Schillernder Wahlkampf um Chefsessel im Rathaus

25.11.2016, 19:46 Uhr
Schillernder Wahlkampf um Chefsessel im Rathaus

© Foto: Kasperowitsch

In gewisser Weise ist Zwiesel im hinteren Bayerischen Wald Trendsetter. Die heute spürbare Strömung eher weg vom politischen Establishment spülte in der knapp 10 000-Einwohner-Stadt schon 2011 den parteilosen und sich auch sonst zu keiner Gruppierung rechnenden Franz Xaver Steininger auf den Chefstuhl im Rathaus. Zuvor hatten sich CSU und SPD dort in schöner Regelmäßigkeit abgewechselt.

Dann haben die Zwieseler mit dem gelernten Bauingenieur mal was andere ausprobiert, zumal das altbekannte Wechselspiel nicht sonderlich viel für eine blühende Entwicklung der alten Glas- und Nationalparkstadt brachte.

Gegen Schaufensterreden

Steininger ist hier geboren, das schon, beruflich war er aber viel auch in anderen Regionen unterwegs. Heimatverbunden blieb er. Das liegt praktisch in den Genen eines Niederbayern. Das Schicksal des Zwieseler Freibades brachte für ihn das Fass zum überlaufen. „Ganze Generationen haben da ihre Kindheit und Jugend verbracht, und dann lässt die Stadtratsmehrheit das einfach zuschütten. Das empfanden viele so, als wenn man der Stadt das Herz herausgerissen hätte“, empört sich der Bürgermeister heute noch, „da dachte ich, das kann man besser machen.“

2011 waren auch fast zwei Drittel der Wähler dieser Ansicht. Politische Erfahrung besaß Steininger da noch nicht die Spur. Deshalb nennt er sich selbst heute noch einen „Exoten“.

Er ist nicht gerade das Urbild eines gestandenen, an passender Stelle auch mal polternden Bayerwald-Politikers, der sich die Abende auf möglichst vielen Vereinsversammlungen zwecks Sammlung von Sympathiepunkten um die Ohren schlägt. Franz Xaver Steininger ist ein feinsinniger, nachdenklicher Planer.

Er geht unbeirrbar davon aus, dass das stichhaltige Argument als allein seligmachender Trumpf in der kommunalpolitischen Auseinandersetzung zählt. Gefällige Schaufensterreden nach dem Mund des Wahlvolkes, denen dann keine finanzierbaren Taten folgen, sind im ein Gräuel. Die Kurve des einst erdrückenden Schuldenstandes der Stadt weist inzwischen seit Jahren kontinuierlich nach unten. Das eröffnet wieder Spielräume. „Wir haben jetzt wieder sogar die Mittel für ein neues Freibad“, sagt Steininger. In seiner nüchternen Grundhaltung sind das alles in allem starke Argumente für seine Wiederwahl am Sonntag. Das kommunalpolitische Ränkespiel unterschätzt er dabei vielleicht leicht.

Eine Mobbing-Stimmung

Fünf Fraktionen sitzen im Zwieseler Stadtrat. Die CSU hat dort sieben Sitze, fünf haben jeweils SPD und Freie Wähler (FW), vier die Parteifreie Wählergemeinschaft, und drei die Grünen. Die großen Parteien können den Verlust des kommunalem Spitzenamtes offenbar nicht verschmerzen. Sie blockieren Steininger im Amt, so gut es geht. Insider sprechen von einer regelrechten Mobbing-Stimmung im Stadtrat gegen den Bürgermeister. „Der muss wieder weg“, habe es mal offen, mal hinter vorgehaltener Hand geheißen.

Und der Bürgermeister seinerseits fand gegen diese Stimmung kein Mittel. Telefonate mit Fraktionsvertretern, um Mehrheiten auf die Beine zu stellen, habe er bald aufgegeben. „Xav, des kannst vergessen.“ Damit habe man ihn stets auflaufen lassen. Der kühle Rechner und fleißige Fakten-Fan Franz Xaver Steininger hofft, dass wenigstens die Wähler seine Leistungen anerkennen, wenn sie am Sonntag ihre Stimme abgeben.

„Wahlkampf habe ich nicht viel gemacht.“ Das ist so ein Satz, der zu Steininger passt, nicht aus Missachtung der Wähler, sondern im Gegenteil, weil er sie für klug genug hält, um nicht auf platte Werbeparolen hereinzufallen. In der Stadt sind nur vereinzelt Wahlplakate mit seinem Konterfei zu sehen. Elisabeth Pfeffer ist da von anderem Kaliber.

Die Diplomkauffrau und Brauereibesitzergattin in Zwiesel tritt für die CSU in den Ring um das Bürgermeisteramt. Sie sitzt seit 2008 im Stadtrat und ist 2. Bürgermeisterin. Ihre Wahlplakate haben im Stadtgebiet an Anzahl eindeutig die Oberhoheit. Sie verteilt professionell gestaltete Prospekte und geht damit von Haustür zu Haustür.

