur Tortur wird

© Schmitt

Ein Hauptziel der bundesweit etwa 80000 Post-Polio-Betroffenen ist deshalb ein barrierefreier Zugang zum Öffentlichen Raum und zu wichtigen Einrichtungen. Zu hohe Bordsteine, fehlende Rampen, ständig Stufen und zu wenige öffentliche Toiletten. Für Menschen mit ausgeprägter Gehbehinderung oder im Rollstuhl kann ein Einkaufsbummel oder der Arztbesuch zur Tortur werden. „Inklusion, also die vollständige gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen mit Behinderung, das ist unser Hauptthema", sagt Reiner Müller, Vorsitzenden des Bundesverbands Polio aus Braunschweig. Dafür müsse insbesondere bei der Zugänglichkeit zu Behörden, Banken und anderen Einrichtungen noch jede Menge getan werden, stellen Krach und Müller übereinstimmend fest. Krach ist deshalb auch Mitglied im „Inklusionsnetzwerk" des Landkreises, das von Dr. Paul Rösch aus Roth gegründet wurde.

„Mehr Druck machen in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion", soll ihr Verband, sagt Thea Krach. Vor dreieinhalb Jahren hat sie die Regional-Gruppe Mittelfranken-Süd gegründet. Zwölf Menschen mit Behinderung infolge von Kinderlähmung aus den Landkreisen Roth, Ansbach, und Weißenburg sowie der Stadt Schwabach treffen sich regelmäßig, um sich gegenseitig zu helfen, Erfahrungen auszutauschen und sich auch öffentlich Gehör zu verschaffen. Dass der vierte Bayerische Polio-Tag in Roth stattfand ist vor allem der Barrierefreiheit der Kulturfabrik zu verdanken. Von den 220 Teilnehmern des Kongresses aus ganz Bayern sitzen etwa 50 im Rollstuhl. Dank des ebenerdigen, schwellenlosen Zugangs zu Foyer und Saal der Kufa können auch sie ohne Probleme teilnehmen.

Tatkräftig und finanziell unterstützt wurde der Polio-Verband durch den Rotary-Club Roth. Kein Zufall. Rotary International hat in den vergangenen 15 Jahren eine Milliarde Euro ausgegeben, um Polio weltweit auszurotten. In Deutschland ist dies bereits gelungen. Der bislang letzte Fall der tückischen Krankheit wurde 1990 registriert. Dass man in Sachen Prävention nicht nachlassen darf, beweist Syrien. Infolge des Bürgerkriegs sind Impfungen nicht mehr flächendeckend gewährleistet und Polio flammt wieder auf.

Hauptthemen der Tagung waren Vorträge zu Therapien für Post-Polio-Patienten. Insbesondere regelmäßige und dosierte Physiotherapie kann helfen, die Muskulatur zu stabilisieren und die eigene Mobilität auch ohne Hilfsmittel zu erhalten. Aber auch hier gibt es Kämpfe. So tritt der Bundesverband Polio für eine Dauerverordnung für jeden Polio-Patienten ein. „Damit wir nicht vierteljährlich fürs Rezept zum Arzt müssen", begründet Thea Krach diese Forderung.

Auch die Anschaffung von Prothesen und Rollstühlen ist häufig mit Schwierigkeiten verbunden. „Die Kassen nehmen ausschließlich die billigsten Sanitätshäuser", sagt Müller, was oft zu nicht geeigneten Hilfsmitteln führe. Der Weg zum passenden Rollstuhl ist meist quälend lang. „Ohne Einspruch und Klage vor dem Sozialgericht geht gar nichts." Bis zur Entscheidung ist der Mensch mit Behinderung stets erst einmal unversorgt.

Um solche Benachteiligungen zu beseitigen, hat sich 2006 der Bayerische Landesverband Polio gegründet. Er ist einer von neun in der Bundesrepublik. Durch Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Lobbyarbeit machen Vorsitzende Susanne Müller und Stellvertreterin Waltraud Joa seither auf die Lebenslagen und Probleme Post-Polio-Betroffener aufmerksam. Der Verband ist als Selbsthilfegruppe organisiert und verfügt in Bayern über zehn Regionalgruppen und drei Kontaktstellen.

Susanne Müller stammt aus Bayreuth. Waldtraud Joa aus Marktoberdorf. Sie ist Behindertenbeauftragte des Landkreises Ostallgäu und sitzt für die SPD im Kreistag. Während der Tagung in Roth wurden beide für ihren Einsatz mit der Ehrennadel des Polio-Bundesverbands ausgezeichnet. Gratuliert haben auch Roths 3.Bürgermeister Hans Raithel und stellvertretender Landrat, Bezirksrat und Kammersteiner 1.Bürgermeister Walter Schnell.

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