„Gemeinsam statt einsam“ steht als ihr Wahlmotto vorne drauf. Das ist wieder so ein Seitenhieb auf den Amtsinhaber, den die Stadträte bei Abstimmungen meist allein im Regen stehen lassen. „Die Fronten zwischen Stadtrat und Bürgermeister sind verhärtet“, sagt Pfeffer. Man traut ihr zu, dass sie an der Verhärtung nicht ganz unbeteiligt war. Die CSU war ihr sicher zuvor schon nicht völlig fremd, offiziell Parteimitglied geworden ist sie allerdings erst vor gut zwei Jahren, nach einer spaßigen Wette mit Bayerns Landwirtschaftsminister Helmut Brunner (CSU).

Der stammt aus dem Kreis Regen und sitzt schon seit Jahrzehnten im Kreistag. Bei der letzten Wahl wettete er mit Elisabeth Pfeffer launig, dass sie mit ihrer IG Frauen in dem Gremium Sitze gewinnen werde. Sie hielt dagegen. Wetteinsatz war ihr Eintritt in der CSU. Nun verteilt Pfeffer ein umfangreiches Programm, mit dem sie als Bürgermeisterin Zwiesel wieder nach vorne bringen möchte.

„Dazu hatte sie schon viele Jahre lang Gelegenheit“, sagt Gloria Gray entwaffnend im Zwieseler Stadtcafé, „getan hat sie’s nicht.“ Das will nun die 50-jährige transsexuelle Entertainerin anpacken.

Als junger Mann hat sie ihre Heimatstadt Zwiesel vor über 30 Jahren verlassen, als elegante Künstlerin, die mal als singende Sex-Bombe, Pin-up-Girl, als Brigitte Bardot in großen Varietés, Sängerin und Schauspielerin auftritt, und nach erfolgreicher Weltenbummlerei ist sie 2010 wieder zurückgekehrt. Sie wollte ihre inzwischen verstorbenen Eltern pflegen. Groß geworden ist sie in einer eingesessenen Viehhändler- und Metzgerfamilie. Sie spürte bereits als Kind, dass sie in diesem Milieu als Mädchen, das in einem Bubenkörper steckt, wohl nicht das große Glück erleben wird. Mitschüler haben Steine nach ihr geworfen und sie als „schwule Sau“ oder „Zwitter, elendigen“ beschimpft. Sie musste die Flucht ergreifen. Jetzt ist das anders. Sie ist stark.

Kein spleeniger Gag

„Innerhalb von sechs Jahren bin ich damals endlich zur Frau geworden, von oben bis unten“, erzählt Gloria Gray, „Sie sehen: An Durchsetzungskraft bei der Verwirklichung meiner Träume hat es mir nie gefehlt.“ Die Zwieseler begegnen ihr mit Respekt und reiner Unbefangenheit, wenn man mit ihr über den Marktplatz schlendert. Dort hat sie in einer stattlichen Schaufensterfront glitzernde Kostüme ausgestellt, die sie einst bei Auftritten trug. Mitten in der Stadt. An der Fassade hängt ein meterhohes Wahlplakat. Es ist ihr einziges.

„Mut für Veränderung“ steht da groß geschrieben. Den Zwieselern ist klar, dass Gloria Gray mit diesem Slogan genau weiß, wovon sie spricht. Ihre Bürgermeisterkandidatur ist keineswegs spleeniger Gag, keine etwa aus Rachegefühlen gegenüber dem alten Zwiesel gespeiste Provokation. Sie meint es ernst. Ihre Heimat liegt ihr am Herzen.

Und der Wahlkampf, so ganz alleine, mit zwei, drei gelegentlichen Helfern? Wie läuft der? „Wahlkampf ist schon mal das falsche Wort“, kontert sie schlagfertig, „ich mache hier Wahlfrieden.“ Unter unergiebigen Auseinandersetzung habe Zwiesel lange genug gelitten. Sie will einen. Das traut man ihr in der Stadt auch zu.

Zwieseler Toleranz

Selbst CSU-Frau Elisabeth Pfeffer gesteht, das die weltgewandte, sprühende Gloria Gray bei öffentlichen Auftritten auf dem harten Boden der kommunalpolitischen Bayerwald-Realität keine schlechte Figur macht. „Das kann sie.“ Und von auch nur leisesten Anfeindungen wegen ihrer sexuellen Orientierung gibt es in Zwiesel nicht die geringste Spur zu entdecken. Diese Zwieseler Toleranz zeugt schon von einer ganz imposanten Weiterentwicklung der Stadt.

Die Wahlprogramme von Herrn Steiniger und Frau Pfeffer finde sie gut, schreibt Gloria Gray versöhnlich in ihrem eigenen Wahlprospekt schwarz auf weiß. Und ihres sei das auch. Was sie als echte Waldlerin zusätzlich für Zwiesel mitbringe, sei eine „Prise Magie“. Völlig aus der Luft gegriffen ist das nicht.

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